Welchen Wert hat die EnBW? Ex-Ministerpräsident Mappus kaufte die Aktien für jeweils 41,50 Euro, Grün-Rot schätzt den Wert hingegen nur auf 25 Euro. Foto: dpa

Grün-Rot will den Wiedereinstieg des Landes bei der EnBW notfalls rückgängig machen.

Stuttgart - Es soll sein Tag werden. Donnerstagnachmittag, Stuttgart. Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid hat die Crème de la Crème der Auto- und Zulieferbranche nach Stuttgart eingeladen. Was der alten schwarz-gelben Regierung nicht geglückt sei, wolle der SPD-Politiker nun besser machen, hatte es im Vorfeld geheißen. Der Minister will mit der Autobranche über Mobilitätskonzepte für die Zukunft diskutieren. Ein Thema, das wie gemacht scheint, um den zuletzt durch Schlecker-Sorgen und andere Probleme ausgebremsten Superminister wieder auf die Überholspur zu bringen. Aber Schmid hat in diesen Minuten ein anderes Problem, das er erst einmal aus dem Weg räumen muss. Auf ihn warten Mikrofone, Kameras und viele Journalisten. Es geht um den Wiedereinstieg des Landes bei der Energie Baden-Württemberg (EnBW) und die Frage, wie es die neue Landesregierung nun eigentlich hält mit ihrem 46-pozentigen Anteil an dem Energiekonzern.

In den vergangenen Monaten hatten Schmid und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stets betont, man stehe zur EnBW, wolle sie umbauen für die Energiewende, und an den Verkauf des Aktienpakets sei überhaupt nicht gedacht. Nun aber sieht das plötzlich ganz anders aus. Denn Grün-Rot hält eine Rückabwicklung des milliardenschweren Deals für möglich. Im Klartext: Notfalls verkaufen wir eben die EnBW-Anteile wieder. Woher aber der plötzliche Sinneswandel? Ganz einfach. Irgendwann in den vergangenen Tagen muss der Electricité de France (EdF) in Paris der Geduldsfaden gerissen sein.

Bekanntlich versucht der Untersuchungsausschuss des Landtags seit Monaten, den umstrittenen EnBW-Deal vom Herbst 2010 aufzuklären. Damals hatte Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) in einem Geheim-Geschäft den Franzosen ihren Anteil an der EnBW für knapp fünf Milliarden Euro abgekauft. Grün-Rot hält den gezahlten Preis bis heute für überhöht und hat deshalb eine Schiedsgerichtsklage gegen die EdF vor der Internationalen Handelskammer in Paris eingereicht. Zugleich aber hatte man die EdF-Führung wiederholt aufgefordert, bitte nach Stuttgart zu reisen, um vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen, wie das Geschäft mit Mappus damals lief.

Franzosen brechen Vertraulichkeit

Doch die Franzosen lehnten wiederholt ab. In der Nacht zum Donnerstag kam nun erneut ein Brief aus Paris – diesmal von EdF-Chef Henri Proglio persönlich. Die zentrale Botschaft: Er wäre ja gekommen, aber nachdem Grün-Rot gegen die EdF klage, sei er dazu nicht bereit. Damit nicht genug. Proglio liefert an den Ausschuss ein hoch brisantes Papier mit – nämlich die Klageschrift des Landes. Bisher hatte Grün-Rot dieses Schriftstück wie einen Schatz gehütet, den niemand sehen darf. Nun aber, da der Streit um die EnBW eskaliert, gehen die Franzosen in die Offensive. Und siehe da: Grün-Rot will nicht nur – wie bisher bereits bekannt – rund zwei Milliarden Euro und damit die Hälfte des Kaufpreises von der EdF zurückerstattet. Sollte diese Forderung vor der Internationalen Handelskammer sich nicht erfüllen lassen, müsse die EdF verurteilt werden, den Kaufpreis von damals 4,7 Milliarden plus Zinsen an das Land zurückzuzahlen und die Aktien zurückzunehmen. Und wenn auch dies nicht machbar sei, beantrage das Land, den Kaufvertrag für null und nichtig zu erklären.

Die dreigeteilte Klageschrift gleicht einer politischen Bombe. Zum einen, weil Schmid seine bisherige Linie verlässt. Zum anderen, weil ein Erfolg der Klage unabsehbare Folgen für die EnBW hätte. Es mag Zufall sein, dass gerade am Donnerstag der EnBW-Aufsichtsrat tagt und sich bei einigen Mitgliedern blankes Entsetzen über das Vorgehen der Landesregierung breit macht. Vor allem bei den Vertretern der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), dem zweiten Hauptaktionär der EnBW, ist der Unmut groß. Immer wieder hatte die OEW zuletzt betont, man halte den damaligen Kaufpreis von 41,50 Euro pro Aktie für richtig, zumal habe die LBBW das in Analysen mehrfach bestätigt. Wenn das Land nun zwei Milliarden Euro vom Kaufpreis wieder haben wolle, senke Grün-Rot den Aktienwert auf 25 Euro. „Was die Landesregierung hier macht, können wir nicht nachvollziehen“, sagt ein Aufsichtsrat.

Erfolgreiche Klage hätte weitreichende Konsequenzen

Klar ist: Ein Klageerfolg von Grün-Rot hätte weitreichende Konsequenzen für den Energiekonzern. Erstens könnte die EdF dann die Anteile an einen ausländischen Investor wie Gazprom verkaufen – es würde also das eintreten, was Mappus mit seinem Geschäft verhindern wollte. Zweitens müsste die EnBW neu bewertet werden – mit unabsehbaren Folgen für Abschreibungen, Bankkredite und die Existenz der 20 000 Arbeitsplätze. Von alledem will Schmid aber nichts wissen. Er gehe diesen Klageweg, sagt er am Donnerstagnachmittag in seiner eilends anberaumten Pressekonferenz am Rand des Autogipfels, um das „zu viel bezahlte Geld“ von der EdF zurückzuholen. Im Übrigen stehe man ohne Wenn und Aber zum Energiekonzern. Man wolle „mittelfristig an der EnBW beteiligt bleiben“.

Was aber heißt mittelfristig? Wird also im Hintergrund doch geprüft, Teile des Aktienpakets zu verkaufen, zum Beispiel an den Wüstenstaat Katar, wie es auf den EnBW-Fluren spekuliert wird? Und überhaupt. Wie passt das Bekenntnis zur EnBW zu jenem Teil der Klage, wo Grün-Rot mit dem Verkauf der EnBW-Teile liebäugelt? Schmid antwortet auf diese Frage gefühlte zehnmal denselben Satz: „Ich kämpfe für die Interessen der Steuerzahler.“ Auch auf die Frage, wieso das Land genau zwei Milliarden Euro und nicht mehr oder weniger vom Kaufpreis wiederhaben möchte, bleibt der Minister eine schlüssige Antwort schuldig: Man habe sich „juristisch beraten“ lassen.

Die Opposition will alles das dem stellvertretenden Ministerpräsidenten nicht durchgehen lassen. „Die Bürgerregierung hat Geheimniskrämerei betrieben“, beklagt FDP-Landtagsfraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Minister Schmid habe stets behauptet, die EnBW halten zu wollen, plane nun aber mit der Klage den Ausstieg durch die Hintertür. Noch schärfer fällt die Kritik von CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk aus. „Diese Klage ist ein Skandal. Die Schadenersatzforderung ist jenseits von gut und böse.“ Sollte die Klage erfolgreich sein, müsse man mit „schweren Konsequenzen“ für die EnBW rechnen, weil der Konzern dann plötzlich fast fünf Milliarden Euro weniger wert sei. „Alle Investitionen für die Zukunft stehen dann auf dem Prüfstand.“ Grün-Rot führe die EnBW damit in eine nachhaltige Krise, es drohe „ein Anschlag auf die Wirtschaftskraft des Landes, warnt Hauk und hebt den Finger: „Wir fordern die sofortige Rücknahme dieser Klage.“ Schmid lehnt das ab, schmunzelt – und eilt zu seinem Autogipfel zurück.