"Sprengt die Opernhäuser in die Luft!" Mit dieser Forderung erregte Pierre

"Sprengt die Opernhäuser in die Luft!" Mit dieser Forderung erregte Pierre Boulez 1967 weltweit Aufsehen. Geschichte schrieb der Komponist und Dirigent jedoch vor allem als herausragender Vertreter der musikalischen Avantgarde nach 1945. Nun wird er auf SWR 2 mit vier Sendungen geehrt.

Von Susanne Benda

In den 50er Jahren wollte Pierre Boulez die Musik "von jeder Spur des Überkommenen" befreien. Heute gibt sich der Bürgerschreck von ehedem ein wenig zurückhaltender, aber doch keineswegs altersmilde. "Schafft den Frack ab!", forderte er erst letztes Jahr in einem Interview, denn "wir brauchen mehr Nähe zum Publikum".

Der Franzose, der heute 85 Jahre alt wird und seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, ist wach geblieben. Wach und streng. Seine großen Werke - die Kantate "Le marteau sans maître", die ihn 1955 berühmt machte, "Pli selon pli" für Sopran und Ensemble/Orchester, das elektronische Werk "Répons", "Eclat" für 15 Instrumente - entstanden an jenem historischen Punkt, als die strengen Regeln der sogenannten seriellen Musik sich in den 50er Jahren erschöpft hatten. Die vorgefertigten Gesetze, nach denen damals in Arnold Schönbergs Nachfolge Klänge organisiert wurden, ersetzte Boulez durch seine Idee des "gelenkten Zufalls". Wobei er Deutsches und Französisches, also Impulse von Schönberg und Webern auf der einen und von Debussy, Strawinsky und seinem Lehrer Olivier Messiaen auf der anderen Seite zusammenführte.

An ihrer Oberfläche wirken seine Stücke rational. Das liegt auch daran, dass sie immer durchsichtig, durchhörbar sind, dass man sich beim Hören stets an Gesten, Linien und Motiven festhalten kann. Wer aber genau lauscht, entdeckt viel Persönliches: ebendas, was Boulez" deutscher Komponistenkollege Wolfgang Rihm einmal in schöner Paradoxie als "instinktive Pragmatik der Vision" bezeichnete.

Intuition und Präzision: Zwischen diesen Polen lebt und aus diesen Polen speist sich die Musik des Komponisten, in diesem Spannungsfeld wurzelt ihre Eigenart und ihre große Qualität, die er selbst einmal mit Marcel Prousts Technik verglich, der zuweilen Passagen aus einem Zusammenhang herausnahm und in einen anderen hineinmontierte. "Ich bin bereit für Überraschungen", sagt Boulez, und das gilt für ihn grundsätzlich. Deshalb meidet er Menschen, die meinen, die Wahrheit zu besitzen. Und deshalb schaltet er gelegentlich sogar den Jugendsender MTV an - weil er die Intensität der Musik schätzt, die dort gespielt wird. Schade nur, dass die Qualität der Klänge hier mit der Leidenschaft des Ausdrucks nicht mithalten kann.

Zwischen Intuition und Präzision ist auch der Pultstar Pierre Boulez zu Hause, der sich das Dirigieren selbst beibrachte. So konnte er 1976 im Graben des Bayreuther Festspielhauses Patrice Chéreaus legendärer Inszenierung von Richard Wagners "Ring" einen Orchesterklang von kühler Glut entgegensetzen, der die Sänger auf der Bühne trug. "Selbst emotional starke Musik", erklärte er, "ist scharf konturiert."

So füllte der Mann die Opernhäuser, die er einst hatte sprengen wollen, mit Klängen, und als informierter, uneitler Sachwalter des musikalisch Überkommenen machte er auch an den Pulten der internationalen Spitzenorchester Karriere. Sein verbaler Sprengsatz von 1967 wurde aber auch nicht vergessen: In einem Akt spontaner Erinnerung führte im Jahr 2001 ein Sonderkommando der Polizei Pierre Boulez wegen seiner "terroristischen Aufforderung" aus seinem Basler Hotel zum Verhör ab. Man kann nur hoffen, dass die Werke des Komponisten der Welt ebenso lange im Gedächtnis bleiben wie seine provozierende These von ehedem.

Seit dem Beginn seiner Karriere ist er mit dem Südwestrundfunk verbunden. Als Gast dirigierte er immer wieder das Sinfonieorchester des Senders. Als Komponist schrieb er zahlreiche Stücke im Auftrag des damaligen SWF und des heutigen SWR. Nun wird er zu seinem Geburtstag vom Radiosender SWR 2 mit vier Sendungen geehrt, die zwischen heute und Mittwoch ausgestrahlt werden. So ist sein Debüt als Dirigent bei den Donaueschinger Musiktagen heute im "Abendkonzert" nachzuhören. Zudem wird in einem Porträt, einem Feature und einer Diskussion die Vielseitigkeit von Boulez" Persönlichkeit deutlich.

SWR 2, Freitag, 15.05 Uhr: "Musik aktuell", 20 Uhr: "Abendkonzert"

Montag, 23.03 Uhr: "Jetzt Musik"

Mittwoch, 20.03: "Musik kommentiert"