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Tüten aus Kunststoff werden immer öfter verboten - EU fragt Verbraucherverhalten ab.

Berlin/Brüssel - Taschen und Säcke aus Kunststoff haben bisher alle Anfeindungen durch Umweltschützer überlebt. Zunehmend erzwingen aber Abfallprobleme und hohe Erdölpreise ein Umdenken. Nun nimmt auch die EU-Kommission die Symbole der Wegwerfgesellschaft ins Visier.

Stimmen Sie zu, dass ein EU-Verbot für Plastiktaschen notwendig ist? Oder sind Sie eher der Ansicht, dass Gebühren den Verbrauch effektiv verringern können? Die EU-Kommission hat vermutlich längst einschlägige Vorschriften in der Schublade. Trotzdem ist es eine nette Geste, dass sie erst einmal eine Umfrage gestartet hat, um "die Verwendung von Plastiktragetaschen zu reduzieren". Bis zum 9. August können sich daran nicht nur Verbände und Behörden, sondern auch gewöhnliche Bürger beteiligen. "Wir prüfen alle Lösungsmöglichkeiten", erläutert EU-Umweltkommissar Janez Potocnik. "Wir benötigen die Meinung möglichst vieler Menschen."

Die Unternehmen, die dünne Schläuche aus Polyethylen oder Polypropylen zu Tragetaschen verschweißen, sind alarmiert. Sie verarbeiten pro Jahr in Europa rund 3,4 Millionen Tonnen Plastik zu schätzungsweise 450 Milliarden Tüten. Im Schnitt verbraucht jeder EU-Bürger jährlich 500 Plastiksäcke - und wirft sie meist nach kurzer Zeit weg. Das ist ein interessanter Markt. Entsprechend groß ist das Wehklagen der Lobbyisten.

Die Plaste-Hersteller sind in der Defensive. Ob Papua-Neuguinea oder Frankreich, Südafrika oder Australien: Immer mehr Länder gehen gegen Kunststoff-Taschen vor. Bangladesch etwa begründet sein Verbot damit, dass die Tüten Abwasserkanäle blockieren und zu Flutkatastrophen beitragen. Ruanda und andere afrikanische Länder finden, die massenhaft in der Gegend herumliegenden Tragehilfen stören das Pflanzenwachstum, verstopfen die Mägen von Rindvieh und bieten Brutstätten für Moskitos. In China dagegen sind dünne Tütchen verboten, weil der geringe Nutzwert in keinem Verhältnis zur Umweltbelastung stehe. Für dickwandigere Taschen ist wegen der "Verschwendung von Erdöl" eine Abgabegebühr vorgeschrieben.

Auch verschiedene EU-Länder haben Gebühren eingeführt. Als zum Beispiel 2002 in Irland eine Tütenabgabe von 0,15 Euro Pflicht wurde, sank umgehend der Verbrauch von 328 Plastiktaschen pro Kopf und Jahr auf 21. Seit in Deutschland für Kunststoffbehältnisse Lizenzgebühren für das Entsorgungssystem mit dem grünen Punkt zu berappen sind, liegt der Jahresverbrauch hierzulande bei 65 Stück - und damit unterhalb des EU-Durchschnitts.

Italien setzt seit dem 1. Januar 2011 auf ein Totalverbot für herkömmliche Plastiktüten und erhofft sich davon eine Verringerung seiner Abfallberge um jährlich 200.000 Tonnen. Beeindruckt hat die Politiker auch eine Studie, laut der das Mittelmeer fast flächendeckend mit Kunststoffen belastet ist.

Strände aus Plastikteilchen

Durch UV-Licht und Reibung wird der Müll im Laufe der Jahre zerkleinert, allerdings das macht die mit Farbstoffen und anderen Giften angereicherte Suppe nicht gerade besser: Die Plastikteilchen können von den Lebewesen im Meer mit Plankton verwechselt werden und gelangen über die Mägen der Fische in die menschliche Nahrung. Rund um den Erdball bestehen Strände zu beträchtlichen Teilen aus zermahlenem Plastik.

Die Tütenverkäufer fühlen sich zu Unrecht verfolgt. Die australische Plastikindustrie etwa beklagt die Überreaktion der Gesetzgeber: Gegen Vermüllung wirke Erziehung besser als Verbote. Verbände deutscher Hersteller betonen, für Tüten werde "nicht einmal ein Prozent der gesamten Erdöl- und Erdgasproduktion aufgewendet". Die Produktion sei effizient, das leichte Material könne in puncto Beständigkeit, Sicherheit, Hygiene und Umweltfreundlichkeit strengste Prüfungen bestehen. Gern wird eine Studie des Umweltbundesamts von 1988 zitiert, nach der Plastiktaschen "weniger Umweltbelastungen verursachen" als solche aus Papier.

Begleitet vom Slogan "Jute statt Plastik" hatte es während der Ölkrise der 70er Jahre schon einmal Verbote gegeben, etwa auf Amrum oder in Hannover. Darauf, dass die derzeitige Welle der Abneigung ebenso schnell verebben wird wie damals, wollen sich die Hersteller lieber nicht verlassen. Sie suchen nach tragbaren Alternativen.

Sogenannte oxo-abbaubare Produkte sollen aus der Misere helfen, aber sie können nicht recht überzeugen. Das sind konventionelle Kunststoffe, denen Kobalt, Mangan oder Eisen zugesetzt wird, damit sie sich schnell zersetzen. Das bedeutet, es fahren dann in der Landschaft nicht ganze Tüten herum, sondern kleine Plastikteilchen und Schwermetallstaub, es entsteht kein Humus, und die im Plastik gespeicherte Erdöl-energie ist ebenso verloren.

Große Hoffnungen gelten daher kompostierbarem Bioplastik, das in Europa bislang meist aus Maisstärke hergestellt und mit dem Symbol Keimling gekennzeichnet wird. Eine erste grüne Tüte, die von einer deutschen Supermarktkette angeboten wird, findet nicht den ungeteilten Beifall von Entsorgungsbetrieben: Sie kann kaum zusammen mit herkömmlichem Biomüll kompostiert werden, da sie zu langsam verrottet. Die EU-Kommission möchte daher in ihrer aktuellen Umfrage herausfinden, ob es ein eigenes Label für Verpackungen braucht, die unter natürlichen Bedingungen biologisch abbaubar sind - also auch im Straßengraben, im Wasser oder auf dem Kompost im heimischen Garten.

Ein anderer Ansatz wäre, den herkömmlichen Kunststoff aufzuwerten. Die Tüten, die der Künstler Joseph Beuys zur Documenta 1972 handsigniert hat, dürften kaum im Müll gelandet sein. Für Exemplare, die von Roy Lichtenstein oder Andy Warhol gestaltet wurden, zahlen Sammler heute schon mal 5000 Euro. Wenn Plastiktaschen im Goldrahmen an der Wand hängen, sind sie kein Problem mehr.

Der Online-Fragebogen der EU-Kommission zu Plastiktüten kann noch bis zum 9. August ausgefüllt werden (in englischer Sprache)