Immer häufiger wird das Thermometer künftig hohe Temperaturen anzeigen. Foto: dpa

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat das Stuttgarter Stadtklima untersucht und kleinzellig die Auswirkungen des Klimawandels für die Landeshauptstadt prognostiziert. Demnach werden sich die Hitzetage deutlich erhöhen.

Stuttgart - Die Menschen in Stuttgart müssen sich bis Mitte dieses Jahrhunderts auf deutlich mehr Tage mit starker Wärmebelastung einstellen. Für den Bereich Neckartal/Innenstadt könnte sich die Zahl gegenüber dem 30-jährigen Mittel von 1971 bis 2000 auf 40 bis 60 (nahezu) verdoppeln. Laut Modellrechnungen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) lag die gefühlte Temperatur, bei der auch die Luftfeuchtigkeit eine Rolle spielt, in diesem Zeitraum im Schnitt an 25 bis 30 Tagen jeweils mehr als drei Stunden über 32 Grad Celsius. Detaillierte Daten zur Ermittlung der gefühlten Temperatur fehlen laut dem DWD-Vizepräsident Paul Becker zwar. Die simulierte Häufigkeit der Belastungstage stimme aber mit verfügbaren Auswertungen von Wetterstationen überein.

An einzelnen Orten könnten die gefühlt sehr heißen Tage Mitte des Jahrhunderts sogar an 50 bis 70 Tagen auftreten. Betroffen sind insbesondere stark versiegelte Industrie- und Gewerbegebiete im Südosten des Stadtgebiets.

Extreme Entwicklung

Diese extreme Entwicklung des Stuttgarter Stadtklimas hat Paul Becker, der DWD-Vizepräsident und Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt, am Dienstag im Stuttgarter Rathaus prognostiziert. Er stützte sich dabei auf die Ergebnisse einer Untersuchung, mit der der DWD in Kooperation mit der Landeshauptstadt die Entwicklung des Stadtklimas detailliert untersucht und mithilfe des Stadtklimamodells Muklimo-3 die künftige Entwicklung durch Computersimulationen ermittelt hat. Dieses Modell berücksichtigt ganz gezielt die stadt- und geländespezifischen klimatologischen Bedingungen im urbanen Raum. „Die Belastung für die Menschen im Talkessel nimmt demnach erheblich zu“, so Becker. In den bewaldeten und freien Kuppenlagen des Stadtgebiets wird die Veränderung indes wohl nicht ganz so drastisch sein.

„Stuttgart gehört schon heute zu den wärmsten Städten“, sagte Becker. Die klimatische Veränderung in der Kessellage sei künftig aber extremer als in anderen Städten wie Hamburg, München oder Köln. Auch dort hat der DWD bereits entsprechende Untersuchungen vorgenommen und mithilfe von Computersimulationen Prognosen erstellt. Eine mögliche Verdoppelung der Tage mit starker Wärmebelastung sei dort aber nicht zu erwarten.

Verschiedene Klimamodelle und aktuelle Daten berücksichtigt

Um die Auswirkungen für Stuttgart bis in die Mitte dieses Jahrhunderts zu ermitteln, „mussten wir einen beträchtlichen Aufwand betreiben“, so Becker. Anhand verschiedener Klimamodelle und mit Daten von sieben Messstationen aus Stuttgart und vom Echterdinger Flughafen wurden mittels Computersimulationen detaillierte Prognosen nicht nur für die Gesamtstadt, sondern für jeweils etwa 100 mal 100 Meter große Felder erstellt. Insgesamt hat der DWD ein Gebiet von 37 mal 27 Kilometer unter die Lupe genommen. Beckers Fazit: „Vor allem im Innenstadtbereich wird klimatisch viel passieren.“

Für den Stuttgarter Bau- und Umweltbürgermeister Peter Pätzold (Grüne) steht fest, dass die Landeshauptstadt künftig bei der Nachverdichtung „sehr sorgfältig prüfen muss, was wo gebaut werden kann“. Dennoch sei es aber richtig, bestehende Baulücken zu schließen, um den Verbrauch noch vorhandener zusammenhängender Freiflächen so gering wie möglich zu halten. Der Ausbau von Dachgeschossen sei ebenfalls sinnvoll, eine Aufstockungen von Gebäuden indes müsste sehr kritisch betrachtet werden. „Da brauchen wir jeweils Einzelfallprüfungen“, sagte Pätzold.

Förderprogramme der Stadt für mehr Grün

Mit den Programmen zur Hinterhofentsiegelung sowie zur Förderung der Dach- und Fassadenbegrünung sei man daher bereits auf dem richtigen Weg. Noch in diesem Jahr plane man zudem eine Untersuchung der Stadt mit Infrarotkameras, um vor allem mögliche neue Dachflächen zur Begrünung zu ermitteln. Die Kaltluftentstehungsgebiete und Kaltluftschneisen, die den Luftaustausch in der Stadt regeln, müsse man dauerhaft sichern.

Die Begrünung von Flachdächern, wie sie laut Pätzold seit mehr als anderthalb Jahrzehnten in den Bebauungsplänen der Landeshauptstadt „in der Regel  festgeschrieben ist“, hilft demnach nicht nur, den Temperaturanstieg einzudämmen. Bei Starkregen leisteten begrünte Dächer auch als Niederschlagspuffer einen wichtigen Dienst.

Ergebnisse zeigen: Klimawandel ist Realität

„Der Wetterdienst liefert uns mit seiner Untersuchung und Simulation die Fakten“, sagte Ulrich Reuter, der Leiter des Stuttgarter Amtes für Umweltschutz. Nun gelte es, die Beratung zum klimagerechten Planen und Bauen anhand der Daten, „die uns nun erstmals aus der Klimaprognose vorliegen“, weiter zu forcieren. Denn: „Die Ergebnisse zeigen, der Klimawandel ist Realität, die Auswirkungen sind in greifbarer Nähe“, sagte Reuter.

Der DWD hat keine konkreten Handlungsempfehlungen für Stuttgart formuliert. Es sei Sache der Politik, die Leitlinien vorzugeben, sagte Becker. „Wir können aber nun anhand der ermittelten Hotspots sagen, was welche Veränderungen wo bewirken“, machte der DWD-Vizepräsident deutlich. Man könne nun quasi für jeden Straßenzug das zu erwartende Mikroklima ermitteln. Stuttgart habe mit der Untersuchung eine Vorreiterrolle übernommen, „auch wenn die Ergebnisse auf andere Städte nicht einfach so übertragbar sind“, so Becker.