Khedira, Löw: Wertvolle Tipps vom Juve-Profi für den Bundestrainer? Foto: Getty Images

Noch nie hat eine deutsche Mannschaft bei einem großen Turnier gegen die Squadra Azzurra gewonnen. Unser EM-Kolumnist und Italien-Kenner Hansi Müller erklärt, warum diese Serie nun zu Ende geht: „Es wird eng, aber das spielerische Potenzial unseres Team wird am Ende den kleinen Unterschied machen.“

Stuttgart - Manche Spiele bleiben ewig in Erinnerung. Wie das WM-Finale 1982. Italien siegte 3:1 – und ich darf mich seither Vizeweltmeister nennen. Ehrlich gesagt, wir hatten damals so gut wie keine Chance. Uns steckten noch das dramatische Halbfinale gegen Frankreich (Anm. d. Red.: 1:1, 1:1, 3:3, 8:7 n. E.) in den Knochen. Wir waren erst morgens um 5 Uhr wieder im Teamhotel.

Klar, dass in diesen Tagen meine italienischen Freunde anrufen. Aber allen sage ich das gleiche: Mi dispiace, cari amici. Es tut mir leid, diesmal wird es die Squadra Azzurra erwischen. Deutschland siegt 1:0.

Conte ist ein Fuchs

Denn erstens geht jede Serie mal zu Ende, und zweitens sind die Verhältnisse von damals nicht mit denen vor dem EM-Viertelfinale an diesem Samstagabend zu vergleichen. Nach dem Turnier in Spanien wechselte ich seinerzeit vom VfB Stuttgart zu Inter Mailand. Und binnen kurzem saß ich in der Umkleidekabine zwischen sechs Weltmeistern. Darunter Leuchttürme des Weltfußballs wie Giuseppe Bergomi und Alessandro Altobelli.

Der italienische Fußball war damals der beste der Welt, auch jetzt ist er noch stark, aber andere Nationen haben ihn ein-, wenn nicht sogar überholt. Coach Antonio Conte verfügt nicht über ein Heer von Weltklasse-Fußballern - wie damals Enzo Bearzot. Aber er hat das Spiel maßgerecht auf seinen Kader zugeschnitten. Und er kitzelt aus ihnen das heraus, was italienische Mannschaften schon immer so gefährlich machte. Sie nehmen Freundschaftsspiele nicht besonders ernst, bei Inter Mailand etwa ging es im Training immer ziemlich locker zu, aber sie sind hellwach, wenn es darauf ankommt. Sonntagnachmittags um halb vier brannte in den Augen meiner Teamkollegen bei Inter stets das Feuer der Leidenschaft. Für den Sieg gaben sie immer alles. Und genau diese Passion hat Antonio Conte in seinem ausgebufften Team wieder geweckt.

Kaum anzunehmen ist allerdings, dass heute Abend in Bordeaux viele Tore fallen. Dafür sind beide Abwehrreihen zu stabil. Italiens Bollwerk um das eingespielte Juve-Trio Andrea Barzagli, Giorgio Chiellini und Leonardo Bonucci steht wie eine eins. Torhüter-Legende Gianluigi Buffon musste erst einmal den Ball aus dem Netz holen. Die deutsche Elf ist sogar noch ein Gegentor. Es kann demnach ziemlich eng werden. Aber die Klasse des Weltmeisters, sein spielerisches Potenzial, sollten sich am Ende durchsetzen können. Und ich bin sicher, dass Sami Khedira einige Gespräche mit unserem Bundestrainer führen wird. Er ist seit einer Saison bei Juventus Turin und kennt jeden Kniff, aber auch jede Schwäche seiner Teamkameraden.

Nur eines sollte nach Möglichkeit nicht passieren: Dass die Mannschaft um Joachim Löw in Rückstand gerät. Das hat schon Spanien im Achtelfinale das Genick gebrochen. Italiens Spieler sind unheimlich abgezockt, es gibt kaum ein Team auf der Welt, das einen knappen Vorsprung so clever von der Uhr spielen kann.

Testspiel ein Muster ohne Wert

Ich war neulich in München, als unsere Elf im Testspiel mit 4:1 siegte. Ehrlich gesagt war ich ein wenig schockiert, welchen Stiefel meine italienischen Freunde da kickten, aber Conte ist ein Fuchs. Mein alte Freund Gabriele Oriali, Weltmeister von 1982, zählt zum Trainerteam von Conte. Auch Gabriele ist mit allen Wassern gewaschen. Conte und seine Helfer haben in kurzer Zeit ein Puzzle zusammen gefügt, das mir Respekt einflößt - vor einer Mannschaft, die sich bei dieser EM von Spiel zu Spiel steigerte. Das gilt aber auch für den Weltmeister. Und wenn mich nicht alles täuscht, kann unser Team sogar noch einen Gang hochschalten.

Ich bin allerdings weit davon entfernt, diesen Klassiker als vorweggenommenes Finale zu bewerten. Im Halbfinale wartet womöglich Gastgeber Frankreich. Mit dem Heimvorteil als Trumpf. Das wird um kein Haar leichter als das Duell gegen Italien. Aber ganz gleich, was jetzt noch kommen mag: Es werden Festtage des Fußballs.