Ein Zeuge wird im Landtag während des Untersuchungsausschusses zum harten Polizeieinsatz gegen eine Demonstration im Schlossgarten vernommen. Foto: dpa

Stuttgart 21: Polizeiführer schildern im Untersuchungsausschuss katastrophale Planungsfehler.

Stuttgart - Halbzeit im Untersuchungsausschuss. Aber auch nach fünf Sitzungen bleibt der Polizeieinsatz gegen die Stuttgart-21-Gegner am 30. September rätselhaft. Nur eines verdichtet sich: Die Regierung nahm offenbar keinen direkten Einfluss.

Der Mann hat ein Kreuz so breit wie ein Kleiderschrank. Mit so einem legt man sich so schnell nicht an. Und doch hat Polizeihauptkommissar Markus Resch solche chaotischen Einsätze selten zuvor erlebt. Der Mann ist Chef der Bereitschaftspolizei in Rheinland-Pfalz. Und in dieser Funktion war er am Freitag vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags. Der 45-Jährige muss nicht lange reden, um klarzumachen, dass beim Polizeieinsatz am 30. September gegen die Stuttgart-21-Gegner einiges merkwürdig war – und zwar schon im Vorfeld. Er sei nicht informiert worden, was seine Einheit eigentlich erwarte. „Ich konnte mich nicht vorbereiten“, sagt Resch und ergänzt mit entwaffnender Offenheit: „Wir haben auf der Fahrt nach Stuttgart im Radio gehört, dass Wasserwerfer im Einsatz sind.“ Da ahnten sie, was ihnen droht.

Es sind Aussagen, die weitere Mosaiksteine in dem Bild über jenen schwarzen Donnerstag sind, an dem alles schiefging, was nur schiefgehen konnte. So erzählt Zeuge Resch, man habe lange im Schlossgarten versucht, „die Menschenmenge abzudrängen, was aber nicht gelang“. Irgendwann sei begonnen worden, die Gegner des Bahnprojekts wegzutragen. Das Problem: Wo sie hingebracht wurden, fehlten die versprochenen Sicherungskräfte, um die Leute festzuhalten. Sie kamen zurück. „Da haben wir aufgehört, die Leute wegzutragen.“ Doch je länger der Einsatz dauerte, umso größer wurde der Unmut der Demonstranten. „Der überwiegende Teil waren friedliche Bürger. Aber es gab den Versuch, gegen die Polizei vorzugehen.“ Man habe den Eindruck gehabt, dass manches „eintrainiert war“, zumal die Polizei mit Flaschen und Farbbeuteln beworfen und mit Feuerwerkskörpern beschossen wurde und die Demonstranten große Planen parat hatten, als die Wasserwerfer zum Einsatz kamen.

Hinzu kamen handwerkliche Fehler

Hätte die Eskalation verhindert werden können? „Mit den Kräften, die im Einsatz waren, war es nicht möglich, die Menschenmenge wegzutragen“, sagt Resch. Auch dies ist ein Beleg, dass die Einsatzleitung in Stuttgart den Mobilisierungsgrad der Projektgegner unterschätzte. Hinzu kamen handwerkliche Fehler. So berichtet ein Bereitschaftspolizeichef aus Bayern den Abgeordneten im Ausschuss, man sei erst eine Stunde nach dem verabredeten Einsatzbeginn mit der Hundertschaft angekommen. Der Grund? Das Lotsenfahrzeug kam zu spät. Auch ein Polizeiführer aus St. Augustin, der mit einer Hundertschaft der Bundespolizei gerufen worden war, macht klar, dass Einsatzplanung und -praxis an diesem Tag nie passten. Seine Leuten kamen auch zu spät. Wegen schlechten Flugwetters.

Welche Rolle aber spielte in all dem Chaos die Politik? War es wirklich so, dass die Regierungszentrale um Ministerpräsident Mappus die Polizei aufforderte, hart gegen die Stuttgart-21-Gegner vorzugehen, so wie es SPD und Grüne vermuten? Michael Pope, Leitender Ministerialrat im Staatsministerium, verwahrt sich am Freitag gegen diesen Verdacht. „Es gab keine Vorgabe vom Herrn Ministerpräsidenten oder von sonst jemandem auf der politischen Ebene.“ Schon Wochen vorher sei klar gewesen, dass die Baumfällarbeiten im Schlossgarten Anfang Oktober beginnen. Als der Grünen-Abgeordnete Hans-Ulrich Sckerl das bezweifelt und auf diverse Vermerke zu der Thematik in der Regierungszentrale verweist, kontert Pope kühl: „Herr Abgeordneter, bei uns arbeitet eine gute Staatskanzlei so, dass sie aus eigener Initiative heraus Dinge aufarbeitet, die sie für richtig hält.“

Auch Franz Semling, Polizeidirektor im Staatsministerium, verneint die Einflussnahme des Regierungschefs. Zehn Tage vor dem brisanten Einsatz habe Mappus die Polizei besucht und mit ihr über die dauerhafte Überlastung durch Themen wie Castortransport, Sextäter-Überwachung und Stuttgart-21-Proteste geredet. Bei letzterem Thema habe die Runde der Haltung von Polizeipräsident Siegfried Stumpf zugestimmt, dass man gegen die Baumbesetzer im Park konsequent vorgehen müsse, „um eine Verfestigung der Lage zu vermeiden“, wie es hieß. Semling nahm daraufhin den Satz ins Protokoll: „MP erwartet konsequentes Vorgehen gegen Baumbesetzer.“ Ist das der Beweis für den harten Polizeieinsatz am 30. September? Semling schüttelt den Kopf. Der Ministerpräsident habe „nichts Neues“ gesagt, sondern nur „das Gespräch zusammengefasst“. Ohnehin, so Semlings Vermutung, habe Polizeichef Stumpf zu diesem Zeitpunkt längst seine Strategie für den 30. September „im Hinterkopf“ gehabt.