Eine Blutprobe zur Doping-Kontrolle: Heute wird schlauer betrogen als früher. Foto: dpa

Er hat viele prominente Athleten verteidigt, und er berät auch heute noch deutsche Topsportler. Deshalb ist für den Heidelberger Sportrechtler Michael Lehner klar: Wird der Entwurf des neuen Anti-Doping-Gesetzes nicht überarbeitet, werden Athleten dagegen klagen. Ein Interview über den schwierigen Kampf gegen Doping.

Stuttgart - Herr Lehner, Sie tauchen derzeit weniger in der Öffentlichkeit auf, als wir es von Ihnen gewohnt sind. Woran liegt das?
Sicher nicht daran, dass ich weniger arbeite als früher (lacht). Sondern daran, dass die Zahl der spektakulären Dopingfälle abnimmt.
Weil weniger gedopt wird?
Das glaube ich nicht. Die Ehrlichkeit ist sicher nicht größer geworden, der Sport bleibt anfällig für Korruption und alles Schlechtmenschliche. Es wird heutzutage aber schlauer betrogen als früher. Die Superstars haben genug finanzielle Mittel und medizinische Unterstützung, um sich beim Dopen nicht erwischen zu lassen.
Wie ist das Dopingproblem zu lösen?
Gar nicht. Solange weiterhin Leistungen gefordert werden, die außer von absoluten Ausnahmetalenten nur mit verbotenen Hilfsmitteln erreicht werden können, wird es auch Doping geben. Und darüber darf man sich dann auch nicht wundern.
Sie haben den Radprofi und geständigen Doper Stefan Schumacher im Betrugsprozess vor dem Stuttgarter Landgericht verteidigt. Er wurde freigesprochen, auch Sie waren danach der Meinung: Deutschland braucht ein Anti-Doping-Gesetz. Sehen Sie das immer noch so?
Ja, denn ich bin ganz klar gegen Doping. Und ich bin auch dafür, dass der Staat eingreift, weil ich der Dopingjagd des Sports skeptisch gegenüberstehe. Wenn der Staat Doper strafrechtlich verurteilen will, dann geht das auf der rechtlichen Grundlage, die wir derzeit haben, allerdings kaum.
Nun wird es dieses Anti-Doping-Gesetz bald geben, zufrieden aber sind Sie trotzdem nicht.
Weil nicht der richtige Schritt gegangen wird.
Das müssen Sie uns erklären.
Bei diesem Entwurf drückt sich der Gesetzgeber vor der Harmonisierung zwischen Straf- und Sportrecht. Wird das Gesetz so verabschiedet, werden erhebliche Konflikte entstehen. Ein großer Wurf sieht anders aus.
Woran hapert es?
Ein überführter Doper würde sehr hart bestraft werden. Schon die Sanktionshärte des weltweiten Anti-Doping-Systems ist enorm, insbesondere deshalb, weil die Möglichkeit, sich zu entlasten, bei den Betroffenen sehr gering ist. Setze ich da noch ein staatliches Gesetz obendrauf, dann habe ich bei einer Verurteilung in der Summe – im Vergleich zu anderen Vergehen wie zum Beispiel Diebstahl – eine unverhältnismäßig hohe Strafe. Und es gibt weitere Probleme.
Welche?
Im Sportrecht muss der dopende Sportler seine Unschuld beweisen. Im Strafrecht muss derselbe Athlet womöglich aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Gibt es derart widersprüchliche Urteile, dann drohen Schadenersatzklagen, die kleinere Sportverbände ihre Existenz kosten können.
Was kritisieren Sie noch?
Ich stehe in sehr engem Kontakt mit einigen Athleten, die zwar für einen sauberen Sport stehen, aber große Angst vor diesem Anti-Doping-Gesetz haben.
Angst?
Ja. Sie haben Angst davor, Opfer eines Dopinganschlages zu werden. Weil künftig bereits der Besitz strafbar ist, reicht es, wenn ihnen jemand eine Spritze oder eine Tablette in die Sporttasche steckt, und sie werden mit der ganzen Härte dieses Gesetzes verfolgt.
Können Sie die Namen dieser Sportler nennen?
Ich berate eine Gruppe, zu der Diskuswerfer Robert Harting und Hammerwerferin Betty Heidler gehören, aber auch noch einige andere. Das sind Athleten, die in der Lage sind, pointiert über ihren Sport nachzudenken. Ich spüre bei ihnen diese Angst, und das ist nicht nur gespielt, sondern berechtigt. Ich hätte an ihrer Stelle auch Angst.
War’s das mit Ihrer Kritik?
Nein. Ich bin froh über den hohen Anspruch an den Datenschutz, den wir in Deutschland haben. Doch dieses Gesetz weicht alles auf. Es erlaubt einen Datentransfer von den Strafverfolgungsbehörden zur Nationalen Anti-Doping-Agentur und von dort zur Welt-Anti-Doping-Agentur nach Montreal. Und von dort zu Sportveranstaltern – womöglich nach Timbuktu oder sonst wohin. Das geht doch nicht! Da gebe ich Standards auf, die sonst überall selbstverständlich sind. Und das gilt auch für den Umgang mit dem Cas . . .
. . . dem obersten Sportgerichtshof in Lausanne.
In dem Gesetz wird der Cas geheiligt, weil drinsteht, dass die Schiedsgerichtsbarkeit des Sportes gut funktioniert und akzeptiert wird. Es fehlt aber der Halbsatz, dass sie den Anforderungen des deutschen Gesetzgebers an Schiedsgerichte entsprechen muss. Schreibe ich das nicht rein, gebe ich meinen eigenen Rechtsstandard zugunsten eines Sportgerichtes auf, das keine freie Schiedsrichterwahl hat und abhängig vom Internationalen Olympischen Komitee ist.
Ihre Schlussfolgerung?
Lieber kein Anti-Doping-Gesetz als so eines. Es dient nicht dem Sport, sondern nimmt nur dem Athleten seine Rechte.
Es gibt Experten, die meinen, Sportler hätten künftig das Recht, einen Dopingtest zu verweigern, mit dem sie sich selbst belasten würden.
Ein spannendes Argument. Aus meiner Sicht ist das ein unauflösbarer Widerspruch. Scharf juristisch gedacht, müsste ein Sportler nichts offenbaren, wenn er sich dadurch selbst überführt. Andererseits fliegt er dann sportrechtlich auf die Schnauze. Er wird bis zu vier Jahre gesperrt, wenn er sich einem Test verweigert. Auch hier schafft das Gesetz Probleme, die in der Praxis unlösbar sind.
Wird Justizminister Heiko Maas den Entwurf für das Gesetz noch einmal überarbeiten?
Nein, er wird das Gesetzgebungsverfahren durchziehen, ohne am Text noch groß etwas zu verändern. Der Bundestag scheint da eher kritiklos zu sein und den Entwurf durchwinken zu wollen. Das Gesetz wird in dieser Form im Januar verabschiedet werden.
Und dann?
Bietet sich allen Verteidigern von Doping-sündern ein Eldorado.
Warum?
Die Regel wird sein, dass sich die Strafen beider Gerichte addieren, denn 80 Prozent der Ertappten sind tatsächliche Doper. Da will ich nichts relativieren oder kleinreden. Als Jurist würde ich mir aber den Fall wünschen, dass ein vom Sport gesperrter Doper vor einem Strafgericht – im Zweifel für den Angeklagten – freigesprochen wird. Es wäre eine interessante Aufgabe, danach gegen das Sportgerichts-Urteil vorzugehen und Schadenersatz vom Verband einzuklagen.
Werden Doper ins Gefängnis kommen?
Das kann ich mir nur bei Mehrfachtätern vorstellen, was in der Kürze einer sportlichen Karriere kaum möglich sein wird. Für mich überdeckt die Androhung derart harter Strafen eher das eigene Unvermögen und den eigenen Unwillen, der großen Geißel des Sports anders Herr zu werden. Das ist nicht richtig zu Ende gedacht. Hier fordere ich von den Sportlern „Go for Gold“, und dort drohe ich ihnen mit Gefängnis. Auch das ist aus meiner Sicht ein großer Widerspruch.
Wie reagieren die Athleten?
Unterschiedlich. Es gibt Sportler wie den Triathleten Sebastian Kienle, der sich allem unterwirft und selbst gegen eine elektronische Fußfessel nichts einzuwenden hätte. Es gibt welche, die sich keine großen Gedanken machen. Es gibt Doper, die hoffen, irgendwie durchzukommen. Und dann gibt es noch die Athleten, die Angst haben.
Und was tun werden?
Einige Sportler werden gegen das Anti-Doping-Gesetz klagen, wenn es juristisch geht. Ihr Wille, dies zu tun, ist groß, weil sie nicht der Spielball des Gesetzgebers sein und alle Risiken tragen wollen. Diese Athleten werden sicher nicht warten, bis der erste Überführte sich bis zum Bundesverfassungsgericht durchklagt. Stattdessen suchen sie nach einer vernünftigen Möglichkeit, um nach der Verabschiedung des Gesetzes sofort juristisch dagegen vorzugehen – und ich würde so eine Klage auch gerne führen.
Wo wäre der Ansatzpunkt?
Ich wünsche mir eine möglichst populäre und große Gruppe von Sportlern, die gegen das Gesetz klagt. Ich muss das noch im Detail prüfen, aber ich könnte mir eine Feststellungsklage vorstellen mit der Begründung, dass das Gesetz an dieser oder jeder Stelle auf den einzelnen Athleten nicht anwendbar ist.
Zum Beispiel?
Bei der Doppelbestrafung durch Sport und Staat. Bei der Klausel zu den Schiedsgerichten. Oder beim Datenschutz. Eine andere Variante könnte sein, gegen die Nada oder den eigenen Verband eine Feststellungsklage anzustrengen, weil ich als Athlet durch das Gesetz die Möglichkeit habe, Urin- oder Blutkontrollen zu verweigern. Das wäre sogar die noch elegantere Lösung (lächelt).
Sie freuen sich schon auf die Klage?
Darum geht es nicht. Ich bin Anwalt, das ist mein Job. Ob das Anti-Doping-Gesetz in dieser Form in Ordnung ist, diese Frage hätte ich schon sehr gerne juristisch geklärt.
Was hätte das Gesetz für Auswirkungen im Alltag?
Alle, die am Gesetz beteiligt waren, sind zufrieden, vermeintlich etwas gegen Doping getan zu haben. Ansonsten? Eher keine!
Wirklich nicht?
Das Gesetz ist das Bekenntnis der deutschen Politik, gegen Doping zu sein. Aber es ist ein unehrliches Bekenntnis. Sonst wäre auch der Breitensport erfasst. Und sonst würde ein teilweise korruptes Sportverbandssystem durch die Stärkung der Schiedsgerichtsbarkeit und den Datentransfer nicht auch noch unterstützt werden.