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Hat Ex-Ministerpräsident Mappus für die EnBW-Anteile zu viel bezahlt? Einblicke vor dem Prozessauftakt in Paris.

Stuttgart - Eigentlich ist es wie im normalen Leben. Wer sich ein neues Auto oder einen neuen Fernseher kaufen will, studiert erst einmal aufmerksam Zeitungsanzeigen, geht dann zum Händler seines Vertrauens, vergleicht Modelle in unterschiedlichen Klassen und checkt den Preis gegen. Irgendwann wird er kaufen oder auch nicht. Aber wie geht man vor, wenn man Anteile an einem Energiekonzern kauft? Da geht es nicht um ein paar Tausend Euro, sondern wie im Fall der Energie Baden-Württemberg (EnBW) um mehrere Milliarden Euro. Der ehemalige Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und sein Berater Dirk Notheis, der damalige Deutschland-Chef der Investmentbank Morgan Stanley, jedenfalls entschieden am 6. Dezember 2010, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion dem französischen Staatskonzern Electricité de France (EdF) rund 4,7 Milliarden Euro zu überweisen, auf dass das Land im Umkehrschluss 45 Prozent an der EnBW erhält und damit zum Hauptaktionär wird.

Das Problem: Im Unterschied zum Kauf eines Fernsehers oder Autos gab es damals keine Preisvergleiche oder externe Expertisen. Im Gegenteil: Die zu zahlende Summe wurde vielmehr durch Mitarbeiter von Morgan Stanley höchstselbst – innerhalb von 45 Minuten – geprüft und in Form einer sogenannten fairness opinion als angemessen eingestuft. Andere Banken wurden auf Bitte von Notheis erst gar nicht eingeschaltet, und der Deal wurde auf Geheiß der Franzosen erst publik gemacht, als die Tinte unter dem Vertrag längst trocken war. Warum aber musste es so schnell gehen?

Anwälte treffen sich erstmals vor Gericht

Die grün-rote Landesregierung jedenfalls wirft dem damaligen CDU-Regenten Mappus vor, einen viel zu hohen Preis bezahlt und alle Bedingungen der Franzosen erfüllt zu haben, nur um einen schnellen politischen Erfolg zu erzielen. Also kündigten Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) und sein Wirtschafts- und Finanzminister Nils Schmid (SPD) schon vor Monaten an, den Kaufpreis mit einer Schiedsgerichtsklage vor der Internationalen Handelskammer in Paris anzufechten und Geld von den Franzosen zurückzufordern, weil es sich um eine unerlaubte Beihilfe nach EU-Recht handle.

Nun ist es so weit. Nächsten Donnerstag treffen sich die Anwälte erstmals vor Gericht in Paris. Hier die Abgesandten von Grün-Rot, dort jene der EdF. Die Verhandlung ist nicht öffentlich. Die Fronten sind verhärtet. „Wir haben gute Argumente und sindüberzeugt, Geld für den Steuerzahler in Baden-Württemberg zurückzuholen“, sagt Minister Schmid. Ursprünglich war er davon ausgegangen, man könne gar zwei Milliarden Euro vom Kaufpreis zurückfordern. Begründung: Mappus und Notheis hätten damals für den Kaufpreis einen viel zu hohen Wert der EnBW zugrunde gelegt und die Risiken nicht ausreichend berücksichtigt. Und so schob Schmid mittels Hilfsanträgen gleich noch die Drohung hinterher, wenn die EdF bockig sei, werde das Land notfalls den EnBW-Anteil ganz wieder abstoßen.

Bei der EdF sieht man das ganz gelassen

Der Sturm der Entrüstung darob schwoll zum Orkan. Die Landtagsopposition, aber auch die EnBW fürchteten den Ausverkauf des drittgrößten deutschen Energieunternehmens. Im Juli wurde die Summe, die man gerne von der EdF wieder hätte, mittels Gutachten auf 834 Millionen Euro herunterkorrigiert. An der Haltung Schmids hat sich dadurch aber nichts geändert: „Wir bleiben bei unserer Sichtweise, dass Stefan Mappus zu viel für die EnBW-Anteile bezahlt hat.“ Und auch die Hilfsanträge, sich notfalls wieder von den EnBW-Anteilen zu trennen, liegen noch auf dem Tisch.

Bei der EdF sieht man das ganz gelassen. Zwar übt sich der ohnehin verschwiegene Konzern im Vorfeld des Prozesses noch mehr im Versteckspiel, und Mappus’ damaliger Verhandlungspartner, EdF-Boss Henri Proglio, lehnt jede öffentliche Positionierung ab. Aber die Botschaft der EdF-Pressestelle in Paris ist dennoch eindeutig: Die Klage der Stuttgarter Landesregierung sei „unbegründet“. Man sei von der Richtigkeit des Kaufpreises, der seinerzeit vereinbart wurde, nach wie vor „völlig überzeugt“. Im Übrigen werde man sich mit allen Mitteln gegen die Klage zur Wehr setzen.

EdF hat auf Klageschrift nicht reagiert

Was das konkret heißt, ist freilich noch unklar. Denn bis jetzt haben die Franzosen auf die Klageschrift aus Baden-Württemberg nicht reagiert. Schon vor Wochen hatten sie freilich klargemacht, dass sie nicht bereit seien, den Schwarzen Peter in diesem Pokerspiel anzunehmen. Die EdF sei in dieser ganzen Angelegenheit „zum Spielball der Politik zwischen der alten und neuen Landesregierung“ geworden. Man habe seinerzeit „nicht vorgehabt“, die EnBW-Anteile zu verkaufen, aber Mappus habe ein Angebot gemacht. Die Transaktion sei dann aber „nach geltendem Recht und zu einem dem Marktwert entsprechenden Preis abgewickelt“ worden, betont ein EdF-Sprecher.

Bei den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW), neben dem Land der zweite Großaktionär der EnBW, wird das auch so bewertet. Den tiefschwarz geprägten Landräten ist das Vorgehen von Kretschmann und Co. ohnehin ein Dorn im Auge. „Ich gehe davon aus, dass die keinen einzigen Euro vor Gericht erstreiten“, sagt einer der mächtigen Kreisfürsten. Das sei doch alles „nur Symbolpolitik, um Mappus noch eins auszuwischen“, meint ein anderer. Niemand könne jetzt – bald zwei Jahre nach dem spektakulären Deal – mehr glaubhaft nachprüfen und nachweisen, ob der Kaufpreis von 4,7 Milliarden Euro für die EnBW-Anteile gerechtfertigt war oder nicht.

Unter den 20 000 Mitarbeitern wächst die Unruhe

Immer wieder hatten die OEW darauf hingewiesen, dass die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) einst im Auftrag der OEW den Wert der EnBW-Aktien untersucht habe. Dabei sei stets ein Ergebnis von 38 bis 42 Euro pro Stück ermittelt worden – also genau jener Korridor, den Mappus später mit 41,50 Euro pro Aktie bezahlte. „An der Seriosität der LBBW-Analysen habe ich bis heute keine Zweifel“, erneuerte der OEW-Vorsitzende und Landrat des Alb-Donau-Kreises, Heinz Seiffert, diese Woche gegenüber unserer Zeitung seine Haltung. Der Kaufpreis habe „dem damaligen Wert der EnBW entsprochen“. Dass wenige Monate später im japanischen Fukushima die Reaktoren explodierten und die schwarz-gelbe Bundesregierung über Nacht den Atomausstieg beschloss, was zum Werteverfall auch der EnBW-Aktien führte, habe niemand ahnen können. Die fortlaufende Debatte über die EnBW in den vergangenen und wohl auch kommenden Monaten sei aber Gift. „Das macht mir große Sorgen, denn da wird ein Krieg auf dem Rücken des Unternehmens geführt, das dafür nichts kann, aber unter dem Imageverlust schweren Schaden nimmt.“

Die Gefühlslage bei der EnBW ist ähnlich. Zwar hat sich der von Grün-Rot aus dem Amt gedrängte und demnächst abdankende Konzernchef Hans-Peter Villis zuletzt mit öffentlichen Kommentaren zurückgehalten. Aber unter den 20 000 Mitarbeitern wächst die Unruhe, wie das ganze juristische und politische Tauziehen um diesen Milliardendeal am Ende noch ausgehen wird. Das Misstrauen gegenüber Grün-Rot ist jedenfalls groß. Ein Beispiel von vielen: Als im Frühsommer die für die EnBW zuständige Staatsministerin Silke Krebs (Grüne) bei einem politischen Grillfest beteuerte, wie sehr ihr die EnBW ans Herz gewachsen sei, fühlte sich mancher Mitarbeiter des Energiekonzerns im falschen Film.

Hoffen und Bangen mit Blick auf Prozessauftakt in Paris

Und nun? Ein Sprecher der EnBW betont, die Schiedsklage sei „eine Angelegenheit des Landes Baden-Württemberg und der EdF, mit der EnBW habe diese Klage „nur indirekt etwas zu tun“. Zugleich lässt er aber keine Zweifel an den Nebenwirkungen: „Die Klage strahlt in der öffentlichen Wahrnehmung natürlich auch auf die EnBW ab. Damit müssen wir leben, auch wenn wir uns am liebsten auf das konzentrieren wollen, für das die EnBW steht: den Umbau der Energieversorgung Richtung Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien.“

So sehen sie alle mit Hoffen und Bangen dem Prozessauftakt in Paris entgegen. „Da wird es am ersten Tag erst einmal nur um Formalitäten gehen, in der Sache passiert da noch nichts“, vermutet Finanzminister Schmid. Möglicherweise werde das Gericht zusätzliche Gutachten einfordern, wahrscheinlich weitere Termine festlegen. Alles halb so wild, also? Nein, räumt Schmid ein. Dass ein Unternehmen gegen ein anderes Unternehmen klagt, sei ja auf dem Weltmarkt durchaus üblich. Aber dass eine Landesregierung gegen ein Unternehmen klagt, das sei „schon eher die Ausnahme“. Beobachter rechnen jedenfalls mit einer Auseinandersetzung „bis weit ins nächste Jahr hinein“. Aber die Landesregierung will diesen Weg gehen – mit allen Risiken. Finanziell hat Grün-Rot bereits 1,5 Millionen Euro Verfahrenskosten berappen müssen. Es dürfte freilich nur der Anfang sein. Was es am Ende politisch bringt, ist völlig offen.