Ein Richter geht gegen den Vorwurf vor, er sei faul Foto: dpa

Ein Richter klagt vor dem Dienstgerichtshof in Stuttgart gegen seine Chefin. Sie hat ihn ermahnt, schneller zu arbeiten.

Stuttgart - Ein ungewöhnliches Verfahren beschäftigt die Justiz in Stuttgart: Ein Richter wehrt sich gegen die Ermahnung seiner Vorgesetzten, schneller zu arbeiten. Für die einen ist das ein Einzelfall, andere sehen die Unabhängigkeit der Justiz bedroht.

Die Anwältin des Richters hat am Freitag zu Beginn der Verhandlung vor dem Dienstgerichtshof für Richter am Stuttgarter Oberlandesgericht (OLG) einen Befangenheitsantrag gestellt. Es sei keine unparteiische Entscheidung des Gerichts zu erwarten, sagte Anwältin Christina Gröbmayr. Sie bemängelte, dass die Präsidentin des OLG Karlsruhe nicht zu dem Verfahren geladen wurde. Ein persönliches Erscheinen sei notwendig, um den Sachverhalt aufzuklären.

Dem Kläger, der in einem Außensenat des OLG Karlsruhe in Freiburg tätig ist, wird vorgehalten, er sei erheblich hinter den durchschnittlichen Erledigungszahlen zurückgeblieben. Der Richter hingegen macht geltend, die Ermahnung der Präsidentin verletze ihn in seiner verfassungsrechtlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit. Die Präsidentin wolle den Richter zu einer anderen Rechtsanwendung zwingen, so die Anwältin des Klägers. Sie sprach von einem „politischen Prozess“. Die grün-rote Landesregierung habe das politische Interesse, dass Richter möglichst wenig kosteten, aber: „Richterliche Unabhängigkeit kostet Geld.“

Der Vertreter des OLG Karlsruhe trat den Vorwürfen entgegen. Christoph Reichert sagte, es liege nahe, dass die Anwältin das Verfahren verzögern wolle. Er warf Gröbmayr Polemik vor. Es seien viele Dinge vorgetragen worden, die mit der Sache nichts zu tun hätten.

Die Ermahnung seiner Chefin, er habe zahlreiche Verfahren „nicht oder jedenfalls nur völlig unzureichend bearbeitet“, will der Karlsruher Richter jedenfalls nicht hinnehmen. Also reichte er gleich drei Klageanträge ein – und scheiterte vor dem Landgericht Karlsruhe. Dem Kläger geht es jetzt vor dem Dienstgerichtshof in Stuttgart nicht um Faulheit oder Schnelligkeit, sondern um seine Unabhängigkeit als Richter.

Seine Anwältin Christina Gröbmayr ist sicher: „Dieses Verfahren hat für Deutschland insgesamt ganz wichtige Auswirkungen, alle Richter werden da genau hinschauen.“ Der Fall sei symptomatisch für die Justiz. „Den teils offen, teils subtil ausgeübten Druck, eine bestimmte Anzahl von Verfahren zu erledigen, gibt es überall. Das fängt schon bei Richtern auf Probe an und spielt eine wichtige Rolle bei der Verbeamtung.“

In der 2011 von der Karlsruher OLG-Präsidentin Christine Hügel ausgesprochenen Ermahnung wird dem Zivilrichter vorgehalten, er habe nur etwa 68 Prozent der Durchschnittsleistung anderer Richter erreicht.

Ihr Mandant habe einfach gründlich gearbeitet, gehe vielen Fragen analytisch nach, und zudem gehe es gerade im Zivilrecht um zunehmend komplexere Sachverhalte, so Anwältin Gröbmayr. Die richterliche Unabhängigkeit erfordere es, sich eingehend mit jedem Fall zu beschäftigen. Eine vorgegebene Erledigungsquote dürfe da keine Rolle spielen.

Richter stünden immer vor der Aufgabe, Verfahren zügig zu erledigen, sagt der Vorsitzende des Vereins der Richter und Staatsanwälte in Baden-Württemberg, Matthias Grewe. „Es gibt da ein Spannungsverhältnis zur richterlichen Unabhängigkeit, aber es gibt auch eine Grenze, jenseits derer eine Ermahnung gerechtfertigt ist.“ Für Grewe ist das Verfahren ein Einzelfall.

Für die Neue Richtervereinigung wirft der Fall ein Schlaglicht auf die Lage der Justiz. Der Druck und die Zahl der anhängigen Fälle hätten sich dramatisch verändert, sagt der Sprecher des Landesverbands, Johann Bader. „Wenn der Finanzminister und der Justizminister weiter an der Sparschraube drehen, dann haben wir nicht nur ein Verfahren, sondern einen Deichbruch.“

Bei aller Brisanz muss der Dienstgerichtshof jetzt prüfen, ob die Verfügung der Karlsruher Gerichtspräsidentin rechtmäßig war. Disziplinarrechtliche Schritte gab es nicht. „Das Verfahren ist einzigartig“, so Stefan Schüler, der Sprecher des OLG Stuttgart. Anwältin Gröbmayr will jedenfalls nicht lockerlassen. „Falls nötig, gehen wir bis zum Bundesverfassungsgericht.“