Nicholas Hodges in Simon Steen-Andersens Klavierkonzert Foto: SWR-Pressestelle/Fotoredaktion

Am Sonntag beendeten neue Werken von Peter Ablinger, Brian Ferneyhough, Brice Pauset, Ondrej Adámek und Simon Steen-Andersen einen guten Jahrgang des Neue-Musik-Festivals.

Donaueschingen - Luft rein, Luft raus. Saugen, blasen. Einatmen, ausatmen. Hinter der Bühne stehen zwei Staubsauger, und auf die Bühne hat der polnische Komponist Ondrej Adámek beim Abschlusskonzert der Donaueschinger Musiktage am Sonntagabend ein Gerät gestellt, das er „Air Machine“ nennt: Am Ende von Schläuchen hängen Handschuhe, Luftballons, Pfeifen, Tröten und auch mal ein Quietscheschwein, ein Pianist regelt das Saugen und Blasen durch Tastendruck, und wenn die rund um die Zuschauer im Saal verteilten Musiker des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg das Einatmen und Ausatmen aufnehmen, wenn die Sänger des SWR-Vokalensembles selbst tröten, Ballons fliegen lassen oder launig Volkslieder und –tänze anstimmen, dann fügt sich das Werk mit dem sprechenden Titel „Körper und Seele“ zur Raumklangmusik mit eingelagerten Elementen absurden Theaters und lärmender Rummelplatz-Lustbarkeit. Das Publikum, so die Idee des Komponisten, soll eintauchen in einen atmenden Körper, und es soll seine Wurzeln spüren.

Nun klafft bei Uraufführungen zwangsläufig oft eine Diskrepanz zwischen Idee und Ergebnis. Das gilt auch für Adámeks Stück, das für seinen dürftigen Inhalt viel zu lang ist und für seinen Anspruch viel zu klamaukig. Auch das zuvor uraufgeführte, mit politischen Inhalten aufgeladene Cembalo-Konzert des französischen, in Freiburg lehrenden Komponisten Brice Pauset wollte mit der Gegenüberstellung von Masse und Individuum (verkörpert vom Solo-Cembalo und von einer Sprecherin, die unter anderem Zitate Rosa Luxemburgs auf Arabisch rezitiert) weit mehr, als schließlich zu hören war.

Vor diesem Hintergrund konnte man sich umso mehr an einem Stück erfreuen, das genau das umsetzte, was es umsetzen wollte: Das Klavierkonzert von Simon Steen-Andersen ist eine virtuos konzipierte und interpretierte Fantasie über den Gegensatz wie auch über ein mögliches Miteinander von Realität und Fiktion, Ironie und tieferer Bedeutung, Klang und (Film-)Bild.

Ein Video zeigt in Slow Motion, wie ein Flügel aus großer Höhe auf Beton fällt; den Klang der reißenden Saiten und des zersplitternden Holzes nimmt das Orchester auf, und in der Folge kommuniziert es mit zwei Pianisten: dem realen Nicholas Hodges am realen Flügel und dem gefilmten Hodges, der das kaputte Instrument bespielt. Letzteren projiziert das Video auf eine Leinwand neben dem realen Solisten, so dass sich der Pianist selbst gegenübersitzt, und die präzise mit den Live-Klängen verzahnten Bilder und Klänge des Films sorgen für packende Dialoge. Mit gutem Grund wurde das intelligente, elaborierte Stück des in Berlin lebenden Dänen nach dem Konzert mit dem Orchesterpreis des SWR-Sinfonieorchesters ausgezeichnet.

Auch der Komponist Johannes Kreidler bewegt sich in seiner unter Aspekten der musikalischen Form und Technik geschnittenen Video-Installation „22 Stücke für Musik“ intelligent zwischen Klang und Bild – wobei er nicht nur bei seiner multiplen Selbsttötung auf einem sechzehnfach geteilten Bildschirm mit bizarrer Selbstironie den Zusammenhang zwischen Zeichen und Bezeichnetem infrage stellt.

Beim Ensemble Modern am Sonntagmorgen hatte Peter Ablingers „points & views“ unter reger Zuhilfenahme von Elektronik Möglichkeiten einer Annäherung von Sprache und Musik (über Rhythmus, Tonhöhe, Sprachmelodie) erprobt. In manchem Zuhörer mag dabei die Erkenntnis gereift sein, dass Musik dort am besten und glücklichsten ist, wo sie ihre althergebrachte Autonomie eines Nichts-sagen-Müssens und eines Einfach-nur-Klang-sein-Dürfens verteidigt.

Dass das überzeugendste Stück des Konzertes am Ende von einem etablierten Altmeister kam, spannte den Bogen zurück zur ersten Veranstaltung des Festivals: So wie Brian Ferneyhoughs mit klarer Farbgebung gegliederte „Inconjunctions“ in ihrer Strenge, Konsequenz und Folgerichtigkeit ganz jenseits von klischeehafter „neuer Komplexität“ überzeugten, hatte am Freitag schon Friedrich Cerhas Orchesterstück „Nacht“ trotz einer gewissen postromantischen Grundhaltung mit seiner ganz eigenen Klangsinnlichkeit bezaubert.

Womit gleich zweifach bewiesen wäre, dass gutes Handwerk der Kunst durchaus nicht im Wege stehen muss. Unfreiwillig und ex negativo lieferte sogar Manos Tsangaris’ dreiteiliger „Mistel“-Zyklus dieser Behauptung Argumente zu. Die Idee des Komponisten, aktuelle Ereignisse musikalisch zu kommentieren, hatte im Eröffnungskonzert noch für lustige, kreative Verwirrung gesorgt, indem sie die in den Saal übertragene, überlange und immer absurder werdende Nachrichtensendung in das Spiel des Orchesters integrierte. Im Abschlusskonzert jedoch wirkte die von Tsangaris konzipierte Performance der Musiker zur geplanten Orchesterfusion einfach nur plump. Und die besten Argumente gegen den geplanten Akt der Kulturvernichtung lieferte das SWR-Sinfonieorchester durch seinen das Festivalprofil prägenden, exzellenten Umgang mit dem Neuen immer noch ganz alleine.