Zielbewusst auch ohne Krawatte: EnBW-Chef Frank Mastiaux Foto: StN

Seit zwei Jahren steht Frank Mastiaux an der Spitze der EnBW. Nun zieht der Chef des drittgrößten deutschen Energiekonzerns Zwischenbilanz – und begründet, warum die EnBW extrem sparen muss.

Stuttgart - Seit zwei Jahren steht Frank Mastiaux an der Spitze der EnBW. Nun zieht der Chef des drittgrößten deutschen Energiekonzerns Zwischenbilanz – und begründet, warum die EnBW extrem sparen muss.
 
Herr Mastiaux, was können Sie besser: Schwäbisch oder Türkisch?
Bei Türkisch muss ich ehrlicherweise passen. Schwäbisch verstehe ich dagegen recht gut, glaube ich. Aber ans Sprechen würde ich mich nicht ran wagen, das würde bei einem „Reingeschmeckten“ wie mir sicher befremdlich wirken.
Zumindest diese Woche haben Sie ja einen prominenten Dolmetscher, wenn Sie in der Türkei sind.
Sie meinen Minister Nils Schmid.
Richtig. Er hat ja eine türkischstämmige Frau, und er wird mit Ihnen einen Windpark in der Nähe von Istanbul eröffnen. Warum gehen Sie in die Türkei? Haben Sie hierzulande nicht genug Baustellen?
Die Türkei ist für uns ein wichtiger Auslandsmarkt, gerade im Bereich der erneuerbaren Energien. Da gibt es aufgrund der wirtschaftlichen Dynamik noch viel Potenzial und hohe Wachstumsraten. Wir haben uns in der Türkei eine gute Startposition mit einem starken Partner aufgebaut, die wir nun nutzen wollen. Das geht aber nicht vom Schreibtisch in Karlsruhe aus, da muss man auch vor Ort sein. Die Türkei ist mir zudem nicht unbekannt, sowohl kulturell als auch wirtschaftlich. Ich habe früher dort mal ein Gasgeschäft geführt. Das hilft mir beim Austausch mit unseren Geschäftspartnern.
Was unterscheidet beide Märkte: Ist es leichter und unbürokratischer, dort Geschäfte zu machen als im oft schwerfälligen Deutschland?
Das ist schwer zu vergleichen, denn es kommt auch darauf an, welche Vertrautheit man mit dem jeweiligen Land hat. Fest steht, dass die Türkei im Bereich Wind-, Wasser- und Solarenergie das insgesamt größte Potenzial in Europa hat.
Die Geschäfte dort helfen Ihnen also, die Verluste auszugleichen, die Sie in Baden-Württemberg zum Beispiel durch die Abschaltung der Kernkraftwerke zu verkraften haben?
Es geht bei unserem Geschäft in der Türkei um eine langfristige Wachstumsperspektive. Wir wollen in Zukunft die erneuerbaren Energien als Ergebnisträger deutlich ausbauen. Das war und ist unsere wesentliche Motivation, in der Türkei aktiv zu sein.
Sie sind jetzt zwei Jahre in diesem Amt, wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus: Würden Sie den Job erneut übernehmen?
Ohne jedes Zögern.
Ehrlich?
Ja, denn es ist schon etwas Besonderes, in einer solch kritischen Situation, in der sich die gesamte Energiebranche befindet, die Verantwortung für ein Unternehmen wie die EnBW zu übernehmen.
Aber jährliche Millionenverluste zu verkraften und einen Konzern komplett umzubauen ist nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig.
Sicherlich hat sich seit meinem Amtsantritt im Oktober 2012 die Lage nochmals verschärft. Nicht jeder Tag läuft so, wie man es sich wünscht. Die vergangenen zwei Jahre waren insgesamt sehr intensiv, denn wir mussten eine klare Zukunftsperspektive entwickeln und gleichzeitig im Hier und Jetzt unmittelbar wirksame Maßnahmen auf der Ergebnis- und vor allem Effizienzseite realisieren.
Sind Sie mit dem bisher Erreichten zufrieden?
Wir haben als Team in diesen zwei Jahren einiges erreicht. Wir haben eine neue Strategie entwickelt mit einer klaren Zielsetzung für 2020. Wir haben gleichzeitig unsere Strukturen deutlich vereinfacht und den notwendigen Kulturwandel eingeleitet. Das mit Richtung auf die Frage: Was will der Kunde, und was bringt uns den Kunden näher? Gleichzeitig haben wir unser bereits laufendes Kosteneinsparprogramm Fokus um ein Jahr vorgezogen. Dank der Teamleistung der gesamten EnBW werden wir die Sparziele nicht nur früher erreichen, sondern sogar noch übertreffen und schon ab 2014 jährlich über 750 Millionen Euro sparen.
Ein Jobabbau ist kein Thema?
Klar ist, dass das Sparen für uns ein Dauerthema bleibt. Wir werden uns in den nächsten Monaten und Jahren kontinuierlich die Frage stellen, wie wir bestimmte Aufgaben kostengünstiger, schneller und effektiver erledigen können. Da werden Auswirkungen auf die Beschäftigung unvermeidbar sein.
Nochmals: Die EnBW hat jetzt rund 19 000 Mitarbeiter. Bleiben es auf Dauer so viele?
In Bereichen, die wirtschaftlich deutlich unter Druck stehen, und dort, wo wir unsere Abläufe optimieren, werden wir die Stellenzahl spürbar reduzieren müssen. Jede Geschäftsaktivität muss langfristig profitabel sein. Andererseits werden wir Wachstumsbereiche aufbauen und hier auch neue Stellen schaffen. Das alles werden wir mit den Arbeitnehmervertretern intensiv besprechen. Diesen Dialog empfinde ich bei der EnBW als äußerst professionell und konstruktiv. Allen ist bewusst, dass der Kostendruck die nächsten Jahre anhalten wird.
Das macht die Aufgabe nicht leichter. Fühlen Sie sich angekommen im Land?
So weit man das nach 24 Monaten sagen kann, eindeutig ja. Was das Berufliche betrifft, habe ich viele sehr erfolgreiche Unternehmen und Unternehmer kennengelernt. Das ist es ja, was Baden-Württemberg auszeichnet. Davon kann man viel lernen.
Zum Beispiel?
Da geht es um gesunden Unternehmergeist, um Entscheidungsfreude, um Geschwindigkeit und Agilität, um wenig Bürokratie und klare Kundenorientierung. Also alles Dinge, die etwas mit Machen zu tun haben. Das ist mir sehr sympathisch.
Wie oft haben Sie Vertreter von Grün-Rot am Telefon, die Ihnen Druck machen beim Umbau der EnBW vom Atomstromkonzern zum Hort erneuerbarer Energien?
Zunächst mal haben wir zwei große Anteilseigner, die Landesregierung und die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke. Ich wertschätze sehr die gute Zusammenarbeit, die sich immer an der Sache und den Notwendigkeiten orientiert. Da gibt es keinerlei direkte oder indirekte Zurufe.
Das müssen Sie ja sagen: Aber Ministerpräsident Kretschmann und Co. haben Ihren Vorgänger Hans-Peter Villis doch nicht umsonst vor die Tür gesetzt, sondern weil sie die klare Erwartung hatten, dass die EnBW zum Vorzeigekonzern für erneuerbare Energien wird.
Die Erwartungshaltung heißt ganz einfach, das Unternehmen aus der alten Energiewelt erfolgreich in die neue zu führen und dabei die Chancen der Veränderungen zu nutzen. Genau das will ich auch. Sowohl das Land als auch die OEW wissen, dass die EnBW sich in einer schwierigen Lage befindet und der Umbau weder reibungslos noch von heute auf morgen erfolgen kann. Unsere Perspektive ist ein langfristiger struktureller Umbau, der nicht hektisch immer nur auf das nächste Quartal zielt.
Aber es zeigt sich doch immer mehr, dass die Umsetzung der Energiewende längst nicht so leicht ist, wie es zum Beispiel die Grünen gerne hätten. Das Ziel, bis zum Jahr 2020 in Baden-Württemberg rund 1000 neue Windräder zu installieren, ist in weite Ferne gerückt.
Natürlich ist dieses Ziel ambitioniert, und es gibt in jeder Region Bürger, die den Bau von Infrastruktur, wie z. B. von Windrädern, in ihrer Nachbarschaft kritisch sehen. Der Ausbau der Erneuerbaren allein löst aber nicht unser Problem. Was machen wir, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint? Solange wir keine Speichertechnologien haben, brauchen wir Gas- und Kohlekraftwerke für eine sichere Stromversorgung. Diese sind derzeit durch die Situation am Strommarkt hochgradig unwirtschaftlich; gleichzeitig sind sie auf Sicht unverzichtbar. Dieses energiepolitische Problem und diese industriepolitische Schieflage müssen dringend und kurzfristig gelöst werden.
Gibt es eine rote Linie, von der Sie sagen, ab da wird es für die EnBW heikel?
Die Lage ist für unsere Kraftwerke heute schon heikel. Selbst unsere modernsten Kraftwerke verdienen kaum Geld, und wir dürfen auf Weisung der Bundesnetzagentur hochgradig unwirtschaftliche Anlagen nicht stilllegen. Das, was wir mit Kraftwerken eigentlich verdienen müssen, brauchen wir aber zur Investition in den Ausbau der erneuerbaren Energien, der Netze und für neue Produkte. Da wollen wir in den kommenden Jahren Milliarden investieren. Ich hoffe deshalb darauf, dass die Politik spätestens im kommenden Jahr Klarheit schafft, so dass die konventionelle Erzeugung auf eine solide wirtschaftliche Basis gestellt wird.
Wie sehr macht Ihnen die Entwicklung im Nahen Osten, aber auch der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine eigentlich Sorgen mit Blick auf die Energieversorgung in Europa?
Ich beobachte das alles aufmerksam und wie viele Menschen mit grundsätzlicher Sorge. Mögliche Konsequenzen für den Energiemarkt werden in den nächsten Monaten davon abhängen, wie sich die Dinge weiter entwickeln. Stand heute sehe ich aber keine akute Bedrohung unserer Energieversorgung. Denn ich bin sicher, dass sich alle am Konflikt Beteiligten sehr bewusst sind, welche Bedeutung das Thema Energie in diesem Konflikt hat. Ich setze darauf, dass am Ende die Vernunft siegt und Energie nicht politisch als Machtfaktor missbraucht wird.
Fürchten Sie Versorgungsengpässe im Winter?
Nein, aus heutiger Sicht besteht dazu kein Anlass. Es werden ja auch Vorkehrungen getroffen, zum Beispiel. sind die Gasspeicher in Deutschland ausreichend voll.
Angesichts der angespannten Lage für die EnBW und weltweit: Wie sehr stehen Sie unter Strom?
Man hat natürlich eine hohe Grundauslastung mit einem gepackten Terminkalender. Da steht man unweigerlich unter Strom. Aber ich achte darauf, dass es ab und zu auch mal Pausen und Rückzugspunkte gibt.
Wie sehen die aus?
Ich plane gezielt Zeiten ein, in denen ich konzentriert Dinge lesen kann, die man nicht einfach zwischen Tür und Angel erfassen sollte. Da ist dann die Bürotür mal ausnahmsweise zu und das Handy auf stumm geschaltet. Wenn es zum Beispiel um Themen geht, wo das persönliche Gespräch wichtig ist, mache ich das auch gerne beim Spazierengehen mit den Betreffenden. Das ist besser und unverkrampfter, als im Büro zu sitzen. Das Wochenende versuche ich für meine Familie frei zu halten. Auch wenn es nicht immer perfekt klappt, ist das für mich ein hohes Gut.
Und wie oft wird dann am Esstisch über die aktuellen Sorgen der EnBW geredet?
Der Beruf des Vaters ist da selten ein Thema. Wir sind fünf Leute plus Hund. Da gibt es genug anderes zu erzählen und zu bereden.