Elina Garanca zwischen Matthew Polenzani (li.) und Mariusz Kwiecien Foto: Wilfried Hösl

Obwohl die lettische Sopranistin Elina Garanča alles gibt, hat „La Favorite“ an der Bayerischen Staatsoper mit der feinen Kunst des italienischen Schöngesangs nur wenig zu tun.

München - Belcanto ist eine Kunst der Verfeinerung: Schöngesang voller subtiler Nuancen in Ausdruck, Klangfarbe und Zierwerk. Bis etwa 1840 wurde in den Opernhäusern Italiens diese Gesangstechnik für sehr bewegliche, lyrische Stimmen gepflegt. Mit der Vergrößerung des Orchesters bei Verdi und den Veristen endete die Ära des Belcanto – und noch heute kranken Aufführungen von Werken Rossinis, Bellinis oder Donizettis darunter, dass Sänger in ihrer Ausbildung eher lernen, sich gegenüber großen Klangkörpern zu behaupten, als mit dezenten Klangfarben zu spielen. Diese Aufführungen leiden auch darunter, dass Dirigenten, selbst die guten, Vokalsolisten mit viel orchestraler Lautstärke in die dynamische Offensive zwingen.

Das war jetzt auch in München zu erleben: Die Bayerische Staatsoper bot als erste Saisonpremiere Gaetano Donizettis 1840 uraufgeführte Oper „La Favorite“ („Die Favoritin“), die nach langen Erfolgsjahren (bis 1918 verzeichnete die Pariser Oper fast 700 Aufführungen des Stücks) heute neben „Lucia di Lammermoor“ und „Der Liebestrank“ ins Hintertreffen geraten ist. Die Attraktivität des Abends erhöhte zusätzlich das Engagement der zurzeit vielbejubelten Sopranistin Elina Garanca für die Titelpartie. Die Lettin sang ihre große Szene im dritten Akt mitsamt der Arie „O mon Fernand“ tatsächlich nicht nur mit großer Hingabe, sondern auch mit einem staunenswerten Reichtum an schönen Klangschattierungen und an feinen Details. Außerdem tat der Dirigent Karel Mark Chichon hier, was ihm zuvor (und oft auch danach) nicht glückte: Er hielt sich und das Bayerische Staatsorchester zurück.

Das Bayerische Staatsorchester spielt präzise, theatralisch, aber viel zu laut

In der Summe ist bei der Belcanto-Oper „La Favorite“ in München allerdings die Abwesenheit des Belcantos zu betrauern: Chichon dirigiert rhythmisch sehr präzise, legt schon im Vorspiel effektvoll das theatralische Potenzial der Partitur bloß, und so kommt es, dass sogar der quicke, zu viel Differenzierung fähige Tenor Matthew Polenzani immer wieder auf die Tube drückt, um sich neben dem Orchester zu behaupten. Heraus kommt: glänzendes Metall. Das trägt, aber es hat keine Zwischen- und Obertöne, es leuchtet nicht von innen heraus. Ähnliches gilt für Mariusz Kwiecien, der als König Alphonse nicht ganz bruchlos die Register wechselt, und es gilt auch für Mika Kares als Balthazar. Wie wirklich schönes Singen klingen könnte, hört man ausgerechnet bei einer kleinen Partie: Elsa Benoît gibt die Inès mit brillanter Technik und mühelos glänzender Höhe..

Belcanto-Opern sind Gesangsopern. Um des schönen Singens willen reihen sie schreckliche Situationen, Momente extremer Gefühle aneinander, die sich nicht immer zu einem Bogen fügen. Zuweilen gelingt es Regisseuren (wie etwa Jossi Wieler und Sergio Morabito bei Bellinis „La Sonnambula“ und „I Puritani“ in Stuttgart), das Episodische zu einer von Gefühls- oder Traumlogik motivierten Handlung zusammenzubinden. Das ist allerdings schwierig und eine Ausnahme – was jetzt auch die Inszenierung Amélie Niermeyers bestätigt.

Viele Inszenierungsideen liest man nur im Programmheft

Die vom Schauspiel kommende Regisseurin (und ehemalige Intendantin in Freiburg und Düsseldorf) hat sich viele Gedanken zum Stück gemacht, die man im Programmheft nachlesen kann: Um den Gegensatz von Kirche (will Macht) und Staat (will auch Macht), gehe es im Stück ; um den zerrissenen Fernand, der im Konflikt zwischen Klosterleben und Liebe zwei Mal radikal den Kurs ändert; um Léonor, die starke Frau, Mätresse des Königs, den sie ebenso sehr liebt wie Fernand. Eine unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen ausweglose Ménage à trois.

Schade nur, dass man derlei kaum sieht. Immerhin nimmt man – trotz oft nur schüchterner Personenführung – wahr, dass bis zum Ende des Stücks alle Figuren zwischen den verschiedenen Fronten zerrieben werden. Aber man kommt keiner von ihnen nah. Verschiebbare graue Wände definieren den Spielraum zwar ständig neu (Bühne: Alexander Müller-Elmau), und hinter diesen Wänden legt die Lichtregie allerlei Dekoratives frei: mal den Gekreuzigten, mal Madonnen und mal hübsche Grünpflanzen. Das wirkt aber ebenso beliebig wie die ständige Neuanordnung von Stühlen. Die scheinen auch deshalb dazustehen, damit Wütende sie immer von Neuem umwerfen können; dass es hier auch um die Ausstellung einer fehlenden Privatheit geht, hätte man allerdings auch ohne laut polterndes Mobiliar verstanden. Und welche Verletzungen, welche Ängste eine Mätresse und ewige Zweite umtreiben, warum dieser starken Frau erst sterbend die Flucht aus dem goldenen Käfig gelingt: Diese Fragen bleiben ungestellt

Eine Szene indes ist wundervoll, weil sie die Wahrnehmungsrichtung originell umkehrt: Wortlos sitzen der König und seine Favoritin da, und wir sehen, wie das (hier nicht gezeigte) Ballett auf beide wirkt, wie die Lichtwechsel der imaginären Bühne die Gesichter der Figuren beleuchten, wie die unsichtbaren Bilder schließlich den König vom Sitz und aus den Armen der Geliebten reißen. Eine feine, gebrochene Lichtspielszene – toll! Der Rest ist Händeringen.