Than.eye: Danai Nielsen Polytsopoulou, Florian Kalmbach, Orestis Chatzitheodorou und Vasilis Avgoustakis (von links) in ihrem Marbacher Studio. Foto: factum, Granville

Drei erfolgreiche griechische Musiker verlassen ihre Heimat, um in Deutschland von vorne anzufangen und richtig durchzustarten. Vom pulsierenden Athen verschlägt es sie ins beschauliche Marbach am Neckar. Und kalt ist es hier auch.

Marbach - Die Heizung rasselt im Kampf gegen die Kälte draußen, dumpf dröhnt Musik aus einem der hinteren Räume. Danai Nielsen Polytsopoulou klammert sich an eine dampfende Teetasse. Die Sängerin mit den Rehaugen und der zierlichen Gestalt ist gerade vom Urlaub aus ihrer Heimat Griechenland zurückgekehrt und hat eine Erkältung mitgebracht. Selbst auf Kreta schneit es dieser Tage.

Am Rand der Marbacher Altstadt, verborgen von einer unscheinbaren Fassade und am Klingelschild nur durch das Zettelchen „Enfants Terribles Studios“ zu erkennen, befindet sich ein fruchtbares Künstler-Biotop, das in den letzten Jahren Bemerkenswertes vollbracht hat. Neben Danai, 27, fläzen sich ihre Landsleute Vasilis Avgoustakis, 28, und Orestis Chatzitheodorou, 30, in Sesseln. Der hochgewachsene Florian Kalmbach, 22, komplettiert das Bild. Was machen drei junge Griechen und einer aus dem württembergischen Unterland da im Souterrain eines Marbacher Wohnhauses? Die Antwort ist einfach, enthält aber eine ziemlich ungewöhnliche Geschichte: Sie machen Musik.

Than.Eye heißt ihre Band. Für sie haben die jungen Athener der Heimat den Rücken gekehrt, sich ins Ungewisse gestürzt und alles auf den Neubeginn in der Fremde gesetzt. Ausgerechnet für die Kunst. Eine Branche, die vor allen Dingen unberechenbar und unbarmherzig ist.

Auf Tour mit Carlos Santana

Um zu verstehen, weshalb drei junge Menschen ihr Land, ihr bisheriges Leben und die Mittelmeersonne hinter sich gelassen haben, reicht ein Blick auf die Zustände in Griechenland 2012. Die Finanzkrise hat das Land fest im Griff, Bauvorhaben sind stillgelegt, die öffentliche Kulturförderung ist versiegt. Das bekommt auch Rosebleed, so heißt die Band der drei Musiker damals noch, zu spüren. Nach großen Erfolgen, nach Tourneen und Auftritten mit den Cranberries oder Carlos Santana geht es nicht mehr weiter, verflacht die steil nach oben gerichtete Kurve. Das Label macht, bedingt durch die Krise, dicht, die Band steht vor dem Ende. Dennoch ist Vasilis davon überzeugt, dass da noch Luft nach oben ist. Aber nicht in Griechenland.

Selbst die Geburt seines Sohnes hält Vasilis Avgoustakis nicht davon ab aufzubrechen. Zunächst zieht er mit Frau und Kind zu einem Cousin bei Ludwigsburg. Er lernt seine ersten deutschen Sätze, verdingt sich als Lagerist, macht jeden Job, um seiner Familie eine kleine Wohnung zu finanzieren. In Griechenland haben er und seine Bandkollegen ein behütetes Leben im Kreise der Familie und Freunde geführt, hatten nicht viel, worüber sie sich Gedanken machen mussten. Sie wohnten noch bei den Eltern, ihre Band erblühte, ihre einzige Verantwortung galt der Kunst.

In Deutschland verfolgt Vasilis von Anfang an den Plan, die Band-Mitglieder nach Deutschland zu holen und Musikkarriere gemeinsam mit ihnen fortzusetzen. Als er im Souterrain eines Marbacher Hauses auf ein vollständig eingerichtetes Tonstudio stößt und gefragt wird, ob er nicht als Angestellter einsteigen wolle, fühlt Vasilis das Schicksal anklopfen. Er öffnet ihm die Tür.

Schließlich wagen ein Jahr später auch Danai Nielsen Polytsopoulou , die hochbegabte Schönheit (und Jugendliebe Vasilis’) sowie der elegante Orestis Chatzitheodorou, ein Schlagzeuger und äußerst wacher Filmemacher, den Schritt nach Deutschland. Weil sie ihrem Bandkollegen Vasilis vertrauen. Weil sie ihrer Kunst vertrauen.

Die abgerissene Brücke

Anders ist es nicht zu erklären, dass es auch eine Künstlerseele wie Orestis als Kollege von Vasilis bei langen Nachtschichten in Lagerhallen aushält. Danai verdingt sich zeitweilig als Masseurin in einem Beauty-Salon. Durchgehalten haben sie, erzählt Orestis Chatzitheodorou mit seiner bedachten, tiefen Stimme, während er sich eine Zigarette dreht, weil sie wussten, dass sie es schaffen können. Und weil sie eine Brücke hinter sich niedergerissen haben: Vasilis und Orestis haben den Wehrdienst verweigert, eine Rückkehr würde eine saftige Strafe und das Nachholen des Militärdienstes nach sich ziehen.

Heute fühlen sie sich wohl in Marbach, genießen die Spaziergänge am Neckar, Nachmittage auf der Schillerhöhe. Sie haben ein Studio und einen Proberaum, hier entsteht vom ersten Ton bis zum Musikvideo alles in Eigenregie. Die Band macht so viel selbst, wie sie kann. Sie will sich ihre künstlerische Freiheit nicht nehmen lassen. Schlechte Erfahrungen mit ihrer alten Band und großen Plattenfirmen wie Sony dürften ebenso dazu beigetragen haben wie eine trotzige Kompromisslosigkeit, die sie sich seit ihrem Wegzug angeeignet haben.

Mittlerweile sprechen sie alle mehr oder weniger gut Deutsch. auch wenn die Unterhaltung meist auf Englisch stattfindet. Bei Vasilis schleichen sich immer wieder schwäbische Ausdrücke ein. Die schnappt er wahrscheinlich bei seiner Arbeit als Tontechniker in der Marbacher Stadthalle auf.

Virtuoser drücken sich die Musiker durch ihre Lieder aus. Sie leben von einem düsteren, dramatischen Element, das in Verbindung mit den vielen elektronischen Sound-Spielereien, den vereinzelten orientalischen Melodien und den kraftvollen Drums ein einzigartiges Hörerlebnis ergibt. Danais Stimme hat etwas Mantrahaftes, tönt verführerisch bis beschwörend, irgendwo zwischen Indie, Goth, Wave, Pop. Eine Musik also, die sich grundsätzlich von Rosebleed unterscheidet, die damals als klassische Rock-Band daherkam. Jetzt wirkt alles geheimnisvoller, klingt auch mal nach der Tragik einer Kate Bush.

Düsterer Sehnsuchtsklang

Dieser düsterere Sehnsuchtsklang, ist auch dem Neuanfang in der Ferne zuzuschreiben. Orientalische Elemente, betont Vasilis Avgoustakis, hätte man früher nie in ihren Liedern gefunden. Erst in der Ferne wird dem Menschen bewusst, was er hinter sich gelassen hat. Marbach und Athen könnten unterschiedlicher nicht sein. Das leise Schillerstädtchen mit seinen 15 000 Einwohnern, wo nicht jeder nachts um elf noch ein lautes Schlagzeugsolo hören will. Auf der anderen Seite die dröhnende Hellas-Hauptstadt in einer Metropolregion mit knapp vier Millionen Leuten. Ein klein wenig lockerer könnten die Deutschen sein, wenn es nach Vasilis Avgoustakis geht, etwas spontaner vielleicht auch. „Und die Griechen könnten ein bisschen weniger locker und ein wenig fokussierter sein.“

Florian Kalmbach weiß das besonders gut. Als optisch herausstechender Bassist komplettierte er den musikalischen Neustart der Griechen, verzweifelte anfangs über ihre entspannten Herangehensweise an praktisch alles. Er hat sich darauf eingelassen. „Manchmal wenn sie diskutieren“, sagt er, „werden sie auch mal hitzig, wechseln dann ins Griechische und können sich ziemlich reinsteigern.“

Ihre Freizeit verbringen die vier so oft es geht in ihrem kreativen Hauptquartier, tüfteln an neuen Songs, produzieren auch andere Bands aus der Region. Die haben längst erkannt, welches Potenzial am Oberen Torturm schlummert. Noch haben sie ihr künstlerisches Ziel nicht erreicht. Aber Musiker, die seit Kindertagen davon träumen, als Band erfolgreich zu sein, eignen sich Ausdauer und ein dickes Fell an. Für Künstler auf der Suche nach Inspiration gibt es schlechtere Orte als Marbach. Ein kurzer Fußmarsch führt sie zur Schillerhöhe, ein Epizentrum deutscher Literatur. Danai Nielsen Polytsopoulou, dick eingepackt in ihren Mantel, blickt sich versonnen um, betont die besondere Wirkung von solchen Plätzen. In Momenten wie diesen, sagt sie, fühle es sich wie Schicksal an, dass sie nach Marbach geführt wurden.

Manchmal wünschen sie sich mehr Austausch mit anderen Bands, die Zugehörigkeit zu einer Szene. Vielleicht wird das ja noch was: In diesem Jahr wollen sie ihren sakral-pompösen Sound erstmals auf die Bühne bringen. Für alte Hasen, die schon hunderte Auftritte hinter sich haben, sollte das eigentlich kein Problem sein. Vasilis Avgoustakis lacht ein wenig verzweifelt und rauft sich die wilden Haare. Aber wer diesen langen Weg gegangen ist, der wird auch noch mit dem Lampenfieber fertig.