Taschentücher, Blumen, Schokolade – offenbar fällt einigen Kunden der Abschied von Turhan Sandikci schwer. Foto: Sascha Maier

Mit Ausnahme der Buchhandlung Osiander war am 31. Januar Schluss für den Einzelhandel im Europahaus. Dabei sind auch Tränen geflossen. Ungewiss bleibt, wie es mit der Immobilie jetzt weitergehen soll.

Stuttgart - Blumensträuße, Pralinen und eine Box mit Taschentüchern sind eigentlich nichts, was man in einem Fotoladen erwarten würde. Doch der 31. Januar ist auch kein normaler Tag im Foto Blue Arts im Europahaus in der Nadlerstraße – es ist der letzte. Mit Ausnahme der Buchhandlung Osiander, die noch bis zum 1. März bleiben darf, haben am Mittwoch alle Einzelhändler dort geschlossen.

Turhan Sandikci, Inhaber des Fotofachgeschäfts Foto Blue Arts, scheint es besonders hart getroffen zu haben. „Wir sind ein Familienunternehmen und hatten eine sehr persönliche Bindung zu unserer Kundschaft“, sagt er. Diese Stammkundschaft habe die Blumensträuße und die Schokolade mitgebracht. Die Tempobox sei von ihm. „Manche mussten weinen.“

Den Tränen nahe

Drei Jahre lang hat Sandikci das kleine Geschäft hinterm Rathaus betrieben. Eine neue Ladenfläche konnte er bis jetzt nicht finden. „Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll“, sagt er, während er die letzte Postauslieferung ordnet. Als ein Kunde eintritt, nach Briefmarken fragt, und Sandikci ihn ohne wieder wegschicken muss, scheint er selbst den Tränen nahe.

Vielleicht auch, weil er bis zuletzt hoffte, dass er womöglich nach zwei Fristverlängerungen noch länger bleiben dürfe. Sandikci ist somit offenbar die Zeit davongelaufen, ein neues Mietobjekt zu finden.

Ähnlich geht es der Mietergemeinschaft in dem Kunst- und Accessoir-Geschäft Der Laden nebenan (wir haben berichtet). Bereits am Nachmittag sind die Kreativen dort fleißig am Ausräumen.

Es fehlt teils an neuen Räumen

Eine von ihnen ist Manuela Dörr. „Eine Anfrage an die Stadt, verlängern zu dürfen, wurde leider abgelehnt“, sagt sie. Immerhin: Aus den ursprünglich sechs Monaten, die dem auf Zeit angelegten Laden zugesichert worden waren, sind am Ende 20 geworden. Doch auch hier: Eine geeignete Immobilie ist bislang nicht gefunden. „Die Suche ist wegen der Mietpreise für uns natürlich etwas eingeschränkt“, sagt Dörr. Doch aufgeben will die Mietergemeinschaft nicht: Die Fühler sind offenbar ausgestreckt und man hofft, zeitnah etwas Passendes zu finden.

Thomas Herrmann vom Teeladen ist dies bereits gelungen. „Wir betreiben bereits parallel unseren neuen Laden in der Eberhardstraße“, sagt er. Es sei zwar – da es sich ebenfalls um einen Familienbetrieb handelt – momentan nicht ganz einfach, zwei Geschäfte gleichzeitig zu führen. „Aber mittelfristig sind die Aussichten gut.“

Osiander bleibt bis März

Herrmann hofft aufgrund der örtlichen Nähe beider Standorte, dass er seine Stammkundschaft mitziehen kann. Einer kleinen Gruppe junger Leute, die sich für Gesundheitstee interessiert, erklärt er direkt, wo sie ihn finden können. „Wenn wir die alten Kunden mitnehmen können und am neuen Standort neue finden, könnte der Umzug sich sogar am Ende lohnen“, sagt Herrmann.

Da die Buchhandlung Osiander noch einen Monat länger bleiben darf, ist die Lage dort ruhiger. Allerdings wird dort, anders als beim Teeladen, kein nahtloser Übergang in neue Räumlichkeiten möglich sein. „Die neuen Flächen im ehemaligen Schreibwarengeschäft Haufler werden wohl erst später bezugsfertig sein“, sagt ein Mitarbeiter vor Ort.

OG bleibt bis April

Unterschiedliche Auffassungen herrschen darüber, wie die Stadt, beziehungsweise der neue Investor Colliers, der ein Hotel aus dem Europahaus machen will, die Mieter über ihre Zukunft informiert hat. „Ich fühle mich sehr schlecht informiert. Ich habe alle Mitarbeiter gekündigt und erst dann erfahren, dass es noch etwas weitergeht“, sagt Turhan Sandikci vom Fotofachgeschäft. Anders sieht es der Teehändler Thomas Herrmann. „Wir wussten ja, was uns erwartet“, sagt er. Womöglich habe er aber auch etwas Glück gehabt, dass für ihn die Zeit für einen „behutsamen Übergang“ gereicht hat.

Die anderen Mieter, etwa das Sportamt und das namensgebende Europa-Zentrum Baden-Württemberg, das durch Landesmittel finanziert wird, dürfen bis April bleiben. „Es ist schon lange beurkundet, dass die Mieter im Obergeschoss etwas länger bleiben dürfen“, sagt Martin Thronberens, ein Sprecher der Stadt. Die exakte Terminplanung des Investoren Michael Bräutigam kenne die Stadtverwaltung allerdings nicht. Bräutigam war für eine Auskunft auf Anfrage unserer Zeitung nicht zu erreichen.

Hotel mit 90 Zimmern

Zuletzt schien es einige Schwierigkeiten mit der Realisierung des Umbaus des Europahauses zu einem Designhotel gegeben zu haben. Denn Bräutigam hat zwar den Großteil der Immobilie erworben – Streitigkeiten einer privaten Eigentümergemeinschaft, die den Rest des Gebäudes hält, sollen die Verkaufsverhandlungen aber erschwert haben. Ob bis zum jetzigen Zeitpunkt eine Einigung erzielt wurde, ist nicht bekannt.

Der Beginn der Arbeiten war für das erste Quartal 2017 geplant, ein Termin für die Fertigstellung wurde genannt. Insgesamt soll das Hotel etwa 90 Zimmer bekommen, die Fassade komplett umgestaltet werden. Im Erdgeschoss könnte sich Bräutigam auch vorstellen, dass wieder einige Einzelhändler einziehen. Kostenpunkt für die Baumaßnahmen: sechs Millionen Euro – also ungefähr so viel, wie der Kauf der Immobilie selbst.