In der voll besetzten Sporthalle gab es mal Applaus, mal heftige Kritik. Oberbürgermeister Fritz Kuhn (r.) und einige seiner Bürgermeister standen Rede und Antwort. Foto: Chris Lederer

Auf großes Interesse ist die Einwohnerversammlung mit dem Oberbürgermeister gestoßen. In der voll besetzten Sporthalle standen OB Fritz Kuhn und ein Teil der Bürgermeisterriege Rede und Antwort. Viele Bürger äußerten ihren Unmut über die grenznahen Bauvorhaben in Kornwestheim, die zusätzlichen Verkehr und Lärm bringen.

Stammheim - Mehr als 500 Besucher kamen am Montagabend in die voll besetzte Sporthalle an der Münchinger Straße. Obwohl nachbestuhlt wurde, mussten etliche Zuhörer auf Turnbänken oder Tischen Platz nehmen, Dutzende standen. Nach der Begrüßung durch Bezirksvorsteherin Susanne Korge ging Oberbürgermeister Fritz Kuhn seiner Ansprache zunächst auf das Thema Flüchtlinge ein. Die 8500 Flüchtlinge in Stuttgart seien „gut untergebracht, ohne große Spannungen“. „Ich darf mit Stolz sagen, dass Stuttgart und Stammheim die Problematik gut angenommen haben“, sagte Kuhn und betonte: „Der wichtigste Teil der Arbeit liegt noch vor uns – die Integration.“ 3300 Ehrenamtliche gebe es stuttgartweit in der Flüchtlingsarbeit, besonders erwähnte er den örtlichen Freundeskreis „Stammheim hilft.“

Ein zweites großes Thema sei der Wohnungsmangel. „Die Wohnungsnot in Stuttgart betrifft vor allem Menschen mit wenig Einkommen, Alte und Familien mit vielen Kindern.“ Die Stadt versuche, durch geförderte Wohnungen Abhilfe zu schaffen. „600 geförderte Wohnungen bauen wir in 2016, das ist immer noch zu wenig.“ Vor dem Hintergrund seien Neubaugebiete wie im Stammheimer Gewann Langenäcker-Wiesert zwingend. „Die Stadt braucht nicht noch mehr Eigentumswohnungen, die sich niemand leisten kann.“ Als Drittes nannte Kuhn den Verkehr und den damit verbunden Feinstaub und die Luftproblematik. „Gegenwärtig fahren zu viele Autos in den Kessel.“ Eine Besserung sei nur durch den Ausbau des ÖPNV bis in die Region und günstige Fahrpreise möglich. Zu den Verspätungen der Linie U 15 sagte er: „Die Ursachen liegen allein im Stau. Die starke Linie U15 wäre noch stärker, wenn wir keine Staus hätten, daran müssen wir arbeiten.“ Auch die Sanierung des Freihofplatzes liege ihm „am Herzen“, sagte der Oberbürgermeister. Schritt für Schritt würden Verbesserungen durchgeführt. Auch hoffe er, dass die Lärmbelästigungen durch die JVA zurückgingen, wenn das Gefängnis vollends ausgebaut und die Bauarbeiten abgeschlossen seien.

„Drängender“ sei das Thema Güterumschlag in Kornwestheim. Die Nachbarstadt plant bekanntlich an der Grenze zu Stammheim neue Gewerbegebiete, zum Teil mit 24-Stunden-Betrieb. „Die Containerberge dort haben etwas Schwieriges in der Anmutung“, sagt Kuhn. „Wir werden mit Kornwestheim zu reden haben, um die Situation zu verbessern, wie in den Gewerbegebieten agiert wird.“ Zu diesem Thema äußerten die Bürger in der anschließenden Aussprache die meiste Kritik an der Stuttgarter Stadtverwaltung. Die Stammheimer fühlen sich von der Stadt allein gelassen beim Kampf gegen mehr Lärm und Verkehr. „Wir hatten keine Unterstützung bei den Einwendungen gegen das Vorhaben. Wer so etwas genehmigt, sollte hier wohnen müssen“, sagte ein Anwohner und fragte: „Wo bleibt der Schutz?“ Die Stadt Stuttgart habe schon vor Jahren das grenznahe Wohngebiet Sieben Morgen als Mischgebiet ausgewiesen, um den Bau des Containerbahnhofs zu ermöglichen. „Uns Bewohnern wurde untersagt, Gewerbe treiben zu dürfen.“ Stuttgart ordne die Interessen seiner Bürger denjenigen Kornwestheims unter, so ein Vorwurf. Kornwestheim plane ein Industriegebiet in der Nähe zu einem faktischen Wohngebiet. „Ich habe den Eindruck, Sie lassen sich von Kornwestheim an der Nase herumführen“, sagte ein Anwohner. Dem widersprachen Baubürgermeister Peter Pätzold und OB Kuhn: „Wir sind in den Gesprächen mit Kornwestheim auf Augenhöhe“, sagte Pätzold. Die Aufsiedlung erfolge innerhalb der Grenzwerte. OB Kuhn: „Kornwestheim ist eine selbstständige Stadt, wenn sie die gesetzlichen Vorgaben einhält, kann sie machen, was sie will“, sagte er. „Wir schauen auf ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis und versuchen, das Schlimmste abzuhalten.“ Es gebe Redebedarf mit der Nachbarkommune, wie die Folgen der Bebauung zu reduzieren seinen. „Ich habe meinen Amtseid auf Stuttgart geschworen, nicht auf Kornwestheim“, sagte Kuhn. „Aber ich halte mich an Recht und Gesetz.“

Ein weiterer Vorwurf der Bürger lautete, dass Kornwestheim sich eines „Tricks“ bediene: Statt des unzulässigen großen Güterverkehrszentrums mit mehr als 100 Hektar Fläche plane die Kommune nun mehrere kleinteilige Baugebiete. Einzeln betrachtet seien diese Flächen rechtlich zwar zulässig, würde man sie jedoch gemeinsam bewerten, dann wären sie nicht mehr genehmigungsfähig. „Die Addition von mehreren Lärmquellen führt zu mehr Lärm als normalerweise zulässig wäre“, erklärte ein Anwohner. Oberbürgermeister Kuhn versprach zu prüfen, ob es Rechtens sei, wenn ein großes Gebiet über Teilmengen realisiert werde.

Beklagt wurde seitens der Stammheimer auch das laute, nächtliche „Gepiepse“ der Lastwagen und Kräne. Baubürgermeister Pätzold versprach, das Thema mit ins nächste Gespräch mit Kornwestheim zu nehmen. Auch für die anwesenden Bürgermeister Isabel Fezer (Soziales), Martin Schairer (Sicherheit) und Dirk Thürnau (Technik) gab es Hausaufgaben: Unter anderem monierten Bürger die parkenden Campingfahrzeuge und Anhänger in Wohngebieten, Raser in der Pflugfelder Straße sowie fehlende Fahrbahnmarkierungen an der Kurve zur Asperger Straße. Weitere Ärgernisse seien der Schleichverkehr am Emerholz und die Vermüllung im Ort. „Dass die Stadt sauberer wird, ist dringend“, sagte Fritz Kuhn. „Wir alle können Zeug kaufen, das nicht so fette Verpackungen hat.“ Was die fehlende finanzielle Unterstützung für den Arbeitskreis Kultur angeht, wolle er sich nicht vorschnell äußern: „Sie bekommen eine dezidierte Antwort, das schaue ich mir in Ruhe an.“ Baubürgermeister Pätzold sagte zu, dass es ausreichend Planungsmittel gebe, um bei den Haushaltsberatungen im Jahr 2017 über den Bau eines Bürger- und Familienzentrums zu entscheiden.

Abschließend versprach der OB, sich um die Anliegen zu kümmern: „Wir gehen dem nach, was Sie gesagt haben, und schauen, dass es keine verpuffende Einwohnerversammlung ist – im Sinne: Schön, dass wir mal darüber geredet haben. Wir werden schauen, dass was dabei rauskommt.“