Häufiger ziehen die Frauen die Konsequenzen und reichen die Scheidung ein Foto: dpa/gms

Mit interaktiver Grafik - Familienanwälte und Therapeuten wissen: Längere Urlaube können Paare auseinander bringen. Doch die Gründe für die Trennung haben sich schon vorher angehäuft. In Stuttgart gehen die Ehescheidungen jedoch seit Jahren leicht zurück.

Stuttgart - Sommer, Sonne, Ferien: Optimale Bedingungen für eine entspannte Zeit mit dem Partner oder der Familie, möchte man meinen. Die Realität ist aber eine andere: Überhöhte Erwartungen, unterschiedliche Interessen und jede Menge Streit lassen die Sommerferien zu einer Herausforderung werden. Das beobachtet auch Tobias Zink, Fachanwalt für Familienrecht: „Nach den Weihnachts- oder Sommerferien klingelt das Telefon bei uns häufiger. Die besondere Nähe im Urlaub bietet Anlass für den letzten Streit, die Gründe für die Trennung haben sich über Jahre angehäuft.“

Auch Nora Nägele, Paartherapeutin aus Stuttgart-Sillenbuch, bekommt nach den Ferien viele Anfragen: „In diese Zeit werden oft extrem hohe Erwartungen gesetzt, denen der Urlaub dann kaum stand halten kann.“ Ist der Streit nicht mehr zu schlichten, folgt die Scheidung.

Im Jahr 2014 ließen sich in Stuttgart 968 Paare scheiden. Die gute Nachricht ist: Betrachtet man die Scheidungsstatistik in Stuttgart, ist die Zahl von der Tendenz her seit 2005 leicht rückläufig. 2012 traten noch 1072 Paare vor den Scheidungsrichter. Dafür steigt die Zahl der Eheschließungen: Im vergangenen Jahr schlossen 2741 Paare den Bund fürs Leben, 240 mehr als 2013. Zuvor ging die Zahl der Eheschließungen allerdings leicht zurück.

In Stuttgart werden die meisten Scheidungen im sechsten Ehejahr eingereicht

Während in Baden-Württemberg hartnäckig das verflixte siebte Jahr als häufigstes Scheidungsjahr gilt, halten es die Stuttgarter offenbar nicht so lange miteinander aus. Hier lassen sich die meisten Paare im sechsten Jahr scheiden.

„Bedenkt man, dass sich der Scheidungsprozess meist über zwei Jahre hinzieht, sind diese Ehen bereits nach zwei bis drei Jahren in die Krise geraten“, sagt Nora Nägele. Dies deckt sich mit ihren Erfahrungen aus der Praxis. „In den ersten Jahren kommen unheimlich viele Veränderungen auf ein Paar zu: das erste Kind, die Karriere, möglicherweise ein Hausbau“, sagt die Therapeutin.

Die Nächte seien dann kurz, der berufliche Stress groß und das Leben krempele sich vollständig um. Einige Paare seien schlicht überfordert, wenn sie diese Herausforderungen bewältigen müssen. Kommt es zum Streit, liegt es laut der Therapeutin am Verständnis für den anderen, ob dieser eskaliert: „Wir alle haben Schutzmechanismen entwickelt, die bei Problemen auftreten“, erklärt Nägele. Doch diese seien oft unterschiedlich ausgeprägt: „Während sich der eine in stressigen Phasen lieber zurückzieht, möchte der andere den Konflikt austragen.“ Wichtig sei dabei die Erkenntnis, dass das Verhalten des anderen nicht als Angriff zu verstehen sei.

Der Blick in die Stuttgarter Statistik zeigt: Insgesamt ist die Zahl der Scheidungen zwischen dem vierten und dem zehnten Ehejahr vergleichsweise hoch. Nach rund acht Jahren ist ein Drittel der Verheirateten wieder geschieden.

Häufig gibt es Streit, wo die Kinder nach der Scheidung wohnen sollen

Von jeder zweiten Scheidung sind minderjährige Kinder betroffen. Im Jahr 2014 hatten 524 der geschiedenen Paare keine oder volljährige Kinder. Insgesamt ließen sich 2014 die Eltern von 693 Kindern scheiden. „Das gemeinsame Sorgerecht bleibt fast immer bestehen“, sagt Familienanwalt Zink. Aber es gebe häufig Streit, bei wem die Kinder wohnen und wer sie wie oft sehen darf. Meist kommt es zu der klassischen Lösung: Die Kinder wohnen bei der Mutter und besuchen jedes zweite Wochenende den Vater. Neu ist laut Zink seit einigen Jahren, dass die Väter ihre Kinder gleichberechtigt betreuen wollen: „Im Gegensatz zum Ausland lehnen die Gerichte in Deutschland aber das sogenannte Wechselmodell ab.“ Bei diesem Modell könnten sich die Eltern tage- oder wochenweise mit der Betreuung abwechseln.

Viele Paare suchen auch in der Trennungsphase einen Therapeuten auf, um sich beraten zu lassen, wie sie es den Kindern möglichst leicht machen. „Es ist wichtig, die Kinder nicht in Streitereien mit dem Partner hereinzuziehen“, sagt Nägele. Generell trenne es sich leichter, wenn keine Kinder im Spiel sind. Damit es aber erst gar nicht zum endgültigen Bruch kommt, rät Nägele den Paaren, über das Elternsein nicht den Partner zu vergessen. „Auch in stressigen Zeiten ist Zweisamkeit wichtig“, sagt Nägele. Eltern hätten aber oft ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre wenige freie Zeit nicht ausschließlich mit den Kindern verbringen. „Doch von gestressten Eltern haben auch die Kinder nichts“, sagt Nägele. Mit viel Verständnis für den anderen, lassen sich laut der Therapeutin auch schwierige Phasen meistern: „Man sagt ja: Eine Schüssel mit Sprung hält ewig. Und eine gemeinsam gemeisterte Krise schweißt zusammen.“