Zu Fuß ist der Verdächtige durch Neufra gegangen. In dieser Straße wurde er festgenommen. Foto: SDMG

„Ich bin der, den ihr sucht“, sagt der mutmaßliche Dreifachmörder Drazen D. bei seiner Festnahme im Rottweiler Teilort Neufra. Zur Tat aber schweigt er. Die Staatsanwaltschaft geht von einem „bewussten Tötungsplan“ voller Heimtücke aus.

Vilklingendorf/Rottweil - Es regnet in Strömen, Drazen D. sucht unter einem Baum Schutz, drei Plastiktüten in der Hand, völlig durchnässt, erschöpft. Vermutlich hat er sich fünf Tage lang im Freien durchgeschlagen. Er schaut in die Gesichter zweier Streifenbeamter, die ihre Pistolen gezückt haben, bleibt ruhig. „Ich bin der, den ihr sucht“, sagt der 40-jährige Kroate am Mittwochnachmittag um 16.35 Uhr bei seiner Festnahme im Rottweiler Teilort Neufra.

Dann sagt er nichts mehr, nichts zu den tödlichen Schüssen, die er am vergangenen Donnerstag auf seinen sechsjährigen Sohn, den neuen Partner seiner Ex-Frau und dessen Cousine abgefeuert haben soll. Nichts auf die Fragen der Beamten, wo er sich seit der Tat aufgehalten habe. Mitwisser, so vermutet die Polizei, habe er nicht gehabt.

In unserem Interview erklärt ein Psychologe, wie es zu solch einer Tat kommen kann.

Gesucht worden war Drazen D. im In- und Ausland, an Grenzübergängen und an Flughäfen, in ganz Europa wurde nach dem flüchtigen Kroaten gefahndet. Gefunden wurde er nur zwölf Kilometer entfernt vom Tatort Villingendorf bei Rottweil. In seinem Gepäck fand sich die Tatwaffe: ein jugoslawischer Nachbau eines deutschen Repetiergewehrs, am Schaft und am Lauf abgesägt, noch 53 Zentimeter lang.

Aufatmen bei Polizei und Bürgern

„Wir sind froh und unglaublich erleichtert, dass der Täter gefasst ist“, sagt der Tuttlinger Polizeivizepräsident Gerold Sigg bei einer Pressekonferenz am Donnerstag in der Villingendorfer Turnhalle. Es sei ein „vergleichsweise unspektakulärer“ Zugriff gewesen ohne Widerstand, ohne Gewalt. „Es gibt Situationen, in denen man nicht warten kann, bis Spezialkräfte vor Ort sind“, erklärt Sigg das schnelle Handeln der Beamten. „Es war taktisch richtig.“

Gleich zwei aufmerksame Bürger hatten den mutmaßlichen Täter, dessen Foto in den Medien veröffentlich worden war, auf der Straße erkannt, als er durch den Ort ging. Einer von ihnen fuhr zur Polizei und meldete, dass er den Gesuchten gesehen habe. Der andere rief über das Handy die Polizei an und verfolgte den Kroaten mit dem Auto, immer wieder fuhr er an ihm vorbei und gab den Beamten den genauen Standort des Flüchtigen durch.

Die Erleichterung ist Rolf Straub anzusehen, dem Leiter der Ermittlungen. Allen in der 70-köpfigen Sonderkommission sei ein Stein vom Herzen gefallen, sagt er. Rund um die Uhr hätten die Beamten unter Hochdruck gearbeitet. 220 Spuren seien überprüft worden, sogar Hinweise aus Berlin und Rheinland-Pfalz, wo Zeugen versichert hätten, sie hätten ganz sicher den Verdächtigen gesehen. Letztlich habe die Fahndung zum Erfolg geführt, ein Großeinsatz über fünf Tage hinweg. Doch über allem liege der Schatten der Tat, betont Straub und erinnert an die Angehörigen, die seelsorgerlich betreut würden.

Dass der Mann gewalttätig ist,war der Polizei bekannt

Die Mutter des getöteten Jungen war bis Dienstagabend in einer Klinik, rund um die Uhr von Beamten bewacht. Sie konnte unverletzt vor den Schüssen ihres Ex-Mannes zu einer Nachbarin flüchten. Ein dreijähriges Mädchen, das sich während des Überfalls im Haus versteckt hat, und ein Gast, der die Runde verlassen hatte, um Getränke zu holen, blieben ebenfalls unverletzt. Gefeiert wurde an jenem Abend die Einschulung des Erstklässlers.

Die Gefahr, die von ihrem Ex-Mann ausging, war der 31-Jährigen bewusst gewesen. Sie war nach Villingendorf gezogen, um dort ein neues Leben anzufangen, weit weg von ihrem straffälligen früheren Partner. Sie hatte ihn bereits mehrmals bei der Polizei angezeigt, zuletzt im August, weil er sie in der Einliegerwohnung in Villingendorf bedroht hatte, wie der Polizeivizepräsident Gerold Sigg bestätigt. Es war auch ein Gericht eingeschaltet worden, das im März ein Annäherungsverbot gegen den Mann ausgesprochen hatte. „Wir haben mit der Frau ein Beratungsgespräch geführt und sie über polizeilichen Schutz aufgeklärt“, sagt Sigg. „Es gab eine strafrechtlich relevante Vorgeschichte mit Gewalt- und Körperverletzungsdelikten.“

Staatsanwaltschaft: Bewusster Tötungsplan

Die blutige Tat des Schützen stuft Joachim Dittrich von der Staatsanwaltschaft Rottweil als Mord ein. „Wir gehen von einem bewussten Tötungsplan aus“, der Täter habe voller Heimtücke gehandelt. Er habe die Ahnungslosigkeit und Wehrlosigkeit der Opfer ausgenutzt.

Die seit Tagen anhaltende Anspannung in der 3300-Einwohner-Gemeinde Villingendorf hat sich aufgelöst. „Es ist ein großes Aufatmen“, sagt der Bürgermeister Karl-Heinz Bucher. Der 54-jährige Rathauschef wurde am Mittwoch von vielen Bürgern angesprochen, die ihm versicherten, dass sie endlich wieder besser geschlafen hätten. Obwohl die Polizei nie von einer Gefahr für Menschen in Villingendorf ausgegangen sei, habe doch eine diffuse Unsicherheit bestanden, sagt Bucher. „Das hat alles an unseren Nerven gezerrt. Gut, dass es vorbei ist.“