Foto: dapd

Bei Suche nach neuem Vorstandsvorsitzenden des Energiekonzerns hagelt es Absagen.

Stuttgart - Wer wird neuer Vorstandschef der Energie Baden-Württemberg? Die Personalie ist längst zum Politikum geworden. Womöglich kommt es am Ende zu einer internen Besetzung.

Auf den ersten Blick war es ein Termin wie viele andere auch. Aber jene Begegnung von Politik und Wirtschaft im Herbst 2011 in Stuttgart erhält in diesen Tagen plötzlich eine neue Bedeutung. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hatte seinerzeit Landtagsabgeordnete aus allen Fraktionen zu einem Gedankenaustausch in Stuttgart eingeladen. Und das nicht ohne Grund: Es war eine entscheidende Phase für die Zukunft des drittgrößten deutschen Energiekonzerns, immerhin wurde seit Monaten um die Strategie für das Unternehmen gerungen.

Der Name Kusterer fällt häufig

Seitdem die grün-rote Landesregierung – neben den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW) – zum Hauptanteilseigner geworden war, versprachen solchen Treffen einen besonderen Reiz. Und so lauschten die Damen und Herren des Parlaments aufmerksam der Rede von Konzernchef Hans-Peter Villis, aber verfolgen nicht weniger aufmerksam den Auftritt von EnBW-Finanzchef Thomas Kusterer. „Der kam sehr gut an“, erinnern sich Teilnehmer des Treffens bei Kaffee, Kuchen und Häppchen. „Der hat präzise argumentiert und zielgerichtet die Dinge dargestellt“, bestätigt ein anderer. Was damals keiner der Parlamentarier ahnte: Womöglich hatte man da gerade den künftigen Vorstandsvorsitzenden der EnBW gesehen.

Offiziell mag darüber derzeit niemand reden. Aber je länger die Suche nach einem neuen EnBW-Chef dauert, umso häufiger fällt der Name Kusterer. Das kommt nicht von ungefähr. Der gebürtige Pforzheimer genießt in der Branche einen exzellenten Ruf, kennt die EnBW wie sein Wohnzimmer und könnte als Kompromisskandidat zwischen Bewahren und Aufbruch gelten. Fakt ist: Seitdem Anfang Dezember 2011 der frustrierte Noch-Konzernlenker Hans-Peter Villis entnervt angekündigt hatte, er wolle nach den monatelangen Debatten mit der grün-roten Landesregierung um eine Kapitalerhöhung seinen Vertrag über September 2012 hinaus nicht mehr verlängern, weil er „nicht mehr das ungeteilte Vertrauen des Aufsichtsrats“ genieße, wird nach einem Nachfolger gesucht. Den Auftrag dafür erhielt die renommierte Personalvermittlung Egon Zehnder. Das Unternehmen gehört weltweit zu den führenden Adressen, wenn es um die Suche von Führungskräften geht.

Doch, so wird mittlerweile in der grün-roten Landesregierung hinter vorgehaltener Hand eingeräumt, wo immer die Headhunter bisher auch angeklopft haben, überall schloss sich wieder die Tür oder wurde erst gar nicht geöffnet. „Die haben sich bisher lauter Absagen geholt“, berichtet ein Insider, der namentlich nicht genannt werden will. Selbst bei größeren Mittelständlern im Südwesten seien die Karrieremacher inzwischen vorstellig geworden. Ohne Erfolg.

Harte Sparpläne lassen kaum Spielraum

Warum aber findet sich kein Nachfolger für Villis? Immerhin ist die EnBW mit rund 21 000 Mitarbeitern eine interessante Adresse und gilt im Konzert der deutschen Energiekonzerne als gut aufgestellt. Experten der Branche führen das bisherige Desinteresse an dem Führungsjob auf drei zentrale Gründe zurück. Wer die Debatte in den vergangenen Monaten verfolgt habe, könne leicht die Sorge haben, dass er als neuer Vorstandsvorsitzender zwischen den Hauptanteilseignern zerrieben wird – hier die grün-rote Landesregierung, dort die von CDU-Landräten geprägten Elektrizitätswerke aus Oberschwaben. „Da prallen politische Welten aufeinander“, bestätigt einer, der beide Seiten kennt. Erschwerend kommt hinzu: Wer auch immer den Stuhl von Villis bekommt, der Fünf-Jahres-Vertrag würde über die nächste Landtagswahl im Jahr 2016 hinaus gültig sein. „Wer weiß, ob es dann nicht wieder einen Regierungswechsel gibt und damit auch der EnBW-Chef gehen muss?“, denkt ein Energieexperte laut nach.

Jahresgehalt von rund 2,5 Millionen

Mindestens genauso schwer wiegt ein anderes Argument. Zum einen hat der Aufsichtsrat die Strategie für die nächsten Jahre abgesegnet. Zum anderen gibt es angesichts harter Sparpläne und großer Investitionen – etwa in die Offshore-Windparks – für den Neuen oder die Neue an der Unternehmensspitze „kaum Spielräume, um das Unternehmen nachhaltig zu prägen“. Nicht zu vergessen: Die sinkenden Erträge der EnBW in den vergangenen Monaten werden die Chefgehälter in den nächsten Jahren nicht in die Höhe schnellen lassen, auch wenn man mit einem Jahresgehalt von rund 2,5 Millionen sich dennoch täglich ein warmes Mittagessen wird leisten können. „Wenn also ein möglicher Kandidat die Chancen und Risiken zusammenzählt, kann man leicht auf die Idee kommen, lieber nicht zur EnBW zu wechseln“, fasst ein Branchenkenner die aktuelle Gemengelage zusammen.

Da verwundert es nicht, dass bei den Gesprächen innerhalb und außerhalb der EnBW immer öfter über Kusterer geredet wird. „Er ist unbelastet und könnte den eingeschlagenen Kurs nahtlos fortsetzen. Er muss sich vor allem nicht einarbeiten“, sagt einer. In der Tat scheint der Pforzheimer wie maßgeschneidert für den Posten des Unternehmenschefs. Nicht nur, dass er aus Baden-Württemberg stammt und damit dieses gewisse Landesgefühl im Blut hat, das man Villis stets abgesprochen hat. Seine Vita gilt obendrein als vielfältig und damit vorbildlich. Nach dem Betriebswirtschaftsstudium in Mannheim sammelte er weltweit als Wirtschaftsprüfer von KPMG berufliche Erfahrungen, ehe er seine Examen als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer machte und 2004 zur EnBW kam. Dass er von 2009 bis 2011 beim damaligen EnBW-Großaktionär EdF in London arbeitete, ehe er im April 2011 (vorerst für drei Jahre) zum Finanzchef der EnBW berufen wurde, interpretieren Branchenkenner als wichtige Berufserfahrung. „Er kennt sich in der Energiewirtschaft im In- und Ausland bestens aus und ist Ökonom.“ Kusterer bringe also genau jene zwei Faktoren mit, die für die EnBW künftig von zentraler Bedeutung sind. Zum einen die Sachkenntnis im Energiebereich. Zum anderen die Fähigkeit, die durch den Ausstieg aus der Atomkraft in finanzielle Bedrängnis geratene EnBW wieder auf Kurs zu bringen.

Villis wird wohl länger im Amt bleiben, als ihm lieb ist

Ob Kusterer eine Chance bekommt oder aber ein Externer den Zuschlag erhält? Im Unternehmen selbst hoffen sie jedenfalls, dass die Entscheidung bald fallen wird. „Die Kollegen wollen endlich wissen, wie es weitergeht“, sagt einer aus dem Lager der Mitarbeitervertretung. Das Unternehmen brauche nach den turbulenten Monaten „jetzt Ruhe“. Die Hoffnung vieler, es möge eine Lösung bis zur EnBW-Hauptversammlung Ende April geben, schwindet derzeit aber. „So schnell wird das nicht gehen. Die wollen noch suchen“, glaubt einer. Alles deutet deshalb darauf hin, dass Villis länger im Amt bleiben wird, als es ihm lieb ist. Intern gilt es als ausgemachte Sache, dass der Ruhrpottler seinen Posten räumen wird, sobald ein Nachfolger gefunden ist. Aber Grün-Rot baute neulich schon mal vor. Man sei froh und dankbar, so hieß es, dass „Herr Villis seinen Vertrag bis zum Schluss erfüllen“ werde.