Auch für Fahrradfahrer hat Gerda Strunk sich stark gemacht. Foto: privat

Die 90-jährige Gerda Strunk hat ihr Leben dem Journalismus und der Politik verschrieben. Für die ehemalige Stadträtin ist Dabeisein nicht alles. Bestand, das sollten ihre Projekte haben.

Möhringen - Ich konnte noch nie ruhig sein. Ich muss Spuren hinterlassen“, sagt die blonde Frau und schaut ihr Gegenüber mit wachen, braunen Augen an. Gerda Strunk, ehemalige Möhringer Stadträtin, hat in diesen Tagen 90. Geburtstag gefeiert. Ein Alter, in dem die meisten Menschen schon lange den Ruhestand genießen.

Dabei sein ist nicht alles

Nicht so Gerda Strunk. Für sie war ihr Beruf nie nur Arbeit, sondern Leidenschaft. Journalismus und Politik, das sind die Schlagworte, die ihr Leben immer noch prägen. „Ich glaube, ich werde noch etwas abliefern müssen, kurz bevor ich sterbe“, sagt sie. Wenn Gerda Strunk lacht, sieht man in ihr immer noch viel von der jungen Journalistin mit der großen 70er-Jahre-Brille und dem Gespür für Menschen. „Ich wusste immer, wann ich jemanden für etwas gewinnen kann und wann nicht“, erklärt sie. In ihrer Position als Stadträtin war ihr diese Eigenschaft von Nutzen.

Ob die Organisation des ersten karikativen Weihnachtsmarkts in Stuttgart, neue Fahrradwege zu den Schulen oder die Schaffung von Begegnungsstätten – Strunk war vor Ort und hat die Dinge angepackt. „Das Schönste ist, wenn etwas gelingt, das man zusammen erschaffen hat“, sagt Gerda Strunk. So auch 1976, als sie nach kunstbegeisterten Frauen gesucht hatte, um in Sonnenberg eine Galerie zu eröffnen. „Eine der engagierten Frauen der ersten Stunde, Ingeborg Mueller, steht immer noch mit Rat und Tat zur Verfügung“, sagt Strunk. Für sie ist Dabeisein nicht alles. Bestand, das sollten ihre Projekte haben. „Alles, was ich angefangen habe, gibt es immer noch, und das ist in der Politik wirklich viel.“

Pressestenografin für die KPD-Zeitung

Eigentlich sollte Gerda Strunk Schneiderin werden, „aber die armen Menschen, die meine Kleider hätten tragen müssen“. Für das 1924 in Plauen geborene Mädchen war aber schon früh klar, dass sie die für sie vorgesehenen Nadel und Faden gegen Stift und Papier tauschen wird. Ihr Ziel war ein Volontariat – eine Ausbildung zur Journalistin – doch ihr stand ein langer Weg bevor. Ausgerechnet ein Kinobesuch verschaffte Strunk 1945 indirekt ihre lang ersehnte Chance – ein Aushang vor dem Kino: „Freie Presse sucht Pressestenografin“, also jemanden, der Reden schnell mitschreiben kann. Diese KPD-Zeitung war die erste, die von der sowjetischen Besatzungsmacht nach dem Zweiten Weltkrieg wieder zugelassen wurde und die junge Sozialdemokratin konnte dort ihre Arbeit beginnen. So begann ihre journalistische Laufbahn.

Durch den Job lernte sie ihren Mann Helmut Strunk kennen. Mehrere Umzüge folgten, der Weg der beiden verlief turbulent. Mit 24 Jahren schrieb Gerda Strunk einen Artikel über das Mutterschutzgesetz. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ und der Westdeutsche Rundfunk interessierten sich dafür. „Das war mein erstes Honorar – was war ich da stolz“, sagt sie und lächelt bei der Erinnerung. Schließlich verschlug es sie nach Stuttgart.

Ehrung am 8. November

Hier lebte ihr Interesse für Politik wieder auf. Eigentlich hatte das mittlerweile 36-jährige SPD-Mitglied nicht vor, für den Gemeinderat zu kandidieren. Als sie es dennoch tat, schaffte sie auf Anhieb den Sprung in das Gremium. Mit 96 000 Stimmen von Platz 24 auf Platz 17. „Das Leben ist dermaßen konträr und bunt, dafür gibt es einfach kein Rezept“, sagt sie.

Trotz ihrer neuen Funktion als Stadträtin hat sie sich nie nur einer ihrer Leidenschaften verschrieben. Journalismus und Politik waren für Strunk manchmal schwer zu vereinen. Sie war es gewohnt, alles zu hinterfragen, und sie wusste, dass es immer mehr als eine Meinung gibt. „Die Journalistin in mir hat immer mit der Stadträtin gekämpft. Oberhand hatte aber die Journalistin“, sagt sie. Auch noch mit 90 Jahren kann Gerda Strunk nicht ohne Arbeit sein. Sie sitzt an der Überarbeitung einer Dokumentation mit dem Titel „Die Geschichte der Arbeiterwohlfahrt von 1919 bis heute“.

Doch bevor sie diese Arbeit fertiggestellt haben muss, steht für sie noch ein besonderer Termin im Kalender: der 8. November. An diesem Samstag will der SPD-Ortsverein Degerloch die Jubilarin ehren. Zu diesem Anlass wird Willy Brandts Sohn Peter Brandt erwartet. Gerda Strunk hatte den legendären Sozialdemokraten während der Berlin-Blockade kennen- und schätzengelernt. Und später auch seinen Sohn Peter: „Er ist ein lieber Freund von mir, ein wahrer Menschenfreund“, sagt sie und lächelt.