Die Anwendung von illegalen Medikamenten scheint im Hobbysport weitaus stärker verbreitet zu sein als bei Profisportlern. Foto: dpa

„Schönfärberei“ und „organisierte Unverantwortung“. Das sind die Begriffe mit denen der renommierte Anti-Doping-Experte Gerhard Treutlein aus Heidelberg die Aussagen von Ministerin Eisenmann beschreibt. Ausgangspunkt für seine Kritik sind Recherchen unserer Zeitung.

Stuttgart/Heidelberg - Der Vorwurf ist hart: „Politik und Sportfunktionäre kaufen sich von Verantwortung frei.“ Das sagt der Heidelberger Professor für Sportpädagogik Gerhard Treutlein. Aus Sicht des renommierten Anti-Doping-Experten klafft beim Kampf gegen Doping eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Denn wie Recherchen unserer Zeitung zu Tage geförderte haben, besteht speziell im Freizeitsport ein erhebliches Dopingproblem – nur für Aufklärung und Prävention fühlt sich offenbar kaum jemand zuständig.

Treutleins aktuelle Kritik bezieht sich auf eine offizielle Stellungnahme von Kultus- und Sportministerin Susanne Eisenmann (CDU). Die Ministerin wurde aus dem Landtag heraus per schriftlichem Antrag zu ihren Anstrengungen im Kampf gegen Doping befragt. Den Fokus legt die Ministerin in ihrer Antwort klar auf die Nationale-Anti-Doping-Agentur (Nada). „Auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung aller Länder wird die Nada jährlich mit 500 000 Euro zur Durchführung von Präventionsprojekten unterstützt“, erklärt Eisenmann. 2015 habe der Beitrag Baden-Württembergs 83 000 Euro betragen, so die Ministerin. Weiter heißt es in der sechseitigen Antwort mit Blick auf tatsächliche Kontrollen: „Da die meisten reinen Breitensportveranstaltungen  nicht  an das Anti-Doping-Regelwerk angebunden sind, führt die Nada bei diesen Veranstaltungen keine Dopingkontrollen durch.“ Kurz gesagt: Eisenmann setzt beim Problem des Dopings im Hobbysport auf Prävention – einen Großteil dieser Aufgabe soll der offiziellen Stellungnahme    zufolge   die   Nada    leisten. Hier setzt die Kritik von Gerhard Treutlein an. „Der politische Wille geht dahin, alles bei der Nada zu konzentrieren“, sagt der Experte.

Tatsächlich kümmere sich die Agentur jedoch allein um den Spitzen- und Leistungssport, um Kaderathleten und um die Eliteschulen des Sports, die auf die Unterstützung ambitionierter Nachwuchsathleten ausgelegt sind. Treutleins Kritik: „Bund, Länder und der Olympische Sportbund DOSB geben der Nada Geld und kaufen sich damit quasi von Verantwortung frei.“ Das Fazit des anerkannten Experten lautet daher: „Die Ministeriumsantwort ist die übliche Schönfärberei.“

Kritik aus Heidelberg

Hintergrund der parlamentarischen Anfrage waren exklusive Berichte unserer Zeitung. Das Ergebnis der Recherchen: Der Freizeitsport hat ein massives Dopingproblem. Gestützt wird diese Aussage vom Anti-Doping-Experten Perikles Simon. „99,9 Prozent aller Dopingmittel werden im Hobbysport konsumiert“, so Simon. Seine Aussagen stützt der Leiter der Sportmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz unter anderem auf die Mengen illegaler leistungssteigernder Substanzen, die vom Zoll beschlagnahmt werden. Die Zahl der Verfahren steigt seit Jahren deutlich an – 103 waren es 2009, 1281 im vergangenen Jahr. Kenner der Fitness-Szene beobachten zwei weitere Trends: Die Einnahme von Dopingmitteln wird zunehmend salonfähig. Und: Die Konsumenten werden jünger.

Widerspruch zwischen NADA und Ministerium

Auf Anfrage unserer Zeitung erklärt Eva Bunthoff, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Nada: „Die Prävention stellt neben dem Doping-Kontrollsystem die zweite wichtige Säule der Arbeit der Nada dar.“ Ziel sei es, dass „Athleten aktiv und selbstbestimmt Nein zu Doping sagen können“, so Bunthoff weiter. Man wolle Athleten, sowie Trainer, Eltern oder Betreuer in ihrem Einsatz für saubere Leistung unterstützen. Alles also auf den Spitzensport fokussiert und kein Gedanke an den Hobbysport? Auf Nachfrage erklärt Bunthoff dazu: Auch die Integration der Präventionsarbeit im Breiten- und Fitnesssport sei Teil des Präventionsprogramms der Nada. Und: Seit Kurzem sei man daher auch im Bereich der Fitnessstudios aktiv.

Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund die Reaktion des Ministeriums auf die Kritik des Heidelberger Experten Gerhard Treutlein: „Das Kultusministerium erhebt an die Nada nicht den Anspruch einer über die Dopingkontrollen im Leistungssportbereich hinausgehenden Kontrolltätigkeit“, erklärt Kai Gräfe, Sprecher des Ministeriums. Und: „Vielmehr haben wir bereits in der Antwort auf die Landtagsanfrage deutlich gemacht, dass die Nada aus Sicht des Kultusministeriums grundsätzlich nur für den Leistungssport zuständig ist.“

Auch bei der Wahl der Mittel scheint man sich nicht einig zu sein: Die Nada setzt nach eigener Aussage verstärkt auf moderne Medien und die Präsenz bei Sportevents. „Broschüren und Faltblätter zu drucken halte ich für wenig effektiv“, sagt Eva Bunthoff von der Nada.

Gefragt nach den Leistungen des eigenen Ministeriums in der Anti-Doping-Arbeit erklärt Ministerin Eisenmann hingegen: Das Ministerium habe im Jahr 2014 eine Broschüre mit dem Titel „Schönheit um jeden Preis? Leistung um jeden Preis?“ herausgegeben.