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Drogen passen nicht mehr zum gesunden, leistungsfähigen Lebensstil der junge Leute.

Stuttgart - Immer weniger Jugendliche rauchen, für den Alkohol prophezeit Jugendforscher Klaus Hurrelmann eine ähnliche Entwicklung: „Zum Lebensstil der jungen Leute, gesund und leistungsfähig zu sein, passt das nicht mehr.“ Er warnt aber vor einer neuen Droge zur Selbstdarstellung: dem Internet.


Herr Hurrelmann, nur noch zwölf Prozent der Jugendlichen bis 17 Jahren rauchen, vor zehn Jahren waren es noch doppelt so viele. Überraschen Sie diese neuen Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung?

Dass die Volksdroge Zigarette einen solchen Niedergang erleben würde, hätte vor 30 Jahren niemand vorhergesagt. Das ist eine kleine Sensation. Bislang sind wir in der Forschung davon ausgegangen, dass junge Leute den Umgang mit der Zigarette lernen müssen, weil sie allgegenwärtig ist. Aber plötzlich ist sie total aus der Mode gekommen, die meisten Jugendlichen würden nie eine anrühren.

Warum ist Rauchen plötzlich so uncool?
Wir wissen, dass Rauchen in den Lebensstil eingebettet ist. Die jungen Leute heute wollen leistungsfähig, fit und körperlich attraktiv sein. Mit Zigaretten können sie diese Ziele nicht erreichen. Während man früher noch der Meinung war, dass Rauchen schlank macht, gilt es heute als schmutzig, sorgt für schlechten Atem und stört die Mitmenschen. Zigaretten gehören nur noch in die unteren Bildungsschichten, sind etwas für Loser.

Alkohol entspannt – und ist die Belohnung fürs Schuften


Seit den Rauchverboten sind Zigaretten nicht mehr so präsent in der Öffentlichkeit. Hat das auch zum Imagewandel beigetragen?
Junge Leute rauchen, um in der Öffentlichkeit zu zeigen, wie erwachsen sie sind. Durch die Rauchverbote können sie sich natürlich nicht mehr so leicht präsentieren. Außerdem ist es schwieriger geworden, an Automaten an Zigaretten zu kommen, die Preise haben angezogen. Das alles spielt eine Rolle. Aber ohne eine Veränderung ihres Lebensstils, den die Jugendlichen eben nicht durch Drogen gefährden wollen, wäre die Entwicklung nicht möglich gewesen.

Statt mit Zigaretten gefährden Jugendliche ihre Gesundheit jetzt eben mit Alkohol, bei den 18- bis 25-Jährigen hat das exzessive Trinken laut Drogenstatistik zugenommen. Ein Widerspruch zum Lebensstil, oder?
Auf den ersten Blick stimmt das . Gleichzeitig aber wird Alkohol getrunken, um entspannen zu können. Und damit löst sich der Widerspruch: Die jungen Leute schuften und leisten den ganzen Tag. Danach wollen sie sich aber auch als interessanten und entspannten Menschen darstellen können – und zwar innerhalb kürzester Zeit. Also dröhnen sie sich weg. Anders als Zigaretten gilt Alkohol dabei als salonfähiges Rauschmittel, das auch in den gebildeteren Schichten noch in Mode ist.

Statt mit Alkohol und Zigaretten passiert die Inszenierung auf Facebook


Noch?
Bei den 12- bis 17-Jährigen ist der Alkoholkonsum ja bereits leicht rückläufig. Und ich kann mir vorstellen, dass der Trend, fit, gesund und konzentriert sein zu wollen, auch noch auf Alkohol überspringen wird. Leistungsdruck ist ja heute bereits in der Grundschule spürbar. Schon Kinder wissen, dass sie in einer Leistungsgesellschaft leben und dass es im Beruf später vor allem darauf ankommt, wie belastbar man ist. Für diese Generation gibt es gute Gründe, sich auch vom Alkohol abzuwenden.

Leistung hin oder her: Geraucht und getrunken wird aber doch auch, weil gewisse Exzesse zum Jungsein dazugehören.
Klar, Drogen sind für junge Menschen immer auch ein Ventil. Sie stehen für die Sehnsucht nach Grenzüberschreitung. Sie helfen dabei, erwachsener zu wirken, als man eigentlich ist. Dieses Bedürfnis gehört zur Pubertät dazu, und ich vermute, dass es künftig vor allem über soziale Netzwerke gestillt werden wird.

Weil man auch dort die Möglichkeit zur Selbstdarstellung hat?
Genau, über Fotos und Kommentare kann man sich ja auch prima inszenieren, sich das Image aufbauen, das man gern haben möchte. Und da es typisch für Jugendliche ist, maßlos zu übersteuern, um herauszufinden, wer man eigentlich ist und wie man sein möchte, liegt hier auch neues Suchtpotenzial.

Leistungsfähigkeit ist eine Folge der Wirtschaftskrise


Dem man, wenn man Ihre These vom Lebensstil wieder aufgreift, recht hilflos ausgeliefert ist. Denn letztlich entscheidet das Lebensgefühl, ob Substanzen oder auch Gegenstände wie der Computer zur Droge werden, richtig?
Aufklärung und Information können in der Tat wenig ausrichten, ja. Eher schon Verfügbarkeit, Preis und Nutzungsmöglichkeiten, wie das Beispiel der Zigarette zeigt. Auf das Lebensgefühl wiederum hat man wenig Einfluss, denn es wird durch die Zeit geprägt, in der junge Leute groß werden. Sie entscheidet darüber, was Jugendliche brauchen, um ihre Ziele zu erreichen, um einen Job zu finden. Die Betonung der Leistungsfähigkeit ist ja eine Folge der Wirtschaftskrise.

Und wenn sich der leistungsfähige Lebensstil wieder ändert? Kommen Zigaretten und Alkohol dann zurück?
Das ist durchaus möglich. Andererseits leben wir in einer Welt, die immer stärker von kommunikativen und sozialen Zonen geprägt wird, vor allem natürlich im Internet. Die jungen Leute reagieren ja nicht umsonst so allergisch, wenn sie ihre Freiheit im Netz durch Einschränkungen bedroht sehen. Für dieses Lebensgefühl gehen sie auf die Straße. Und das begünstigt natürlich auch Süchte rund um den Computer.