Der Rote Heuler Foto: Kraufmann

Eisenbahn-Erlebniswelt: 50 historische Züge müssen von Stuttgart nach Horb umziehen.

Stuttgart - Stuttgart 21 kostet die Landeshauptstadt ein potenzielles Eisenbahnmuseum: über 50 historische Schienenfahrzeuge müssen ihr Abstellgleis im ehemaligen Postbahnhof räumen, weil der geplante Tiefbahnhof die Sammlung vom Gleisnetz abschneidet. Die neue Endstation entsteht in Horb am Neckar.

Unter Liebhabern ist das Bahnmuseum in Nürnberg immer eine Reise wert. Nicht so weit weg lassen sich historische Schienenfahrzeuge im Süddeutschen Eisenbahnmuseum in Heilbronn bewundern. Kaum bekannt ist, dass auch im ehemaligen Stuttgarter Postbahnhof am Rande des Rosensteinparks sehenswerte Oldtimer der Eisenbahngeschichte stehen. Etwa der letzte noch erhaltene Elektrotriebwagen ET 27, der in den sechziger und siebziger Jahren in der Region Stuttgart unterwegs war. Diese Baureihe gilt als Vorläufer des S-Bahn-Modells ET 420, dessen erstes im Verkehrsverbund Stuttgart eingesetzte Exemplar auch zu dieser Sammlung gehört.

Aufgebaut wurde die Oldie-Galerie seit 1994 vom Cannstatter Claus-Jürgen Hauf. Zwei Jahre später gründete der hauptberuflich als Strafrichter tätige Eisenbahnfan mit Mitstreitern die Schienenverkehrsgesellschaft (SVG), um mit betriebsbereiten Oldtimern wie dem "Roten Heuler" ET 65 auf Fahrt gehen zu können. Doch öffentlich zugänglich war die Sammlung im stillgelegten Stuttgarter Postbahnhof bislang nie. "Der Komplex wird noch teilweise von der Post genutzt", nennt SVG-Sonderverkehrsleiter Sven Ritter einen Grund.

Daran wird sich nichts mehr ändern. "Seit klar ist, dass Stuttgart 21 realisiert werden soll, haben wir nach alternativen Standorten gesucht", sagt Ritter. Der Grund: Mit Inbetriebnahme des Tiefbahnhofs wird das bisherige Gleisvorfeld des Hauptbahnhofs überflüssig, der Abriss von Zulaufstrecken und Gleisgebirgen schneidet die fahrbereiten Oldtimer dann vom Schienennetz ab.

Auch wird der Postbahnhof zum Fall für die Abrissbirne, um das Stadtquartier Rosenstein zu realisieren. "Unser Wunschstandort wäre der Cannstatter Güterbahnhof gewesen", sagt Ritter. Aber auch dort sollen vorhandene Gleisanschlüsse einem neuen Stadtviertel weichen. Fündig wurde man schließlich in Horb am Neckar, wo die Bahn im Frühjahr 2010 den stillgelegten Güterbahnhof zum Verkauf anbot. "Seitdem laufen dort die Arbeiten für unsere neue Eisenbahn-Erlebniswelt", erläutert Ritter. Das Herzstück des Mobilitätszentrums, eine 250 Meter lange Abstell- und Ausstellungshalle, steht mittlerweile. Auf dem Dach glänzen 8000 Quadratmeter Sonnenkollektoren. Im Innern laufen die letzten Ausbauten.


Das Museumskonzept sieht Besichtigung, Bistro, Kino, Kinderbahn, Modellbahn-Ausstellungen und Spielplätze vor. Das alte Horber Stellwerk, bis vor kurzem noch besetzt, wird ebenfalls zu Museumszwecken genutzt. Ein Fahrzeug, das während der Nazizeit zur Judendeportation eingesetzt wurde, soll Schulklassen das finsterste Kapitel deutscher Eisenbahngeschichte zeigen.

Historische Waggons sollen Besucher vom Horber Bahnhof zur Erlebniswelt bringen. Erste Schienenraritäten wurden bereits im vergangenen November in die Erlebniswelt überführt. "Am 30. April wollen wir eröffnen", erwähnt Ritter. Rund 2,4 Millionen Euro kosten Umzug und Neubau. Eine stolze Summe, die die Eisenbahnfreunde komplett selbst aufbringen müssen.

Trotz Fürsprache des ehemaligen Horber Oberbürgermeisters und heutigen FDP-Europaabgeordneten Michael Theurer weigerten sich die S-21-Projektpartner Bund, Bahn und Land, Geld für das neue Oldtimer-Domizil lockerzumachen. "Dass wir im Zuge des Milliardenprojekts allein auf uns gestellt bleiben, enttäuscht gewaltig", sagt SVG-Gründer Claus-Jürgen Hauf. Nur mit einem Millionenbetrag aus dessen Privatvermögen ließ sich die neue Eisenbahnwelt realisieren. Dennoch fehlen derzeit noch rund 200.000 Euro.

Geld für das Museum fuhr die SVG bisher auch mit Sonderverkehren ein, etwa mit Fußball-Fanzügen für den VfB Stuttgart oder mit nächtlichen Partyzügen. Mit Stuttgart 21 droht diese Einnahmequelle zu versiegen, weil für Diesel- und Dampflokomotiven die Signale vor den Tunnelstrecken zum neuen Tiefbahnhof grundsätzlich auf Rot stehen. Gleiches gilt aus technischen Gründen für alte Elektrotriebwagen. Selbst die Gäubahntrasse, deren Erhalt im Schlichterspruch gefordert wird, wäre wegen fehlender Stellwerksbesetzung nächtens für die Fan- und Partyzüge gesperrt.

"Wir werden den Stuttgarter Hauptbahnhof nicht mehr anfahren können, sondern auf Umwegen an Ausweichbahnhöfen in der Region halten müssen". Ritter befürchtet, dass das nostalgische Eisenbahnzeitalter mit Stuttgart 21 in der Landeshauptstadt wohl endgültig zu Ende ist.

Zur Eröffnung der neuen Eisenbahnerlebniswelt verkehrt am 30. April ein Dampfsonderzug vom Stuttgarter Hauptbahnhof nach Horb. Infos und Buchungen unter www.eisenbahn-erlebniswelt.de oder Telefon 0172/7420198.