Andreas Kümmert verabschiedet sich und hinterlässt Ratlosigkeit Foto: dpa

Kopfschütteln und Buhrufe im Publikum: Andreas Kümmert nimmt das ESC-Ticket nicht an. So mancher fragt: Konnte er sich nicht früher überlegen, dass der größte Musikwettbewerb der Welt nichts für ihn ist?

Hannover - Für Andreas Kümmert ist der Eurovision Song Contest nach Angaben seiner Plattenfirma eine „Herzensangelegenheit“ gewesen. Doch als sein Wunsch wahr wird, stößt der 28-Jährige alle Fans, die ihn gewählt haben, vor den Kopf. „Ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen“, sagt der Rock- und Soulsänger, der so gar nicht in die glitzernde Grand-Prix-Welt passen will.

Das Publikum in Hannover reagiert mit Pfiffen und Buhrufen. Er sei ein „kleiner Sänger“, bringt Kümmert vor. Die vom Publikum auf Platz zwei gewählte Ann Sophie sei viel geeigneter und qualifizierter als er. Der Unmut wächst, die Pfiffe werden lauter. „Das ist ein Coitus interruptus der schlimmsten Sorte“, versucht Moderatorin Barbara Schöneberger die Situation zu retten. Dann erklärt sie Ann Sophie kurzerhand zur Siegerin.

Wenn er nur ein kleiner Sänger ist, warum tritt er dann beim Vorentscheid für den größten Musikwettbewerb der Welt an? Im Internet wird am Tag nach der Show „Unser Song für Österreich“ heftig über die Motive diskutiert. Viele fühlen sich von ihm veräppelt, andere zollen ihm Respekt. „Ich finde es sehr unfair, dass er das so spät gesagt hat. Damit hat er anderen Chancen verbaut“, meint Michael Sonneck, Vorsitzender des Fanclubs Eurovision Club Germany. Ann Sophie dagegen nimmt den Sieger, der keiner sein will, in Schutz: „Ich finde das megamutig, dass er in dem Moment so auf sein Herz gehört hat.“ Und Kümmert selber? Er ist abgetaucht.

Außenseiter in der Welt der Stars und Sternchen

Weder der für die Show verantwortliche NDR noch das Team um den Musiker hatten Kümmerts Titelverzicht vorausgeahnt, beteuern beide nach dem Eklat. Dabei war bereits bei der Bekanntgabe der Kandidaten für den Vorentscheid gerätselt worden, warum ausgerechnet Kümmert antritt. Der Sänger hatte im Dezember 2013 die Castingshow „The Voice of Germany“ gewonnen, schien sich aber nie wohlzufühlen im Zirkus des Showbusiness. Noch am Tag vor dem Vorentscheid war er beim Arzt, hatte Proben und Pressekonferenz verpasst. Von 40 Grad Fieber war die Rede.

Kümmert ist ein Außenseiter in der Welt der Stars und Sternchen. Wenn er spricht, wirkt er unsicher. Wenn er singt, zieht er das Publikum in seinen Bann. Mal klingt er zerbrechlich, mal wie Dynamit. „Ein Mann wie ein Baum, eine Stimme wie Woodstock“, moderierte Schöneberger seinen ersten Auftritt an. War es die Krankheit, der Medienrummel oder wollte er nie nach Wien fahren, sondern nur seine neuen Songs vorstellen? Die wahren Gründe für seinen Rückzug kennt wahrscheinlich nur Kümmert selbst.

Im ersten Moment sei er geschockt gewesen, sagt Hans Derer von der „7us media group“ in Winnenden, die 2013 Kümmerts zweites Album „The Mad Hatter’s Neighbours“ auf den Markt brachte. Im Nachhinein sei es aber die richtige Entscheidung gewesen. „Er hat die Reißleine gezogen und erspart sich dadurch, dass er in Wien herumgereicht wird und Dinge tun muss, die er einfach nicht machen will.“ Die Arbeit eines Musikers bestehe nur zu 30 Prozent aus Musik, aber zu 70 Prozent aus Interviews und Foto-Sessions. Das sei einfach nicht sein Ding. „Nur auf der Bühne ist Andreas mit sich im Reinen.“

„Lasst mich doch bitte in Frieden!“

An ein abgekartetes Spiel glaubt Derer nicht. „Da kam einfach viel zusammen. Er hat einen Prozess mit seinem ehemaligen Manager am Hals, dann flatterte jetzt noch eine Klage ins Haus von einigen Besuchern seines Konzerts in Heilbronn, die er aufs Übelste beschimpft haben soll.“ Drei Stunden vor seinem Auftritt beim Vorentscheid habe Kümmert gepostet: „Lasst mich doch bitte in Frieden!“

„Er war also in einer emotionalen Lage, die sicher nicht einfach für ihn war“, glaubt Derer. Der Sieg bei „The Voice of Germany“ sei gut für seine Karriere gewesen – aber nicht für den Menschen Kümmert.“ Kümmert fühle sich bei Konzerten vor 80 Leuten am wohlsten, vielleicht sei die große Bühne dann doch ein Stück zu groß gewesen.

Dass Kümmert psychische Probleme hat, wie in Branchenkreisen gemunkelt wird, will Derer nicht kommentieren. Negative Auswirkungen auf die Karriere des Sängers fürchtet er nicht. „Qualität setzt sich durch – und die hat er. Ich hoffe einfach, dass er nun innehält, sich Hilfe sucht – denn im Moment hat er nicht mal einen Manager – und dann sein Leben wieder in Ordnung bringt.“ Denn in erster Linie sei Kümmert vor allem eines: „ein begnadeter Musiker“.