Fußgänger wollen öfter grünes Licht im Verkehr Foto: dpa

Autofahrer haben die Macht, Radfahrer eine stärker werdende Lobby. Und was ist mit Fußgängern? Sie scheinen das letzte Glied in der Kettet. Doch das soll sich ändern. Die Stadt will den Fußgängerverkehr fördern.

Stuttgart - Stuttgart ist begehenswert! Zu Fuß gehen ist gesund, umweltfreundlich und es kostet nichts. Außerdem ist man über die Stuttgarter Stäffele oft schneller am Ziel als man denkt. Und vor allem das Hinaufsteigen lohnt sich: Oben angekommen, bieten sich herrliche Ausblicke auf die Stadt.“

Mit diesem Appell versucht die Stadt den Stuttgartern in Zeiten der Feinstaubalarme das Gehen schmackhaft zu machen. Und Wolfgang Forderer geht vorne draus. Der Stabschef von Oberbürgermeister Fritz Kuhn beim Thema Mobilität ist ein leidenschaftlicher Fußgänger. Den Schrittzähler stets im Anschlag streift Forderer gerne selbst durch den Kessel. „Gehen macht die Stadt lebenswerter und ist gesund“, sagt er. So macht der Stabschef immer wieder Werbung für eine der am meisten unterschätzten Fortbewegungsart. Zuletzt auch bei einer Podiumsdiskussion im Rathaus unter dem Titel: „Mobilität im urbanen Raum – Entdeckung der Einfachheit: kurze Wege“.

Was gibt es da zu entdecken?, werden sich manche fragen. Beispielsweise die Erkenntnis, dass wir im Schnitt pro Woche nur drei Kilometer zu Fuß gehen. Und, dass es für die Verkehrs- und Feinstaubproblematik weitere Lösungen gibt, die buchstäblich in der Nähe liegen.

Geht das? Kann man ein Leben ohne den heiligen Wagen wagen? Die Schriftstellerin Hannelore Schlaffer meint nein. Sie vertritt einen extremen Pessimismus. Auch Stuttgarts Innenstadt liege in einem ästhetischen Dämmerlicht: „Die City hat sich in den vergangenen 30 Jahren vollkommen verändert. Es ist nicht mehr die Stadt der Stuttgarter, sondern derer, die angelockt werden, um einzukaufen. Der Fußweg soll heute nur noch vom Parkhaus ins Kaufhaus gehen.“ Für andere Wege böte die Stadt wenig. Nicht fürs Bummeln, Flanieren, nicht zum Da-Sein. Stuttgart sei kein Lustort mehr. „Das legere Dasein gibt es nicht mehr“, ätzt Schlaffer, „es ist eine verkaufte Stadt, die Investoren haben sie so geplant.“ Immer wieder fragt sich die Autorin daher: Was muss passieren, dass Stuttgart wieder begehenswert wird? Was muss man tun, dass mehr Menschen laufen?

Städte, Gemeinden und Länder müssen investieren, antwortet Professor Martin Lanzendorf, der an der Uni Frankfurt Mobilitätsforschung lehrt. „Warum gibt es kein 600-Millionen-Euro-Programm für den Fußverkehr?“, fragt er spitz und spielt die Subventionen für das E-Auto an: „Der Fußverkehr hat keine Lobby und keine wirtschaftlichen Profiteure. Deshalb übersieht die Verkehrspolitik dieses Thema.“

Sein Professoren-Kollege Wolfgang Schlicht nickt. Der Sportwissenschaftler wirft dabei das englische Wort „walkability“ in den Raum, das sich mit Begehbarkeit übersetzen lässt. Stuttgart muss also begehbarer werden. „Es geht darum die Quartiere anders zu gestalten“, sagt Schlicht und findet in Bezirksvorsteherin-Mitte, Veronika Kienzle, eine Verbündete. Auch sie mahnt die Breite der Gehwege (1,50 m) als zu gering an. Schlicht geht jedoch noch weiter: Man müsse vor allem für ältere Menschen mehr tun. „Sie gehen ungern zu Fuß, weil oft wichtige Rahmenbedingungen fehlen.“ Er nennt „fehlende Toiletten im öffentlichen Raum“ und fordert: „Das subjektive Sicherheitsgefühl muss erhöht werden.“ Fußgänger dürften keine Angst vor wilden Radlern oder eines Überfalls haben.

Ist dies das richtige Bild von Stuttgart? Haben Hannelore Schlaffer, die Professoren Lanzendorf und Schlicht recht? Ist die „City nur noch eine Kampfzone der Einkaufsstraßen vertikale Strukturen, die bei den Versorgungsebenen in Tiefbahnhöfen beginnen und bei den Einkaufszentren enden?“ (Schlaffer).

Wolfgang Forderer widerspricht energisch: „Also ich erlebe unsere Stadt anders. Wenn ich auf den Treppen am Schlossplatz sitze oder im Park im Gras liege, blende ich den Kommerz aus.“ Weiter verspricht Forderer: „Wir wollen ein großes Programm für den Fußverkehr auflegen, das im kommenden Haushalt beschlossen werden soll.“ Eine neue begehenswerte Stadt? Hört sich durchaus begehrenswert an.