Die Energie Baden-Württemberg ist der drittgrößte deutsche Energieversorger: Hauptanteilseigner sind das Land Baden-Württemberg und die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke. Foto: dpa

Hat Ex-Finanzminister Stächele beim EnBW-Deal Verfassung missachtet? Staatsgerichtshof prüft.

Stuttgart - Das Thema klingt sperrig, ist politisch aber höchst brisant. Am Donnerstag prüft der Staatsgerichtshof, ob beim Wiedereinstieg des Landes bei der EnBW die Verfassung missachtet wurde. Das Urteil könnte gravierende Folgen haben.

Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion. 5. Dezember 2010, ein Sonntagabend, der landespolitische Betrieb ruht. Nicht so in der Regierungszentrale. Der damalige Staatsminister Helmut Rau greift auf Anweisung von Ministerpräsident Stefan Mappus zum Telefonhörer und beordert Finanzminister Willi Stächele (alle CDU) aus dessen Wohnort Oberkirch umgehend nach Stuttgart. Der Grund ist unklar. Kommt es wenige Monate vor der Landtagswahl doch noch zu einer Kabinettsumbildung?

Nein. Als der oberste Kassenwart des Landes in Stuttgart eintrifft, erwarten ihn Mappus, Rau und Dirk Notheis, ein enger Freund von Mappus und Chef der Investmentbank Morgan Stanley, sowie Anwälte der renommierten Kanzlei Gleiss & Lutz. Es geht um den Wiedereinstieg des Landes bei der EnBW. Die Uhr zeigt 23 Uhr.

Land ist einer der beiden Hauptaktionäre an der EnBW

Die Runde braucht die Unterschrift des Finanzministers. Über Wochen hinweg war hinter den Kulissen der spektakuläre Deal eingefädelt worden. Das Land kauft den 45-Prozent-Anteil an der EnBW vom französischen Energiekonzern EdF für rund fünf Milliarden Euro und ist damit wieder einer der beiden Hauptaktionäre am drittgrößten deutschen Energieversorger.

Weil die Franzosen aber strengstes Stillschweigen verlangen und Experten wie Notheis fürchten, dass der Transfer zu früh publik wird und damit Spekulanten den Preis nach oben treiben, soll der Kauf im Geheimen laufen. Stächele muss dafür das sogenannte Notbewilligungsrecht des Landtags wahrnehmen, das nur für "unvorhergesehene und unabweisbare" Dinge genutzt werden darf.

Aber gilt das in diesem Fall? Stächele wird über jene Minuten später eine Aktennotiz verfassen. Mappus habe ihm klargemacht, man müsse jetzt schnell und sofort handeln, immerhin solle der Verkauf am nächsten Morgen sowohl in Paris als auch in Stuttgart besiegelt werden. Er habe "die Information und Rechtsberatung entgegengenommen", notiert Stächele - und unterschreibt. Wohl wissend, dass er damit das Geschäft am Landtag vorbei genehmigt.

Es ist eine folgenschwere Unterschrift. Zwar wird am nächsten Morgen das Geschäft wie geplant abgewickelt, und die Finanzwelt staunt über den Coup. Aber Stächele wird fortan zum Buhmann, weil er das Königsrecht des Parlaments - nämlich das Haushaltsrecht - umgangen hat. SPD und Grüne, damals noch in der Opposition, wettern, auch Vertreter von CDU und FDP sind fassungslos über den Geheimdeal von Mappus.

SPD und Grüne: Stächele habe Landesverfassung verletzt

SPD und Grüne: Stächele habe Landesverfassung verletzt

Wenige Wochen später verklagen SPD und Grüne deshalb die damalige Landesregierung vor dem Staatsgerichtshof Baden-Württemberg. Begründung: Mit seinem Vorgehen habe Stächele die Landesverfassung verletzt. Was folgt, sind Fluten von Schriftsätzen. An diesem Donnerstag kommt es zum Showdown. Der Staatsgerichtshof verhandelt den Fall und verkündet sein Urteil.

"Wir hätten es gut gefunden, Zeugen zu laden. So wird der tatsächliche Ablauf jener Stunden spekulativ bleiben", sagt Joachim Wieland, Verfassungsrechtler aus Speyer und Anwalt der SPD. Das ändere aber nichts daran, dass man das Verhalten von Stächele nach wie vor als "eindeutig verfassungswidrig" einstufe. Die Grünen sehen das genauso. Sie hatten einst sogar damit geliebäugelt, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, gaben dieses Vorhaben aber jüngst auf, weil es im Staatsministerium merkwürdigerweise kaum Akten zu dem Fall gibt.

Stächele: "Kein Straftatbestand, sondern eine Rechtsfrage"

Stächele selbst will sich zu seiner Unterschrift (vorerst) nicht mehr äußern. "Es geht nicht um einen Straftatbestand, sondern um eine Rechtsfrage", lässt er ausrichten. Alles weitere müsse der Staatsgerichtshof bewerten. SPD und Grüne freilich präparieren sich bereits für den Fall, dass Stächele schuldig gesprochen wird - und legen ihm nahe, dann als Landtagspräsident zurückzutreten.

Ihr Argument: Als zweithöchster politischer Repräsentant des Landes könne er nicht mehr das Vertrauen aller Fraktionen genießen, wenn ihm das oberste Gericht des Landes bescheinigt habe, die Rechte des Parlaments umgangen zu haben. Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) formuliert das am Dienstag so: Stächele müsse damit rechnen, dass im Fall eines Urteils die Fraktionen darüber reden, "ob es Konsequenzen geben muss, und wenn ja, welche". CDU-Landtagsfraktionschef Peter Hauk warnt hingegen vor einer Vorverurteilung und hält die Spekulationen von SPD und Grünen für "völlig unangemessen".

Das Urteil könnte weitreichende Folgen für den politischen Landtagsbetrieb und Stächele haben. Auf jeden Fall dürfte am Donnerstagnachmittag zwischen Regierung, Fraktionen und Parlamentspräsident viel telefoniert werden. Schmid ist auf Dienstreise in Tschechien, Stächele begleitet Ministerpräsident Kretschmann auf dessen Auslandsreise in Rumänien.