Jakob Ilja (links) und Sven Regener beim Auftritt von Element of Crime in Stuttgart Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Innenansichten aus dem Touralltag: Eine Garderobe – irgendwo tief unten in den Katakomben des Stuttgarter Theaterhauses: Sven Regener und Jakob Ilja müssen gleich mit ihrer Band Element Of Crime zum Soundcheck. Vorher servieren sie jedoch noch sehr leckeren Tee in Pappbechern.

Stuttgart- - Herr Regener, Herr Ilja, kenne ich Sie nicht aus dem Fernsehen? Sie sind doch neulich in dem „Tatort“ aus Weimar aufgetreten und haben eines Ihrer Lieder gespielt.
Regener: Ja, das passte doch gut, oder? Dieses Kirmes-Ding, dieser romantische Moment, und dann wir mit unserer Musik.
Und einen Tag nach der Ausstrahlung rannten die Menschen in die Läden, um ihre Platte „Lieblingsfarben und Tiere“ zu kaufen.
Ilja: Stimmt. Man kann über das Fernsehen viel schimpfen, aber TV-Präsenz in so einer Form ist unbezahlbar.
Regener: Ich kann es sogar genau sagen: In der Woche nach dem Neujahrs-„Tatort“ sind Element Of Crime in den LP-Charts von Platz 99 auf 53 geklettert.
Der ein oder andere „Tatort“-Neuzugang hat bestimmt auch ein Ticket für eines ihrer Konzerte am Dienstag und Mittwoch im Theaterhaus gekauft. Und bekam dann nicht nur die neuen Lieder, sondern auch viele alte vorgespielt, die inzwischen ein wunderbares Eigenleben entwickelt zu haben scheinen.
Regener: Durch die neuen Songs bekommen die alten eine andere Farbe. Ein Lied wie „Mehr als sie erlaubt“ kann man so und so spielen. Und wenn man es jetzt nach einer Nummer wie „Rette mich (vor mir selber)“ spielt, hört es sich ganz anders an, als wenn man es beispielsweise nach „Blaulicht und Zwielicht“ im Programm hätte.
Waren Sie eigentlich zwischen den beiden Stuttgart-Shows einmal unten am Necker?
Ilja: Wir haben im Hotel Krone in Tübingen gewohnt. Das ist direkt am Neckar.
Ich frage, weil in mindestens der Hälfte der Songs, die Sie gespielt haben, Flüsse oder das Meer vorkommen.
Regener: Flüsse sind halt ein gutes Thema für Lieder. Sie deuten immer auch die Ferne an. Alle Flüsse münden irgendwann ins Meer, sie verweisen damit auch auf die ganze Welt. Dieses Moment des Fließens und die Wassermetaphorik sind so eine Kulturkonstante. Wahrscheinlich steckt dahinter auch irgendwas Sexuelles. Da will ich aber lieber gar nicht länger drüber nachdenken.
In „Vier Stunden vor Elbe 1“ heißt es: „Scheiß doch auf die Seemannsromantik“ und „Niemand ist gerne allein auf dem Atlantik“. Ist mit einer Band zusammen auf Tour zu sein auch so ein einsames Leben, das gerne romantisch verbrämt wird?
Ilja: Es läuft halt immer nur auf diese zwei Stunden am Abend hinaus. Man geht auf die Bühne, und da passiert es. Das Drumherum ist nicht ganz so glamourös wie oft angenommen. Aber es kann trotzdem sehr unterhaltsam sein.
Regener: Wir als Band spielen ja nur relativ wenige Shows am Stück. Die Leute in den Crews sind viel schlimmer dran. Die sind bis zu 250 Tage im Jahr unterwegs. Das ist dann wirklich wie bei den Seefahrern. Über dieses Leben kann man schöne Lieder singen. Vor allem aber ist sehr harte Arbeit unter sehr schwierigen Bedingungen, ein Leben, das sehr viel Verzicht bedeutet. Das ist so ähnlich wie bei Fernfahrern. Widersprüchliche Existenzen, die vom Fernweh getrieben werden, aber sich gleichzeitig nach Hause sehnen, sind ein toller Stoff für Lieder.
Bleibt auf einer Tour Zeit für Anderes?
Ilja: Ich habe mir früher immer Sachen vorgenommen wie: Das ist die Tour, auf der ich endlich mal Dostojewski lese. Doch ich habe das nie geschafft. Kartenspielen geht dagegen ganz gut.
Regener: Ich mache während der Tour immer diese 24-Sekunden-Filmchen für unsere Facebook-Seite. Für jeden Tag einen mit 24 Szenen, die eine Sekunde lang sind. Und eigentlich ist immer das Gleiche zu sehen, aber genau das ist das Tolle daran: Hier steigen wir aus dem Bus aus, hier ist der Betongang, hier ist das Catering.
Viele Songwriter behaupten, dass sie auf Touren ihre Lieder schreiben.
Regener: Also ich kann das nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir ein einziges Lied auf einer Tournee geschrieben haben.
Herr Regener, Sie sind ja auch Autor, sind Lesereisen ganz anders als Konzerttourneen?
Regener: Der größte Unterschied ist, dass man da alleine durch muss. Ich mache das aber immer nur in kleinen homöopathischen Dosen. Immer so drei, vier Tage und dann wieder nach Hause. So habe ich das bei „Magical Mystery“ gemacht und so werde ich das auch bei künftigen Büchern machen. Bei den Lesungen reicht es, sich eine halbe Stunde vor der Veranstaltung zu konzentrieren. Als Band ist das irgendwie anders, das ist so ein komplexes Gefüge. Als Autor liest man halt was vor und gut ist.
Ilja: Ich finde aber, deine Lesung, die ich gesehen habe, war wie ein Konzert inszeniert. Die Kapitel sind wie Songs. Und am Ende gibt es dann noch so etwas wie eine Zugabe mit einem Knalleffekt.
Regener: Ja, man tut halt, was man am besten kann.
Ilja: Aber ich fand das super, so musikalisch.
Herr Regener, als wir 2014 über Ihren Roman„Magical Mystery“ redeten, schwärmten Sie von Andreas Dorau, den viele nur wegen „Fred vom Jupiter“ kennen, der aber ein Pionier der elektronischen Musik in Deutschland ist. Sie haben mir damals verschwiegen, dass Sie mit ihm ein Buch schreiben, das im Mai erscheint und „Ärger mit der Unsterblichkeit“ heißt.
Regener: Ich kenne Andreas Dorau schon seit 1981. Ich hätte fast bei seiner ersten Tour in seiner Band gespielt. Jetzt haben wir die ganzen lustigen Geschichten aus seinem Leben aufgeschrieben. Andreas ist einfach ein Wegbereiter der deutschen Kunst – auf allen Ebenen. Und einer, der sehr exzentrisch mit der Kulturindustrie umgeht.
Ilja: Ich verspreche, ich schreibe kein Buch über oder mit ihm – und kann das trotzdem nur unterschreiben. Das Œuvre Andreas Doraus wurde immer sträflich vernachlässigt: Sein Umgang mit Samplings, mit Elektronik, mit Lyrik ist einmalig. Wenn Andreas Amerikaner oder Engländer wäre, hätte er schon lange Kultstatus.
Am Dienstag lief im Theaterhaus vor dem Konzert auch Andreas Doraus „Blaumeise Yvonne“. Hat das Publikum da das persönliche Mixtape der Band vorgespielt bekommen?
Regener: Wenn Dorau dabei war, dann war’s diesmal meine Auswahl. Jakob hat auch eine gemacht. „Blaumeise Yvonne“ hatten ja Element Of Crime selbst mal gecovert.
Bei den Konzerten haben Sie diesmal auf Coverversionen verzichtet, aber ein paar sehr alte eigene Nummern herausgekramt „Love & Happiness“ zum Beispiel – ein Stück aus der Zeit, als Element Of Crime noch Englisch sangen. Werden Sie nostalgisch, wenn Sie solche Sturm-und-Drang-Nummern spielen?
Regener: Wir spielen ja direkt vor „Love & Happiness“ das neue Stück „Schade dass ich das nicht wahr“ – ein Lied, das eigentlich genau so ein punkiger Knaller ist, also auf unsere Platten der späten 1980er Jahre verweist, die solche Lieder noch hatten. Brachial, ohne Rücksicht und volle Dröhnung. Zwischen den Songs liegen 27 Jahre, sie sind aber trotzdem ziemlich ähnlich. Diese Punkrock-Attitüde ist also keine Frage des Alters, sondern ob man da gerade Lust drauf hat oder nicht.
Punkrock heißt auch, dass auf der Bühne ruhige mal was schiefen kann, oder?
Ilja: Eine fehlerfreie Show ist nicht unbedingt eine gute Show.
Regener: Man darf nicht zum Kontrollfreak auf der Bühne werden. Wer das Unwägbare nicht zulässt, macht etwas falsch. So etwas wäre kunstfeindlich. Im Rock’n’Roll gehört es auch dazu, dass es kracht und stinkt. Wenn man nichts riskiert, dann kann auch nichts passieren.
Bei der Setlist riskieren sie allerdings nichts, spielen jeden Abend die gleichen Lieder.
Regener: Wenn man sich dabei langweilt, wenn man seine eigenen Stücke jeden Abend immer wieder spielt, stimmt mit den Songs was nicht. Wenn das tolle Songs sind und es ein toller Abend war – warum das nicht am nächsten Abend wieder machen? Man fragt die Rolling Stones ja auch nicht, warum sie jeden Abend „Sympathy For The Devil“ spielen.