Andreas Ottmayer im Gespräch Foto: Bärbel Nückles

Er schwätzt Schwäbisch. Doch das genügt Andreas Ottmayer nicht. Er erweitert seinen Horizont. Der Dokumentarfilmer aus Bad Cannstatt begibt sich auf die Spuren des Dialekts im Elsass - gerade rechtzeitig bevor dieser verschwindet.

Strassburg/Stuttgart - Ganz schön forsch wie er durch den Parc du Contades schreitet, mit schweren Schritten auftritt, seinen Gesprächspartner hier auf dem Kiesweg positioniert, dort an den Bänken mit ihm vorbeispaziert, dabei in ein inszeniertes Gespräch vertieft. Die Sonne brennt. Der Dreh ist im Kasten. Andreas Ottmayer beginnt zu erzählen. Er sei ganz zufällig auf das Problem gestoßen: „Der elsässische Dialekt verschwindet gerade und keiner regt sich auf.“ Ottmayer, 34, lebt in Bad Cannstatt. Mit sonor-kraftvollem schwäbischem Duktus formuliert er seine Sätze und ist sich natürlich im Klaren darüber, dass es im Elsass durchaus Menschen gibt, die dagegen ankämpfen, dass es in 20 Jahren womöglich fast keine oder gar keine Dialektsprecher mehr in der französischen Grenzregion neben Deutschland, geben wird.

In Frankreich wird dieser Umstand allerdings kaum wahrgenommen. Auch in Deutschland, findet Ottmayer, wissen es zu wenige. Also hat sich der gelernte Erzieher und Dokumentarfilmer aufgemacht, jene zu treffen, die es nicht bei der Sorge belassen. Leute, die gegen das langsame Sterben des Elsässischen anschreiben, ansingen, dichten, die demonstrieren, Politik machen, Petitionen schreiben oder im Internet aktiv sind.

Hauptberuflich betreut Ottmayer Menschen mit geistiger Behinderung, die jedoch alleine leben. Er ist für sie in vielen praktischen Bereichen der Mittler, immer dann, wenn diese nicht in der Lage sind, ihre Unabhängigkeit vollständig alleine zu regeln. Parallel hat er seit ein paar Jahren begonnen, Filme für soziale Träger zu drehen. 2009 war er in Namibia unterwegs, ein Land, das als ehemalige deutsche Kolonie, auf andere Weise als das Elsass in Beziehung zur deutschen Sprache steht. 2010 reiste Ottmayer im Auftrag des Goetheinstituts nach Albanien. In der Zwischenzeit hatte er auch als Filmer für soziale Träger gearbeitet, wollte nun aber wieder einen „richtigen Dokumentarfilm“ drehen.

Das Interesse am Elsass entstand bei Andreas Ottmayer durch häufige Besuche bei einem Freund, der einige Jahre im Elsass gelebt hat. „Der Dialekt im Elsass ist für mich etwas ganz Besonderes. Das positive Image des Elsass hängt stark mit der Zweisprachigkeit zusammen“, begründet Ottmayer sein Interesse.

Getroffen hat er für seinen Film unter anderem den Juristen und Leiter der René Schickele-Gesellschaft, Jean-Marie Woehrling, der sagt: „Wir sind gerne Franzosen. Leider kann es der französische Staat nicht akzeptieren, dass es neben der französischen Kultur auch eine regionale Kultur gibt, die ihren Platz in der Öffentlichkeit beansprucht.“ Für Woehrling, geboren 1947, ist Elsässisch noch Teil der Alltagssprache. In der nachfolgenden Generation hat sich die Zahl der aktiven Sprecher dann dramatisch verringert. Auf 40 Prozent benennen offizielle Stellen ihren Anteil unter den 1,8 Millionen Menschen.

„Ich würde es als Verarmung empfinden, wenn das Elsass einmal völlig vereinheitlicht wäre“, sagt Ottmayer. Für den deutsch-französischen Kontakt, findet er, seien die Elsässer unglaublich wichtig. „Sprache ist ein Gefühl.“ Auch deshalb ist er sich sicher, dass es ein Publikum für seinen Film mit dem Arbeitstitel „Von Schmierwurscht & Baguette“ geben wird. Einen Abnehmer muss er allerdings noch finden. France3 in der Stuttgarter Partnerstadt Straßburg, das regionale Fenster des dritten französischen Programms, hat über sein Projekt berichtet.

Seit der Deutsche mit dem Drehen begonnen hat, ging in Frankreich eine nach wie vor umstrittene Gebietsreform über die Bühne. Das Elsass wurde Teil einer sehr viel größeren Ostregion. „Mir als Außenstehendem kann es aber gar nicht darum gehen, dass ich um jeden Preis dieses unabhängigere Elsass zurückhaben will.“ Einige Protagonisten seines Films formulieren klare Vorstellungen und fordern eine Rückkehr zur alten „Région Alsace“. Andreas Ottmayer hat Menschen getroffen, die mit ungewöhnlichen Mitteln für dieses Ziel protestieren. Eine Elsässerin in Tracht etwa, die sich als Zeichen ihres Protests geknebelt hat.

Die Elsässer gingen nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Sieg über den Nationalsozialismus zu Deutschland auf Distanz. Gleichzeitig unterdrückte die Sprach- und Bildungspolitik des französischen Zentralstaates die regionale sprachliche Besonderheit der Elsässer mit allen Mitteln. „Diese Perversität, dass die Sprache mit einer mörderischen Ideologie gleichgesetzt wird“, beklagt der Aktivist Joseph Schmittbiel, „war fatal.“

1945 war ein emotionaler und administrativer Bruch. Erst in den 1990er Jahren setzt in der Grenzregion wieder eine Entwicklung ein, die das Elsässische stärker kultiviert. Das Band der familiären Übermittlung an die nächste Generation wurde weitgehend gekappt. Die Entfremdung zwischen den Elsässern und ihrem Dialekt hat sich über Jahrzehnte vollzogen.

Alle paar Wochen ist nun dieser Schwabe im Elsass aufgetaucht, eine Filmkamera mit Stativ im Gepäck, fest entschlossen, wenigstens ein paar Leute wachzurütteln. Dutzende Gespräche hat er seit einem Jahr bei mehreren Reisen ins Elsass geführt, Menschen zwischen dem Sundgau und dem nördlichen Elsass getroffen. Was treibt Andreas Ottmayer über die Grenze?

Für Ottmayer persönlich gehört Dialekt von klein an dazu. Mit „meiner Oma“ hat er in seiner Kindheit in Nürtingen immer Dialekt gesprochen. Auf Facebook, erzählt er, habe ihm neulich jemand geschrieben: „Kümmere dich doch mal um den Dialekt in Baden-Württemberg“. Es besitze jedoch eine andere Dimension, verteidigt er sich, wenn sich der Dialekt in gefärbtes Hochdeutsch verwandle oder für eine komplett andere Sprache aufgegeben werde wie im Falle des Elsässischen.

In zehn Jahren, sagt Andreas Otmayer, werde er diesen Film deshalb im Elsass so nicht mehr machen können. „Ich bin jemand, der die Vielfalt der europäischen Sprachen schätzt“, sagt der Dokumentarfilmer. Es gehe doch um eine Zentrale Frage: „Wo ist mein Zuhause? Für mich ist das an den Dialekt gekoppelt.“