Eine Schwarzafrikanerin legt ihre Hände auf eine Einbürgerungsurkunde Foto: dpa

Deutscher werden ohne Deutschkenntnisse – das ist im Land nur noch in Ausnahmefällen möglich.

Stuttgart - Das Stuttgarter Innenministerium hat jetzt einen Bericht unserer Zeitung zum Anlass genommen, die unteren Ausländerbehörden in den Stadt- und Landkreisen zu einem gesunden Misstrauen in der Frage zu ermuntern. In Absprache mit dem Integrationsministerium brachte man am Mittwoch ein Rundschreiben auf den Weg, das auf die laufenden Betrugsermittlungen gegen das Sprachinstitut Europa-Bildungsforum im nordrhein-westfälischen Lünen hinwies. 840 Ausländer aus dem gesamten Bundesgebiet sollen sich dort ihr Sprachzertifikat erschlichen haben – die Antworten waren laut Dortmunder Staatsanwaltschaft zum Teil vorab schon angekreuzt. „Das Innenministerium bittet darum, bei der Vorlage von Sprachzertifikaten aus dem Raum Lünen, Hagen und Wuppertal besonders aufmerksam zu sein und im Gespräch mit den Ausländern auf sprachliche Auffälligkeiten zu achten“, heißt es in dem Rundschreiben an die Kommunen. Die konnten sich bislang einen Betrug dieses Ausmaßes offenbar nicht vorstellen. Dass Menschen eingebürgert werden, ohne ausreichende Deutschkenntnisse zu besitzen, ist zum Beispiel dem baden-württembergischen Städtetag als Problem noch gar nicht untergekommen.

In der Landeshauptstadt Stuttgart können sich erfahrene Sachbearbeiterinnen allenfalls an Einzelfälle erinnern, bei denen sie ein schlechtes Gefühl hatten. Auch jenseits der Landesgrenzen, etwa in München und Erfurt, spricht man von absoluten Ausnahmen und beteuert, dass man im Verdachtsfall sehr streng nachforsche. Das Problem ist nur: Zum Verdacht kommt es oft erst gar nicht, weil ein Großteil des Prozederes schriftlich abläuft. Nur zur Überreichung der Urkunde, so heißt es in Stuttgart, sei die persönliche Anwesenheit des Antragstellers notwendig. Ansonsten verlässt man sich auf die Zeugnisse und Zertifikate, die eingereicht werden.

Darmstadt ist vorbildlich streng

Vorbildlich streng ist hingegen das Regierungspräsidium (RP) Darmstadt. Es hat seine Kommunen für Missbrauch sensibilisiert und kümmert sich um Verdachtsfälle. Wenn Verdächtige einen zusätzlichen Deutschtest zu ihrem Zertifikat verweigern, haben sie Pech: Das Verwaltungsgericht Darmstadt gibt dem strengen Vorgehen der Behörde in aller Regel seinen Segen.

„Natürlich wäre es viel einfacher, nur nach dem Zertifikat zu schauen, aber so verstehe ich den gesetzlichen Auftrag nicht“, sagt Martin Jungnickel, Leiter des Einbürgerungsdezernats beim RP Darmstadt. Er halte es für seine Pflicht, nachzuhaken, zumal das System anfällig für Missbrauch sei: Private Sprachschulen, die vor allem möglichst viele Kunden haben wollen, sind bei den begehrten Zertifikaten Lehrer und Prüfer zugleich. Laut Jungnickel ein Unding. „Das müsste sein wie beim Führerschein, wo ein unabhängiger Dritter die Prüfung abnimmt“, sagt er. Außerdem seien ihm die Überprüfung der Identität derer zu lasch, die zu den Zertifikatsprüfungen erscheinen. „Da wird bloß ein Ausweis hochgehalten“, schimpft er. Auch dies ermögliche Missbrauch.

Jungnickel hat ein riesiges Einzugsgebiet mit rund 10 000 Einbürgerungen pro Jahr. Zwischen 50 und 100 Manipulationsfälle deckt allein seine Behörde im Jahr auf – das ist viel, wenn man bedenkt, dass für die meisten Einbürgerungen kein separater Sprachtest nötig ist – oft reichen Schulzeugnisse oder anderes. „Das Ganze ist ein Riesenproblem“, sagt der Beamte, „und dem muss sich meines Erachtens der Staat annehmen.“