„Anfangs war es so, als würde ich ein Land betreten dessen Sprache ich nicht verstehe.“ Foto: dpa Themendienst

Sie ist eine der wenigen weiblichen Führungskräfte in ihrem Unternehmen. Erst wollte sie so werden wie ihre Kollegen. Dann merkte sie: der Exotenstatus ist auch eine Chance. Ein junge Frau berichtet über ihre Karriere.

Stuttgart - Was hilft Frauen auf dem Weg in Führungspositionen? Eine gesetzlich vorgegebene Quote? Gezielte Förderprogramme am Arbeitsplatz? Oder das jüngst von Bundesministerin Manuela Schwesig (SPD) initiierte Auskunftsrecht, das Arbeitnehmerinnen ermöglicht, zu erfahren, wie viel Männer in ihrem Unternehmen in vergleichbaren Jobs verdienen? Eine junge Karrierefrau berichtet, wie sie es zur Führungskraft in einem baden-württembergischen Unternehmen gebracht hat. Was und wer ihr auf dem Weg geholfen hat. Und warum Frauen lieber auf sich selbst als auf staatlich verordnete Förderung setzen sollten.

Als ich gerade meine jetzige Stelle angefangen hatte, gab es eine Vorstellungsrunde im Kreis der anderen Führungskräfte – alles Männer. Mein Chef sagte: „Wir machen jetzt auch Frauenförderung, das ist gut für die Quote.“ So bin ich eingeführt worden.

Ich arbeite als Führungskraft in einem Industrieunternehmen. Meine Mitarbeiter sind Männer, auf meiner Ebene und über mir arbeiten ausschließlich Männer. Ich denke schon, dass meine Kollegen anfangs dachten: „Was will die denn hier?“ Aber vielleicht habe ich mir das auch nur eingebildet. Es ist ja bei dem Thema immer die Frage: Was passiert mir tatsächlich deshalb, weil ich eine Frau bin – und wann unterstelle ich meinem Gegenüber diese Motive nur?

Unter Männern zu arbeiten ist für mich heute ganz normal. Ich mache mir keine Gedanken mehr darüber und arbeite gern mit ihnen zusammen. Aber anfangs war es ein bisschen so, als würde ich ein Land betreten, dessen Sprache ich nicht spreche – zumal ich vorher eher mit Frauen zusammengearbeitet hatte. Ich musste zum Beispiel akzeptieren, dass sich Macht auch über Symbole ausdrückt, etwa über Titel, die Größe des Büros oder des Autos. Ich habe den Fehler gemacht, mir einen Kleinwagen als Dienstwagen auszusuchen. Das würde ich heute nie wieder machen. Ich wurde sofort darauf angesprochen.

„Früher hab ich mich möglichst unauffällig verhalten“

Man kann natürlich der Meinung sein, dass man sich nicht so verbiegen sollte. Aber ich habe für mich akzeptiert, dass es diese männlichen Spielregeln gibt. Solange hier nicht mehr Frauen arbeiten, wird sich daran auch nichts ändern. Es fängt schon damit an, wie man einen Raum betritt. Früher habe ich mich möglichst unauffällig in Meetings verhalten oder mich bei meinem Chef dafür entschuldigt, dass ich kurz stören muss, wenn ich etwas mit ihm besprechen wollte. Das mache ich heute nicht mehr. Es hat mir tatsächlich geholfen, zu diesem Thema auch Bücher zu lesen.

Auf der anderen Seite bin ich überzeugt, dass Karriere nicht nur davon abhängt, solche Spielregeln möglichst gut zu beherrschen oder sich rein taktisch zu verhalten. Ich will die Dinge, die ich tue, sehr gut tun. Mir geht es um die Sache, ich brenne für meine Arbeit. Dadurch bin ich aufgefallen und wurde von meinen Chefs gefördert. Die Aufgaben sind mit der Zeit gewachsen, und es ist mehr Verantwortung dazukommen. Ich hatte nie einen genauen Plan im Kopf, wie mein Berufsleben verlaufen soll. Aber grundsätzlich bin ich ehrgeizig, das war ich schon immer, und ich bin niemand für Routinen. Wenn Stillstand herrscht, ziehe ich gern wieder weiter.

Die wichtigste Eigenschaft, um Führungsaufgaben zu übernehmen, ist meiner Meinung nach, den Mut zu haben, sich für ein größeres Thema verantwortlich zu fühlen. Wenn die anderen das merken, dann kommen sie automatisch mit dem Thema zu dir. Das heißt nicht, dass ich keine Verantwortung an meine Mitarbeiter abgebe. Im Gegenteil: Ich ermutige sie, Dinge auszuprobieren und eigenverantwortlich zu arbeiten. Aber wenn etwas schiefläuft, ist es ganz klar meine Aufgabe, dafür geradezustehen. Und es ist auch wichtig, eine klare Linie zu verfolgen und eindeutige Entscheidungen zu treffen. Diesen Mut haben vielleicht tendenziell mehr Männer als Frauen.

Das Problem mit den Frauennetzwerken

Schwierig finde ich Frauennetzwerke, die sich in Unternehmen bilden, damit sie sich untereinander helfen und über Benachteiligung austauschen können. Da gehe ich nicht hin. Ich finde es nicht gut, wenn man sich nur unter diesem Defizitgedanken sieht.

Ich baue mir auch Netzwerke auf, aber indem ich auf Kollegen – Männer und Frauen – zugehe, offen und freundlich bin, mit vielen rede und darauf achte, dass es meinen Mitarbeitern gut geht. Oder indem ich Jüngere, die talentiert sind, fördere und mitziehe. Denn dann kommt auch etwas von den anderen zurück. Man schafft ein Feld um einen herum, eine Art Kraftfeld, auch wenn das jetzt esoterisch klingt. Ich glaube, dass Frauen oft unterschätzen, was für einen großen Einfluss sie auf die Laufbahn anderer haben können und wie wichtig es für sie ist, andere zu fördern.

Damit meine ich nicht, dass man Mutter Teresa sein soll. Eher nach dem Flugzeugprinzip: Setzt dir erst selbst die Maske auf und dann hilf anderen. Nur netzwerken um des Netzwerks willen funktioniert übrigens nicht. Ich habe meine Aufgabe, meine Sache, die will ich gut machen. Und dabei hole ich andere ins Boot.

Natürlich ist es frustrierend, wenn man sieht, dass die Positionen über einem wieder nur mit Männern besetzt werden, obwohl es geeignete Frauen dafür gäbe. Aber vielen Männern geht es genauso, von denen werden doch auch die wenigsten Chefs. Über mir gibt es nur noch zwei Führungsebenen. Es ist einfach verdammt schwer, dorthin zu kommen. Das schaffen nur ganz wenige. Das bedarf viel Arbeit, Konzentration und Durchhaltevermögen und ist einfach sehr, sehr anstrengend. Meine männlichen Kollegen tun sich da wohl genauso schwer wie ich.

Man muss Dinge auch einfordern

Was ich aber in meinem Umfeld schon feststelle: Es zeigen mehr Männer Ambitionen als Frauen. Viele Frauen ziehen sich auf diese Mitarbeiterinnenrolle zurück, obwohl sie viel mehr könnten. Weil sie es sich nicht zutrauen oder auch keine Lust darauf haben. Eine Mitarbeiterin, die ich fördern wollte, hat zu mir gesagt: „Das ist mir zu viel Stress.“ Ich erlebe Frauen, die in ihrer Abteilung den besten Job machen. Trotzdem steigen sie nie auf – auch deshalb, weil sie nie klar aussprechen, dass sie das wollen. Da sind wir wieder beim Mut: Man muss Dinge auch einfordern.

Ich glaube nicht, dass Frauen unbedingt eine andere Förderung brauchen als Männer. Ich habe schon Frauen- und Männerteams geführt und festgestellt: Männer sind genauso sensibel, brauchen genauso Anerkennung und Bestätigung vom Chef wie Frauen. Andersherum können Frauengruppen einzelne Männer ebenso strikt ausgrenzen wie umgekehrt.

Mir ist es wichtig, anderen Frauen zu sagen, welche Chancen sie derzeit haben. Die Digitalisierung ist so eine Chance! Um innovativ zu sein, brauchen gerade die Traditionsunternehmen neue Leute, neue Arbeits- und Denkweisen, auch mal Menschen, die vielleicht aus einem ganz anderen Bereich kommen. Wenn Unternehmen weiterhin nur auf den Status quo und das alte Personal bauen, werden sie den Sprung ins Digitale nicht schaffen.

Um neue Produkte zu entwickeln, müssen immer mehr Menschen aus verschiedenen Abteilungen zusammenarbeiten. Nehmen Sie mal eine simple Kaffeetasse. Die wird vielleicht in Zukunft mit Sensoren ausgestattet, mit Internetzugang, um mit anderen, intelligenten Dingen kommunizieren zu können. Dafür braucht man Elektroniker, Software-Entwickler, IT-Leute, Produktdesigner, Marketing, Vertrieb. Und man braucht Menschen, die die verschiedenen Abteilungen vernetzen, an einen Tisch bringen, zwischen ihnen moderieren, querdenken, um kreative Prozesse in Gang zu bringen. Denn das Produkt entsteht im Prozess. Das sind doch Kompetenzen, die gerade viele Frauen mitbringen können.

„Ich versuche, den Exotenstatus zu nutzen“

Die Industrie wandelt sich, es wird neue Organisationsformen geben, netzwerkbasierte Arbeitsformen mit flachen Hierarchien, sich selbst organisierende Teams. Frauen könnten in diese Lücke stoßen. Ich hatte glücklicherweise einen Vorgesetzten, der dieses Potenzial in mir auch gesehen hat.

Vielleicht müssen Frauen viel mehr diesen Mehrwert herausstellen, den sie einem Unternehmen bringen. Ich habe auch anfangs den Fehler gemacht zu denken, ich müsse so werden wie meine männlichen Kollegen, ich müsse mit ihnen konkurrieren. Heute versuche ich, das Alleinstellungsmerkmal, den Exotenstatus, den ich (noch) habe, zu nutzen. Ich suche mir Aufgaben, die noch nicht besetzt sind. Dabei kann es auch helfen, erst mal unterschätzt zu werden.

Wenn ich Frauen was raten sollte, dann, in diese offenen Räume, die die Digitalisierung bietet, vorzustoßen. Also: reingehen in die Männerdomäne und dann dort sein Ding machen! Dazu gehört aber auch wieder der Mut, sich für solche Bereiche zu bewerben. Es gibt in der Betriebswirtschaft die „Blue Ocean Strategy“. Sie besagt, dass man es als Unternehmen schaffen muss, aus dem Red Ocean, also dem roten Ozean, in dem jeder mit jedem konkurriert, in den blauen Ozean zu kommen, also etwas anzubieten, das kein anderer bieten kann. Das wäre auch eine gute Strategie für jeden einzelnen Arbeitnehmer – eigentlich egal, ob man eine Frau oder ein Mann ist.

Ich arbeite jetzt seit vielen Jahren unter Männern. Ich arbeite gern mit ihnen zusammen, und ich habe auch das Gefühl, akzeptiert zu sein. Nicht wegen irgendeiner Quote, sondern wegen dem, was ich kann.