Seit drei jahren an der Spitze der EnBW – Frank Mastiaux Foto: Michael Steinert

Durch die vor wenigen Tagen angekündigte Übernahme des Erdgas-Importeurs VNG richtet der Energieriese sein Geschäft neu aus. Konzernchef Frank Mastiaux über die Bedeutung von Gas im Erneuerbare-Energien-Zeitalter.

Herr Mastiaux, die EnBW übernimmt den ostdeutschen Gasversorger VNG und steigt damit zum drittgrößten Gaslieferanten der Republik auf. Welches Ziel verfolgen Sie?
Die Übernahme ist ein Baustein im laufenden Umbau der EnBW. Die Kernaufgabe ist dabei, die hohe Abhängigkeit des EnBW-Geschäfts von der konventionellen Erzeugung deutlich zu reduzieren. Stattdessen setzen wir stärker auf erneuerbare Energien und auf das Netzgeschäft. Außerdem wollen wir im Geschäft nah am Kunden zulegen. Im Rahmen dieser Strategie haben wir auch das Gasgeschäft beständig ausgebaut. 2012 haben wir einen großen Liefervertrag mit der russischen Firma Novatek abgeschlossen. Seit 2014 sind wir zudem hundertprozentiger Eigner von der Gashandelsgesellschaft GVS und dem Gasnetzbetreiber Terranets. Mit der VNG haben wir jetzt einen weiteren sehr großen Schritt nach vorne gemacht.
Warum setzen Sie so stark auf Gas?
Mal abgesehen davon, dass Gas nur zu etwa 20 Prozent in der Stromerzeugung eingesetzt wird, braucht Deutschland auch in der nächsten Dekade Kraftwerke, die zu jeder Zeit und wetterunabhängig Energie liefern können. Die Kernkraft kommt dafür nicht mehr infrage, denn ihr Ende ist politisch beschlossen. Viele Kohlekraftwerke sind unrentabel und geraten wegen der CO2-Emissionen zunehmend unter Druck. Diese Entwicklung wird sich noch verstärken, sollte der Ausstoß von CO2 durch Zertifikate weiter verteuert werden. Bleibt also Gas als Brennstoff, der von allen fossilen Energieträgern mit Abstand der sauberste ist.
Sie hoffen also auf neue Gaskraftwerke. Wenn die allerdings kommen, heißt das aber noch nicht, dass Sie große Mengen Gas benötigen. Sie sollen ja nur dann laufen, wenn Wind- und Solarkraft nicht genug Leistung bringen.
Die guten Perspektiven für Gas ergeben sich bei weitem nicht nur aus dem Einsatz in Kraftwerken. Wir sehen für Gas allgemein großes Potenzial im Wärmemarkt, also beispielsweise beim Heizen von Gebäuden. Bei Neubauten, aber auch bei Umrüstungen alter Heizungen wird zum Großteil auf Gas gesetzt. Außerdem lässt sich Gas sehr gut dezentral nutzen – denken Sie nur an kleine Gasturbinen für Wohnquartiere oder an die Brennstoffzelle. In der Industrie wiederum hat Gas große Bedeutung als Grundstoff, etwa für die Kunststoffherstellung. Wärmeversorgung und Industrieverarbeitung machen zusammen 80 Prozent des Gasbedarfs aus.
Auch wenn Sie in Zukunft mehr Gas absetzen können – der Wettbewerb im Gasmarkt hat in den vergangenen Jahren an Härte gewonnen. Das ist schlecht für den Profit.
Das stimmt für den Vertrieb. Durch den Kauf der VNG ist EnBW nun aber entlang der kompletten Wertschöpfungskette aufgestellt – vom Import über die Weiterverteilung über Pipelines und Netze bis hin zum Handel, zur Speicherung und zum Endkundengeschäft. Die Netze sind sehr wertstabil und ein Ergebnisbringer, bei VNG zu über 50 Prozent. Hier sind die Renditen staatlich festgelegt. Und in einem Energiemarkt, in dem vieles im Umbruch ist, ist diese Stabilität ein Trumpf.
Durch den Kauf von VNG besitzt EnBW jetzt in Leipzig und Stuttgart vier Gasgesellschaften, die VNG, die Ontras, die GVS und die Terranets. Ist das nicht eine Doppelstruktur?
Die Strukturen ergänzen einander. Die Terranets hat ihr Netz in Baden-Württemberg, die Ontras ihres im Nordosten Deutschlands. Die Stuttgarter GVS hat einen Fokus auf die Gasabgabe an Stadtwerke. Gleiches gilt für die VNG, aber mit einem anderen regionalen Schwerpunkt. Außerdem besitzt die VNG das 14-Fache der Speicherkapazitäten der GVS und fördert auch Öl und Gas. Es gibt also wenig Überlappungen.
Das heißt, strukturell bleibt in Stuttgart und Leipzig alles beim Alten?
Der Standort der VNG in Leipzig steht nicht zur Debatte. VNG wird auch als Marke bestehen bleiben. Wir haben in Leipzig und in Stuttgart keine Abbauthemen, die nur durch die Zusammenführung der Gesellschaften begründet sind.
Eine gesellschaftsrechtliche Neuordnung der Unternehmen schließen Sie also auch aus?
Dazu gibt es derzeit keinen Grund.
Die EnBW bezieht heute rund ein Drittel ihres Gases von der Novatek aus Russland. Ergeben sich durch die Übernahme der VNG jetzt Spielräume, die Lieferkonditionen mit den Russen neu zu verhandeln?
Wir sind mit dem Novatek-Liefervertrag zufrieden. Wie üblich gibt es in derartigen Verträgen Klauseln zur Preisanpassung für den Fall, dass sich das Marktumfeld verändert. Alles Weitere werden wir uns gründlich anschauen.
Im Zusammenhang mit dem Versuch, VNG zu übernehmen, hat die EWE 2013 die EnBW auf 500 Millionen Euro Schadenersatz verklagt. Ist diese Klage jetzt vom Tisch?
Wir haben im Rahmen der Übernahme vereinbart, das Schiedsverfahren zum Zeitpunkt des Vollzugs des Geschäftes einvernehmlich beizulegen. Bis das der Fall sein wird, ist es zunächst ausgesetzt.
EnBW und EWE lagen sich beim Thema VNG jahrelang in den Haaren. Zuletzt war der Streitpunkt, dass die EnBW die anvisierten VNG-Anteile doch nicht haben wollte, weil der Gaspreis und damit der Wert der VNG zu stark gefallen war. Was hat Sie jetzt dazu bewogen, bei der VNG doch zuzuschlagen?
Hiermit konnten wir erstens unsere Minderheitsbeteiligung an der EWE gegen eine Mehrheitsbeteiligung mit unternehmerischem Einfluss bei der VNG tauschen. Die EnBW hatte zweitens immer ein Interesse am Ausbau des Gasbereichs, weil wir ihn für einen Zukunftsmarkt halten. Die VNG hat bei diesen Überlegungen stets eine wichtige Rolle gespielt. Aufgrund von Entwicklungen, die noch in der Amtszeit meines Vorgängers lagen, hat man sich zunächst für Novatek als Partner fürs Gasgeschäft entschieden und nicht für die VNG. Das hat damals einfach nicht anders funktioniert. Jetzt hat es aber geklappt, eine umfassende Lösung zu finden, und das ist prima. Nicht zuletzt, weil wir unser Vertriebsgeschäft ergänzen und in Zukunft beispielsweise bisherigen Gaskunden Strom anbieten können und andersherum. Durch den Kauf der VNG werden wir auch direkten Zugang zu neuen Kunden erlangen, die in Deutschland einen doppelt so großen Gasbedarf haben wie die EnBW-Gaskunden. Wir rechnen damit, dass das neue EnBW-Gasgeschäft inklusive der VNG-Beteiligung zukünftig 15 bis 20 Prozent des EnBW-Konzernergebnisses ausmachen wird.
Die VNG besitzt ein mehr als 7000 Kilometer langes Gasnetz. In welchem Zustand sind die Pipelines?
Nach der Wende sind gut 2 Milliarden in die Infrastruktur investiert worden. Die Qualität des Gasnetzes dürfte also sehr gut sein.
Wie genau kennen Sie die VNG eigentlich?
Wir haben uns in den letzten Jahren bereits eingehend mit der VNG beschäftigt und kennen somit das Unternehmen ausreichend. In den nächsten Wochen werden wir diese Kenntnisse durch eine detaillierte Due-Diligence-Prüfung vertiefen.
Eine Due-Diligence-Prüfung der VNG wurde noch nicht vorgenommen?
Es geht um eine detaillierte Prüfung, die wir aus aktien- und kapitalmarktrechtlichen Gründen erst jetzt durchführen können. Die Dinge, die wir für eine Übernahme wirklich wissen müssen, etwa die Größenordnung der Wertbestandteile und die wesentlichen Chancen und Risiken, haben wir im Rahmen der bislang möglichen limitierten Inneneinsicht ins Unternehmen erfahren. Wir kaufen also nicht die Katze im Sack.