Da schien er noch siegessicher: Dirk Notheis, Top-Banker und Deutschland-Chef von Morgan Stanley, im März vor dem EnBW-Untersuchungsausschuss des Landtags. Foto: dpa

Topbanker Dirk Notheis zieht sich vorläufig zurück. Die Grünen fordern weitere Aufklärung.

Stuttgart - Ein verfassungswidriges Geheim-Geschäft, ein fragwürdiger Kaufpreis, ein brisanter E-Mail-Verkehr, nun ein Rücktritt auf Raten: Der EnBW-Deal ist zum Krimi geworden. Ausgang offen.

Es war im Februar 2010. Stefan Mappus leistete im Landtag seinen Eid als neuer Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Auf der Zuhörertribüne saß in der ersten Reihe Dirk Notheis, der Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley und langjährige Weggefährte des neuen Regierungschefs. Sie kennen sich seit Urzeiten, trafen sich in der spärlichen Freizeit immer mal wieder, um über Gott, die Welt und die Politik zu plaudern. „Der Stefan“, erzählte Notheis mal im kleinen Kreis, „hat das Zeug, ein ganz Großer zu werden.“ Nun, in diesem Moment, schien es wahr zu werden. Notheis strahlte, klatschte und klopfte kurz darauf seinem Kumpel so sehr auf die Schultern, dass man Angst haben konnte, Mappus müsse zum Arzt.

Doch die Euphorie des Duos hielt nicht lange. Nur ein Jahr später, im März 2011, musste Mappus nach der verlorenen Landtagswahl wieder abdanken. Und nun folgt ihm Notheis. Am Montag hat er die Konsequenzen aus dem umstrittenen EnBW-Deal gezogen. Schon seit Tagen war spekuliert worden, der 44-Jährige werde zurücktreten, weil seine Rolle als Berater in dem Milliarden-Geschäft immer dubioser geworden war. Der Bank-Boss aber hatte geschwiegen, sein Handy abgeschaltet. Insider berichten, irgendwann am Wochenende habe er dem Aufsichtsrat der Bank seinen Rücktritt angeboten. Ob Notheis wirklich gehen wollte oder ob er gegangen wurde? Morgan Stanley jedenfalls veröffentlichte am Montagmittag nur eine dürre Mitteilung. „Dirk Notheis hat den Aufsichtsrat darüber informiert, eine Auszeit zu nehmen.“ Die Aufgaben als „Country Head für Deutschland und Österreich“ nehme ab sofort der Aufsichtsratsvorsitzende Lutz Raettig wahr. Alle Aufgaben des Tagesgeschäfts würden die „übrigen Mitglieder des Vorstands“ übernehmen.

Einen kompletten Wechsel in die Politik lehnte Notheis mehrfach ab

Die offizielle Stellungnahme liest sich genau so, wie die Investmentbanker ihr tägliches Geschäft rund um die Welt betreiben: verschwiegen, emotionslos, sachorientiert. Notheis, der kleine Mann mit dem lichten Haupthaar, war einer von ihnen. Einst hatte der gebürtige Ettlinger in Mannheim Betriebswirtschaft, Politologie und Philosophie studiert. Fortan war er ein Wanderer zwischen den Welten Politik und Finanzbranche. Er war Landeschef der Jungen Union, arbeitete einige Jahre in der baden-württembergischen Regierungszentrale. Er kandidierte regelmäßig für den CDU-Landesvorstand und wurde stets mit blendenden Ergebnissen gewählt – weil sie seinen unabhängigen Kopf und seinen Klartext schätzten. Einen kompletten Wechsel in die Politik – zum Beispiel als Finanzminister in die Landesregierung – lehnte Notheis mehrfach ab. „Ich will mir meine Unabhängigkeit bewahren“, hat er dazu mal gesagt, das Politikgeschäft sei ihm viel zu viel Klein-Klein.

Notheis fühlte sich in der Finanzwelt weitaus wohler. Seit 1999 ist er bei Morgan Stanley, 2009 stieg er zum Vorstandschef für Deutschland und Österreich auf. Hier konnte er schalten und walten. Weltweit. Der Vielflieger hetzte von Termin zu Termin. Heute das Hauptquartier von Morgan Stanley in New York, morgen Tokio, übermorgen Mailand, dann kurz Frankfurt. Schon ging es wieder los. Nicht selten verpasste er Flüge, weil er zwischen Sicherheitsschleuse und Flugzeugtür noch ein Telefonat führte. Er sicherte der renommierten Bank lukrative Transaktionen. Er führte Regie beim Börsengang von Postbank und Air Berlin. Er gilt als einer der am besten vernetzten Banker in Deutschland. Seine Kontaktliste auf dem Blackberry dürfte den Umfang des Stuttgarter Telefonbuchs haben. Als er im März vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags zum EnBW-Deal befragt wurde und sieben Stunden im Kreuzverhör stand, umschrieb er seinen Alltag so: „Es ist unsere Aufgabe, diejenigen auf der Welt, die Geld investieren möchten, mit denjenigen zusammenzubringen, die Geld suchen.“

Notheis organisierte für seinen Freund Mappus den Wiedereinstieg des Landes beim drittgrößten deutschen Energiekonzern

Irgendwo in diesem Geschäft über den Wolken und am Boden muss Familienvater Notheis der Kompass verloren gegangen sein. Im EnBW-Deal jedenfalls versagte sein politischer Instinkt, was machbar ist und was man bleiben lassen sollte. Fakt ist: Notheis organisierte für seinen Freund Mappus den Wiedereinstieg des Landes beim drittgrößten deutschen Energiekonzern. Rund um die Uhr war er dafür im Herbst 2010 im Einsatz, gut zehn Tage lang. Notheis, der Strippenzieher. Er verhandelte mit dem französischen Staatskonzern EdF über den Verkauf der EnBW-Anteile und den Kaufpreis. Er stand im ständigen Kontakt mit den Anwälten der Stuttgarter Kanzlei Gleiss Lutz und verließ sich – welch ein Trugschluss – darauf, dass der Deal ohne Landtagsbeteiligung laufen könnte. Er bot die Besten seiner Bank auf, um das fünf Milliarden Euro schwere Geschäft zu stemmen.

So weit, so klar. Wenn da nur nicht die Begleiterscheinungen gewesen wären. Denn der E-Mail-Verkehr, der aus jenen Tagen im November und Dezember 2010 inzwischen aufgetaucht ist, zeigt ein erschreckendes Bild über die Art und Weise, wie Notheis seine Aufgabe verstand. Er gab vor, was Mappus tun sollte. Der beste Beleg ist eine mehrseitige Mail vom 22. November 2010. Sie war eine Art Drehbuch für den Tag X, wenn Mappus den Geheim-Deal öffentlich machen sollte. Notheis schrieb dem Ministerpräsidenten, wann der den zweiten Großaktionär, die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), über das Geschäft am besten informiere. Er riet ihm, Alt-Ministerpräsident Erwin Teufel und Ex-EnBW-Chef Gerhard Goll jeweils „kurz vor Bekanntgabe“ des Milliardenpokers aufzuklären. Er empfahl Mappus, der möge sich jemanden aus der Wissenschaft suchen – „idealerweise einen renommierten Volkswirt aus Baden-Württemberg, der das Ganze gut findet“ (. . .), der es auch vor der Presse so kommuniziere und „der Dir einen Gefallen schuldet“. Und Notheis war so selbstbewusst, auch locker mit der Macht der Kanzlerin zu spielen. Mappus solle, so heißt es in jener Mail, „Angela M. um positive Begleitung bitten. Insbesondere was den Termin bei Nicolas S. anbetrifft“. Im Klartext: Im Vorfeld des Vertrags solle es ein Treffen zwischen Merkel und Sarkozy geben, um das Geschäft wasserdicht zu machen. Zitat aus einer anderen Mail von Notheis an Mappus: „Du fragst Mutti, ob sie Dir das arrangieren kann.“

Vielmehr wird das Vorurteil bestätigt, dass die Banken der Politik sagen, wo es langgeht“

Es sind jene Mails und die Tonlage, mit denen Notheis intern wie extern trotz seines Fachwissens und Intellekts viel Kredit verspielt hat. Selbst in seiner eigenen Partei waren sie übers Wochenende noch weiter auf Distanz zu dem smarten Banker gegangen. „Wenn das ein unbefangener Beobachter liest, dann spiegelt sich in diesem Mail-Verkehr für ihn wider, dass hier nicht der Primat der Politik geherrscht hat. Vielmehr wird das Vorurteil bestätigt, dass die Banken der Politik sagen, wo es langgeht“, hatte CDU-Landeschef Thomas Strobl zuletzt gesagt.

Morgan Stanley selbst hält sich mit Wertungen zurück. Wie lange die Auszeit dauert? Kein Kommentar. Ob Notheis auf seinen Vorstandsstuhl zurückkehren wird? Kein Kommentar. Das Schweigen dürfte nicht von ungefähr kommen. Schon in den vergangenen Tagen war gerätselt worden, wieso die Bank den gesamten Mail-Verkehr jener Tage an den Untersuchungsausschuss nach Stuttgart gegeben hatte – obwohl manche Mail nichts mit der Sache zu tun hatte. Erfahrene Juristen sehen darin ein eiskalt kalkuliertes Manöver der Bank. Frei nach dem Motto: Um weiteren Imageschaden von der Bank abzuwenden, lässt man Notheis im Regen stehen. „Das ist die Macht der Anwälte, da bist du als Vorstandschef nur noch ein Spielball“, sagt ein Branchenkenner.

Insider in der Frankfurter Finanzwelt spekulierten deshalb am Montag über das weitere Schicksal von Notheis. Variante eins: Die Bank will abwarten, mit welchen Ergebnissen der Untersuchungsausschuss des Landtags zu Ende geht und zu welchen Schlüssen die diversen, noch ausstehenden Gutachten zum EnBW-Deal kommen. Erst dann wird entschieden, was mit Notheis endgültig passiert. Variante zwei: Die Bank verzichtet auf die sofortige Trennung, weil sie Notheis viel zu verdanken hat und er in der Sache womöglich alles richtig gemacht hat. Letztendlich wird Notheis aber den Makel seiner Mails wohl nicht mehr los und muss einsehen, dass er Fehler gemacht hat. So wie mit jener E-Mail vom 23. Februar 2011, also zweieinhalb Monate nach dem Deal. Da verlangte der Bank-Chef vom Land das vereinbarte Honorar für Morgan Stanley von 12,8 Millionen Euro plus Mehrwertsteuer. Mappus bat darum, die Rechnung erst drei Wochen später zu stellen und den Betrag unmittelbar nach der Landtagswahl zu überweisen. Antwort von Notheis: „Für Dich mach’ ich doch alles.“