Manfred Rommel mit Vater Erwin und Mutter Lucie Maria 1941 in der Wiener Neustadt Foto: Privatarchiv Rommel

Seit Kriegsende und dem Erlöschen der NS-Herrschaft sind 70 Jahre vergangen. Vor zehn Jahren, also gut achteinhalb Jahre vor seinem Tod, verfasste Stuttgarts früherer OB Manfred Rommel für uns einen Text über die Ursachen und Folgen des Krieges. Er gilt noch immer.

Stuttgart - Immer seltener werden jene, die selbst Diktatur, Krieg, Kapitulation und Neuerrichtung der Demokratie erlebt haben, die Hilfe der USA, Englands und Frankreichs beim Wiederaufbau, die Versöhnung mit den früheren Kriegsgegnern einschließlich der Völker der früheren Sowjetunion, und ein gutes Verhältnis zu Israel, das freilich die Verbrechen, die an den Juden begangen wurden, nicht vergessen lässt. Jenen, die den Mut hatten, nach vorne zu blicken, in einer Zeit, als die düstere Vergangenheit fast noch Gegenwart war, schulden wir Dank.

Die Erinnerungen an das, was wir Älteren während Krieg und NS-Herrschaft empfunden haben, trüben ein. Damals waren die Medien Instrumente der Diktatur. Täuschung, Verwirrung und Desinformation waren „normale“ Mittel der Staatsgewalt im Umgang mit dem Volk. Ich meine: Unser Volk hätte in seiner überwiegenden Mehrheit bei voller Kenntnis des wirklichen Geschehens nicht mitgemacht. Ein tragender Grundsatz des NS-Führerstaats war, dass jeder nur so viel wissen sollte, wie er zur Ausführung der ihm erteilten Befehle benötigte.

Vor und nach 1933 hatte Hitler immer wieder behauptet, als Frontsoldat des Ersten Weltkriegs wolle er den Frieden. In Wirklichkeit wollte er Krieg. Er wollte allerdings den großen Krieg nicht schon 1939, sondern später, und er glaubte, Frankreich und Großbritannien nach dem Musterbeispiel Tschechoslowakei hinter das Licht führen und auch Polen seinem Willen unterwerfen zu können.

Jede Fälschung war recht, um Polen die Schuld am Kriege zuschieben zu können. Aber diesmal scheiterte er, der sich selbst im internen Kreise rühmte, Hasard zu spielen. Deutschland, Frankreich und Großbritannien ließen erneut ihre Truppen gegeneinander aufmarschieren. Diese Lage hatten die Militärs in den hohen deutschen Stäben gefürchtet. Aber die deutsche Wehrmacht zeigte, was für eine schlagkräftige Streitmacht aus dem 100 000-Mann-Heer in sechs Jahren geworden war, besiegte Polen in drei Wochen, im Jahr darauf die französischen und britischen Streitkräfte in sechs Wochen und besetzte Dänemark und Norwegen. Vor dem Krieg gegen Polen war es dem NS-Regime sogar gelungen, mit der Sowjetunion einen Nichtangriffspakt abzuschließen und mit ihr das polnische Staatsgebiet aufzuteilen.

Unmittelbar nach dem Sieg in Frankreich ließ Hitler Pläne für einen Krieg gegen die Sowjetunion ausarbeiten. Im Juni 1941 begann der deutsche Offensivkrieg. Dieser war von vornherein ein Vernichtungskrieg. Die Reaktion auf sowjetischer Seite war Hass und erbitterter Widerstand.

Zuerst verlief der Krieg günstig für die deutsche Seite – selbst der sonst vorsichtige Generalstabschef Halder hielt ihn nach wenigen Wochen bereits für gewonnen. Aber er führte in die Katastrophe. Die NS-Propaganda behauptete, es handle sich um einen Präventivkrieg, um das sogenannte Abendland vor dem Bolschewismus zu retten. Sie appellierte damit an weit verbreitete Ängste. Hitler jedenfalls ging es um Raum, Rohstoffe und Sklaven. Sein wichtigstes Ziel war jedoch die Ermordung der europäischen Juden und aller übrigen Menschen, die nach seinen finsteren Vorstellungen in einem von ihm beherrschten Europa keinen Platz haben sollten. Geheime Massenerschießungen fanden in Polen von Ende 1939 an statt, von 1941 an wurden dort bei strenger Geheimhaltung mehrere Vernichtungslager in Betrieb genommen, in denen fabrikmäßig, unter unbeschreiblichen Verhältnissen, mehrere Millionen Menschen ermordet wurden.

Mit den Massenmorden befleckte der NS-Staat die Ehre aller Deutschen. Das muss ein Ansporn sein, jenen Ungeist zu bekämpfen, der sich damals so grauenvoll ausleben konnte. Unsere heutigen Geschichtsbücher, im Besitz aller Informationen und von gescheiten Menschen verfasst, legen die Vorstellung nahe, eigentlich hätte sich bei Anwendung des gesunden Menschenverstands vieles, wenn nicht alles voraussehen und in die richtige Bahn lenken lassen.

Solche Vorstellungen unterschätzen Vereinsamung, Abhängigkeit und Blindheit des einzelnen Menschen in einer Diktatur. Die Zukunft liegt auch in einem freien Land im Nebel. Zwar wissen wir heute nicht, wie es in einem halben Jahr auf dem Arbeitsmarkt aussehen wird, wir sind aber davon überzeugt, dass wir vor Jahrzehnten ganz anders gehandelt hätten als die damalige Generation, nämlich richtig. Ich will diesen Optimismus niemandem nehmen, aber Vorsicht und moderate Selbstkritik helfen bei der Früherkennung politischer Fehler.

Am 7. Mai 1945 kapitulierte das Deutsche Reich bedingungslos. Versuche, den sinnlosen Krieg im Sommer 1944 zu beenden, waren misslungen. In den deutschen Truppen gab es keine Meuterei, die ins Gewicht gefallen wäre. Die Situation erschien aussichtslos. Die Furcht vor der Rache der heranrückenden sowjetischen Truppen wuchs von Tag zu Tag, vor allem in den Ostgebieten.

Die Furcht war berechtigt. Die Rache traf wieder einmal die Unschuldigen. Was die westlichen Alliierten sagten, klang auch nicht ermutigend. Während die alliierte Luftwaffe pausenlos im Einsatz war, um die deutschen Städte zu zerstören, wurde im September 1944 auch noch der Morgenthau-Plan veröffentlicht, der Deutschland zu einer Elends- und Hungerzone machen wollte, ein gefundenes Fressen für Goebbels’ Propaganda.

In Wirklichkeit hatte dieser Plan keinerlei Aussicht, vollzogen zu werden. Doch nach dem 7. Mai 1945 erwiesen sich die westlichen Alliierten sehr bald als großzügige Sieger, die Deutschland nicht bestrafen und ruinieren, sondern ihm beim Wiederaufbau helfen und unser Land in die Gemeinschaft der freien Nationen zurückführen wollten.

Bereits 1946 erklärte das der amerikanische Außenminister James F. Byrnes in Stuttgart in seiner „Speech of Hope“ (Rede der Hoffnung) – ein einmaliger Vorgang in der von Rachsucht vergifteten Weltgeschichte.

Der Autor Manfred Rommel war der Sohn von Generalfeldmarschall Erwin Rommel und OB von Stuttgart. Er ist am 13. November 2013 gestorben. Seinen Text veröffentlichen wir mit freundlicher Zustimmung seiner Witwe Liselotte Rommel und seiner Tochter Catherine Rommel.

Stuttgart damals, Stuttgart heute: Wie sich die Landeshauptstadt seit Kriegsende verändert hat, zeigen wir hier in interaktiven Bildern.