Und ewig lockt das Geld Foto: Zentralbild

Es muss nicht gleich eine Briefkastenfirma in Mittelamerika sein. In den 80ern brachten Tausende Deutsche Schwarzgeld in die Schweiz. Die Geschichte einer ganz normalen Steuerhinterziehung.

Stuttgart - Fünfzigtausend Euro in einem Schließfach der örtlichen Sparkasse. Das ist alles, was von Elsa Müllers* Straftat übrig geblieben ist. Die Scheine stecken in einem braunen Papierumschlag. Er liegt neben ein paar Goldmünzen und einer Kette mit diamantbesetztem Schloss.

Alle paar Monate geht Elsa Müller in die Filiale in ihrem schwäbischen Heimatort und holt ein Bündel der gelben 200-Euro-Scheine. Wenn eine Handwerkerrechnung bezahlt werden muss. Wenn die Enkel Geburtstag haben. Oder einfach, um ihre Rente aufzubessern. Die Bankmitarbeiter begrüßen sie mit Namen, seit Jahrzehnten hat Elsa Müller ihr Girokonto hier.

Straftat. Wenn Elsa Müller dieses Wort hört, dann lacht sie kurz auf. „Ja, ja, ich bin eine schwere Straftäterin“, sagt sie, und es klingt sarkastisch und auch ein bisschen herausfordernd. Und dann weiter, plötzlich sehr ernst: „Das Geld haben mein Mann und ich uns nach dem Krieg aus dem Nichts erarbeitet.“ Sie sagt das, als sei damit alles erklärt.

Mehrere Hunderttausend Mark auf einen Nummernkonto

Elsa Müller, 85 Jahre alt, eine schlanke große Frau mit kurzen grauen Haaren, ist eine Steuerhinterzieherin. In den 80er Jahren hatten ihr mittlerweile verstorbener Ehemann und sie mehrere Hunderttausend Mark auf einem Schweizer Nummernkonto liegen. Wie hoch die Summe genau war, kann Elsa Müller nicht mehr sagen, aber um die 500 000 Mark, schätzt sie. Unterlagen, in denen sie nachsehen könnte, gibt es nicht. Aus Vorsicht hatte das Ehepaar nie etwas Schriftliches zu Hause.

Etwa 50 bis 60 Milliarden Euro gehen dem Staat jährlich durch Steuerhinterziehung verloren. Das schätzt die Deutsche Steuergewerkschaft, die die Interessen von Beamten und Angestellten der Steuerverwaltung vertritt. 30 Milliarden bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer, noch einmal 20 bis 25 bei der Mehrwertsteuer. Es sind Schätzungen, die das Bundesfinanzministerium nicht bestätigen will. Kriminelle Handlungen ließen sich nicht genau beziffern, heißt es dort.

In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Schlaglichter auf das Volk der Steuerhinterzieher geworfen. Es gab spektakuläre Fälle wie den des ehemaligen Telekom-Chefs Klaus Zumwinkel, bei dessen Hausdurchsuchung die Medien live dabei waren. Es gab gefallene Idole wie den Fußballfunktionär Uli Hoeneß oder die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, die einräumen mussten, hinter ihren eigenen moralischen Ansprüchen zurückzustehen. Es gab die sogenannten Panama Papers, mit denen die „Süddeutsche Zeitung“ dieses Jahr enthüllte, wie deutsche Banken Vermögenden helfen, Geld bei Briefkastenfirmen in Panama zu parken.

Lohn der Wirtschaftswunderjahre

Aber daneben gibt es auch die Elsa Müllers, die Durchschnittsbürger, deren Fälle normalerweise nicht bekannt werden. Sie sind wahrscheinlich die Mehrheit.

Elsa Müllers Straftat ist Teil einer Lebensgeschichte, wie sie das 20. Jahrhundert schrieb: Geboren wird sie in den 30er Jahren als Tochter armer Kleinbauern auf der Alb, ihre Kindheit und Jugend verbringt sie im Krieg. Sie ist klug, aber das Geld für ein Studium ist einfach nicht da. In den 50er Jahren heiratet sie einen Kriegsheimkehrer, durch Fleiß und Geschäftstüchtigkeit profitieren sie von den Wirtschaftswunderjahren.

Elsa Müllers Mann ist selbstständig im Baugewerbe, sie hilft im Büro. Das Geschäft läuft gut, das Eigenheim ist bald abbezahlt. Er fährt Audi, sie kauft bei Breuninger in Stuttgart ein. Die fünfköpfige Familie macht Urlaub in Italien, und in der eigenen Kellerbar geben sie Einladungen mit Käse-Igel und Bowle. Die Müllers haben sich hochgeschafft. Ein Geschäftspartner verleitet sie in den 80er Jahren dazu, unversteuertes Geld in die Schweiz zu bringen. Er erzählt von hohen Renditen, zuvorkommenden Bankberatern am Züricher Paradeplatz, wo die großen Schweizer Banken ihren Sitz haben. Dass Steuerhinterziehung eine Straftat ist, sei ebenso wenig ein Thema gewesen wie die Möglichkeit aufzufliegen, erinnert sich Elsa Müller. Von nun an fließen Zahlungen von Kunden teilweise direkt in die Schweiz.

Der Steuerrechtler Markus Füllsack hat viele ähnliche Fälle wie den von Elsa Müller in seiner Sindelfinger Kanzlei erlebt. „Diese Generation hat miterlebt, wie ihr Geld entwertet wurde. Die Schweiz galt als sicherer Hafen“, sagt Füllsack. Außerdem sei es in den 80er Jahren in gewissen Kreisen der gehobenen Mittelschicht ganz einfach schick gewesen, ein paar Hunderttausend Mark ins Ausland zu bringen. Teilweise hätten die Banken sogar ganz unverhohlen dazu geraten.

Sparkasse war für Kleinbürger

Auch Elsa Müllers sagt, dass Steuerhinterziehung in ihrem Umfeld als Kavaliersdelikt galt. Ein Konto in der Schweiz war ein Statussymbol, von dem man sich in der verrauchten Kellerbar nach etlichen Gläsern Bowle erzählte. Sein Geld zur Sparkasse zu bringen, das sei etwas für Kleinbürger gewesen, sagt Elsa Müller. „Viele unserer Freunde hatten etwas in der Schweiz.“ Manchmal seien sie sogar mit einem befreundeten Ehepaar im Audi zusammen nach Zürich gefahren, um einen Teil der üppigen Zinsen von bis zu zehn Prozent abzuholen. Dass sie an der Grenze durchsucht werden könnten – daran hätten sie keinen Gedanken verschwendet.

Wenn Elsa Müller von diesen Ausflügen erzählt, dann setzt sie sich noch etwas aufrechter hin, dann hört man Stolz und auch Trotz in ihrer Stimme. Es ist nicht der Stolz, den Fiskus hintergangen zu haben. Es ist vielmehr der Stolz darauf, es aus einfachen Verhältnissen zu einem Bankkonto bei den Eidgenossen gebracht zu haben. Und es ist die tiefe Überzeugung, dass der Staat kein Recht auf einen Teil dieses Geldes hat. Für Elsa Müller ist der Staat jene Instanz, die ihr und ihrem Mann die Jugend geraubt hat. Dass es nach 45 eine neue Ordnung gab, ändert für sie nichts. „Wir haben immer noch genug in Deutschland versteuert“, sagt Elsa Müller.

Durch die Finanzkrise geht die Hälfte des Geldes verloren

Nach dem Tod des Mannes 2005 wird das Geld in der Schweiz für sie zur Altersversicherung. „Müsste ich von meiner Rente und den Ersparnissen in Deutschland leben, müsste ich irgendwann das Haus verkaufen“, sagt sie. Jedes Jahr fährt Elsa Müller nun gemeinsam mit einem ihrer Söhne nach Zürich und nimmt 10 000 Euro in bar für ihren Lebensunterhalt mit. Die Zinsen reichen dafür längst nicht mehr, es geht an die Substanz. 2008 geht fast die Hälfte des Geldes, die in riskanten Anlageformen steckte, in der Finanzkrise verloren.

Dann kommt der Punkt, an dem das Schwarzgeld auch zur Last wird. Im neuen Jahrtausend büßt es in der öffentlichen Wahrnehmung den schillernden Charakter eines Statussymbols ein. Kontrolleure machen im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet Jagd auf gut situierte Paare in Mittelklassewagen, ehemalige Bankmitarbeiter verkaufen die Daten Tausender Steuersünder nach Deutschland. Die Finanzkrise, die das Vertrauen in die Bankenbranche erschüttert, beschleunigt diese Entwicklung.

Seither habe sich die Steuermoral in Deutschland immer weiter verbessert, sagt der Kölner Soziologe Wolfgang Franzen, der auf diesem Gebiet forscht. „In Krisenzeiten wünschen sich die Menschen eben einen stärkeren Staat, und verhalten sich ihm gegenüber auch loyaler“, sagt er. Während in Franzens Umfragen 2008 noch jeder Vierte angab, schon mal Steuern hinterzogen zu haben, war es 2014 nur noch jeder Fünfte. Noch wichtiger als ethische Überlegungen ist für diese neue Ehrlichkeit die „Angst vor Entdeckung“, wie Franzen sagt. Sie ist es wohl auch, die seit 2010 gut 120 000 Steuersünder dazu gebracht hat, sich selbst anzuzeigen.

Eine Selbstanzeige kommt für sie nicht infrage

Der Anwalt Markus Füllsack, der früher Sachgebietsleiter beim Finanzamt Stuttgart war, hat etliche Mandanten auf diesem Weg der Selbstanzeige betreut. „Gerade ältere Menschen wollen reinen Tisch machen, auch um ihren Kindern das Problem nicht zu vererben“, sagt er. Bei einer Selbstanzeige sei oftmals die eigentlich gravierendere Steuerhinterziehung schon verjährt, und so müssten – bei Straffreiheit – nur die Zinsen der vergangenen zehn Jahre nachversteuert werden. Maximal 20 Prozent des hinterzogenen Vermögens würde in solchen Fällen an den Staat fließen, so die Einschätzung des Steueranwalts. Auch Rentner, deren Tat von den Behörden entdeckt wird, müssten häufig wenig bis gar keine Strafe zahlen.

Auch Elsa Müller verfolgt jahrelang die öffentliche Debatte sehr genau. Ihre Angst wächst, das Unrechtsbewusstsein nicht. Die Selbstanzeige, das Schuldeingeständnis, kommt für sie nicht infrage, auch wenn die Kinder dazu drängen.

Vor einigen Monaten beschließt sie dann, das Schweizer Konto aufzulösen und das Geld nach Deutschland zu bringen. In bar. Die Bank in Zürich verlangt für die Kontoauflösung 3000 Euro, sie würden an  soziale Einrichtungen gespendet, sagt man ihr. Über Italien und Österreich, versteckt in ihren Unterhosen, bringen Sohn und Mutter das Geld in einem unauffälligen Kleinwagen nach Deutschland. 50 000 Euro sind es noch. Jetzt liegen die Scheine in dem braunen Umschlag im Bankfach der Sparkasse, die eigentlich nur etwas für Kleinbürger ist.