Eisbär Knut mit seinem Pfleger Thomas Dörflein Foto: dpa

Millionen Zoobesucher waren hingerissen vom knuddeligen Eisbären Knut. 2011 starb er – im Alter von nur vier Jahren. Jetzt haben Forscher die Ursache seines plötzlichen Todes gefunden.

Berlin – Riesige Knopfaugen und kuschelig weißes Fell waren die Markenzeichen von Eisbär Knut. Bilder des Pflegers Thomas Dörflein, der das von seiner Mutter verstoßene Tierbaby mit der Flasche großzog, machten den Berliner Zoo-Bewohner zum Star. Nach seinem plötzlichen Tod im Alter von nur vier Jahren trauerten Fans in ganz Deutschland und darüber hinaus. Jetzt haben Forscher die genaue Ursache von Knuts Krankheit entdeckt.

Der Neurowissenschaftler Harald Prüß vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen fand zusammen mit Kollegen heraus: Eine Autoimmunreaktion hat Knuts Gehirnentzündung verursacht hat. Sie hatte bei ihm im März 2011 einen epileptischen Anfall ausgelöst. In dessen Folge stürzte der Eisbär ins Wasser und ertrank. Die Studie wurde im Fachmagazin „Scientific Reports“ veröffentlicht.

„Abwehrsystem schießt über das Ziel hinaus“

Die sogenannte Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis wurde bislang nur bei Menschen nachgewiesen und auch das erst vor wenigen Jahren in den USA. Bei dieser Entzündung des Gehirns greifen Antikörper die für die Lern- und Gedächtnisbildung zuständigen Schlüsselstellen an. „Das Abwehrsystem des Körpers schießt gewissermaßen über das eigene Ziel hinaus“, erklärt Prüß. Statt Krankheiten zu bekämpfen würden die Antikörper eigene Nervenzellen blockieren. Epileptische Anfälle, Halluzinationen und Demenz können die Folge sein.

Knut ist bis heute unvergessen. Noch immer treffen sich Fans im Zoo, um seiner zu gedenken. Dort erinnert auch ein Denkmal an ihn. Bis zu seinem Tod 2011 hatten den tierischen Star, der mit fortschreitendem Alter nicht mehr ganz so niedlich aussah, mehr als elf Millionen Menschen besucht. Seit 2014 ist der präparierte Eisbär im Berliner Museum für Naturkunde ausgestellt.

Ursache des Leidens blieb lange im Dunkeln

Zoodirektor Andreas Knieriem gratulierte den Wissenschaftlern: „Sie haben die Basis dafür geschaffen, dass in Zukunft entsprechende Erkrankungen wie die von Knut früher erkannt und behandelt werden können.“ Dass Knut unter einer Gehirnentzündung litt, hatte das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Januar 2014 bekanntgegeben. Doch die Ursache für das Leiden - oft sind Viren oder Bakterien der Auslöser - blieb im Dunkeln.

Damals schienen alle Möglichkeiten an Tests ausgeschöpft, so IZW-Wildtier-Spezialist Alex Greenwood am Donnerstag. „Nichts konnte Knuts Gehirnentzündung erklären.“ Dabei hätten sein Team, mehrere Dutzend internationale Experten und er so umfassend wie noch nie bei einem Wildtier geforscht. Als er zum Ende der Pressekonferenz seinen Kollegen für den unermüdlichen Einsatz dankt, wirkt es, als hätten die Forscher schon resigniert gehabt: „Wir dachten, vielleicht findet man es in 30 Jahren heraus.“

Hirnproben bringen Gewissheit

Knuts Autopsiebericht mit der Diagnose „Enzephalitis ohne Erregernachweis“ ließ jedoch den Neurowissenschaftler Prüß hellhörig werden. An der Charité, wo er ebenfalls beschäftigt ist, hatte eine Studie von 2010 gezeigt, dass viele unaufgeklärte Enzephalitis-Fälle beim Menschen auf die in den USA entdeckte Autoimmunreaktion zurückzuführen waren. „86 Prozent der Fälle aus fünf Jahren konnten wir so aufklären“, sagt Prüß. Ihm sei klar gewesen, dass auch Knuts Krankheit eine ähnliche Ursache haben könnte. Eine Untersuchung von Hirnproben brachte Gewissheit. „Es war vergleichsweise einfach, der Spur nachzugehen“, so Prüß am Donnerstag.

Es sei „ein tolles Erbe von Knut“, dass die Krankheit nun erstmals beim Wildtier nachgewiesen sei, bilanzierte Greenwood. Denn sie sei, rechtzeitig erkannt, relativ leicht behandelbar - etwa mit Kortison, wie die Forscher und Tierarzt Andreas Ochs vom Berliner Zoo sagten. „Künftig müssen wir nicht mehr hilflos danebenstehen“, so Greenwood. Durch den prominenten Fall könnten zudem Ärzte und Angehörige von Patienten mit ähnlichen Symptomen und ungeklärten Ursachen hellhörig werden, hofft Prüß. Der relativ günstige Test auf die Antikörper sei etwa bei Demenz-Verdacht aber bislang kein Standard.

Die Lösung des Rätsels habe ihn an die Euphorie von 2010 an der Charité erinnert, sagt Prüß. „Es ist damals eine Tür aufgestoßen worden. Die Neurologie hat sich revolutioniert.“ Das scheine jetzt auch für die Zoo- und Wildtierforschung zu gelten. In Zoos leiden immer wieder Tiere an einer Hirnentzündung. „Ein Drittel der Fälle sind unaufgeklärt“, sagt IZW-Forscher Alex Greenwood. Das könnte sich nun ändern.