Philipp Nothdurft (links) spricht über den Wandel in der City. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Der Handel und damit die Stadt wandeln sich schneller als jemals zuvor. In welche Richtung diese Veränderungen gehen könnten, dieser Frage ist der Immobilienexperte Philipp Nothdurft beim Fenstergespräch an der Geißstraße nachgegangen.

Stuttgart - Menschen aus der Stadt sprechen über ihre Stadt – über Stuttgart. Der Immobilienexperte Philipp Nothdurft betrachtet seine Heimatstadt sowohl mit privater als auch mit beruflicher Brille. „Als ich vor 15 Jahren begonnen habe, mich professionell mit Immobilien und Stadtentwicklung zu beschäftigen, galt Stuttgart im Vergleich der deutschen Großstädte noch als absolute Provinz“, sagt er. „Diese Meinung habe ich schon damals nicht geteilt“, fügt Nothdurft an. „Und in den vergangenen Jahren hat sich die Stadt ja auch ganz massiv verändert.“

Trotzdem landet Stuttgart in einer jüngst veröffentlichten Studie über die attraktivsten Standorte für internationale Handelsmarken weltweit auf Platz 125 und in Europa auf Platz 41. „Das spiegelt keinesfalls die wahre stärke des Standorts wider“, sagt Nothdurft. „Nennen Sie mir doch mal die Gründe, warum Bratislava, Lissabon oder Lyon deutlich attraktiver sein sollen. An der Wirtschaftskraft der Region kann das nicht liegen.“ Doch das Ergebnis zeige das Imageproblem von Stuttgart.

Ohne die Region, wäre Stuttgart kaum von Bedeutung

Seine Analyse: „In Stuttgart wurde einiges an Stadtreparatur betrieben“, sagt er und nennt die neuen Gebäude entlang der Lautenschlagerstraße oder die Neugestaltung des Kleinen Schlossplatzes als Beispiele. Treiber der Entwicklung sei die hohe Wirtschaftskraft. Also hat sich die Stadt von ihrem provinziellen Image gelöst? In Deutschland stehen noch immer Berlin, München, Hamburg, Frankfurt oder Düsseldorf in der Gunst der großen Handelsunternehmen höher. Der Grund: „Die Grenzen Stuttgarts und der Kessel sind eng. Und das Konzept und die Bedeutung der Metropolregion nicht einfach zu erklären“, berichtet Nothdurft. Soll heißen; ohne das finanzstarke Umland wäre Stuttgart mit seinen rund 600 000 Einwohnern nicht von größerer Bedeutung. Doch als Region mit knapp 2,7 Millionen kaufkräftigen Kunden ist die Situation eine andere.

Hat also eine große Modekette, ein Sportschuhhersteller oder ein angesagter Elektronikkonzern einmal entschieden, dass er um einen neuen Laden in der Region nicht umhinkommt, stellt sich die Frage, wo sich dieser befinden soll. Hier kommt Philipp Nothdurft ins Spiel. Der Gewerbemakler vermittelt zwischen Immobilieneignern und potenziellen Mietern. Beim Zusammenspiel von Stadt und Region stellt sich aus seiner Sicht jedoch sofort die Frage: „Wenn der Handel in Stuttgart gewinnt, ist es dann sinnvoll, gleichzeitig die Standorte im Umland ebenfalls auszubauen?“ Die Probleme verschiedener Einkaufszentren in der Stadt und der Region oder das Aus von Karstadt hätten gezeigt, dass nicht nur kleine, inhabergeführte Betriebe dem Wandel im Handel zum Opfer fallen könnten, so der Makler.

Eines steht aus Sicht von Philipp Nothdurft jedenfalls fest: „Es wird inzwischen um jeden Kunden gekämpft.“ Reine Onlinekonzerne wie Zalando oder Amazon versuchen, sich mehr und mehr auch im stationären Handel und eröffnen ganz reale Ladengeschäfte. Währenddessen gehört der eigene Onlineshop auch für die kleinsten Betriebe inzwischen zum Alltag. „Online beschleunigt den Wandel“, sagt Nothdurft. „Die Veränderungen laufen immer schneller ab.“ Doch die Zukunft sieht der Experte für Handelsimmobilien nicht ausschließlich digital. „So wie wir hier sitzen, das hat doch etwas für sich“, sagt er und schaut hinüber zum Hans-im-Glück-Brunnen. „Die Stadt zu erleben, das werden sich die Menschen nicht nehmen lassen, egal wie sehr der Onlinehandel gewinnt.“

Es ist ein beträchtlicher Aufwand, im Internet aktiv zu sein

Grundsätzlich stelle sich bei all den Veränderungen im Handel die Frage: „Welches sind alte Tugenden und Qualitäten, die es auch in einer digitalen Welt zu erhalten gilt, und welche Weisheiten von früher gelten heute nicht mehr.“ Ein positives Beispiel sei etwa Breuninger, sagt Nothdurft. „Speziell das Haus in Stuttgart pflegt ein sehr beständiges Image, doch es werden ständig neue Dinge ausprobiert.“ Dort gelinge der Spagat zwischen Tradition und Innovation im Stuttgarter Handel am besten. Das hauseigene Immobilienprojekt Dorotheen Quartier am Karlsplatz sei nur ein Beispiel für die Bereitschaft zum Wandel, so Nothdruft. Alles in allem ist der Einzelhandel komplexer geworden. Und: „Die Großen sind mächtiger geworden.“ Kleine Einzelhändler hätte es hingegen zunehmend schwer. Aktuelle Trends in rascher Abfolge mitgehen und neben dem eigentlichen Geschäft zusätzlich im Internet aktiv sein, all das koste eine Menge Zeit und damit Personal.

Für die Zukunft wünscht sich Nothdurft in Stuttgart etwas mehr Mut. Der Wandel laufe ja ohnehin an, es stelle sich nur die Frage, ob man nicht hin und wieder etwas forscher agieren könnte und den Fokus auf eine sehr behutsame Entwicklung der Stadt ein wenig lockern könnte, sagt er.

Haben Sie die Entwicklung im Stuttgarter Handel tatsächlich als „Behutsam“ bezeichnet? Andernorts werde spekulativer und damit auch mutiger agiert – ein Bau auch ohne unterzeichnete Mietverträge begonnen, antwortet der Makler. „In Stuttgart läuft es sehr solide und behutsam ab“, fasst Nothdurft zusammen und fügt an: „Es wird sich zeigen, ob das Behutsame eine Stärke ist, die es zu erhalten gilt, oder eine Weisheit, die heute so nicht mehr gilt.“