Auch in Gaza wollen die Karlsruher helfen: Zeichnung eines palästinensischen Mädchens Foto: StN

Ein Verein aus Karlsruhe kümmert sich in Dohuk im Nordirak um seelisch traumatisierte Kinder und Jugendliche in den Flüchtlingslagern.

Karlsruhe/Dohuk - „Heute Morgen ist ein Kind vor meinen Augen zusammengebrochen“, sagt Bernd Ruf. Die Telefonverbindung ist schlecht. Im Hintergrund ist Stimmengewirr zu hören.

Der 59-Jährige ist Einsatzleiter der zehnköpfigen Gruppe des Vereins „Freunde der Erziehungskunst“ mit Sitz in Karlsruhe, der von der Waldorfbewegung unterstützt wird. Die Gruppe ist am Donnerstag in den Nordirak aufgebrochen, um traumatisierten Kindern zu helfen. Kinder wie das zehnjährige Mädchen, das am Freitagmorgen in Dohuk zusammenbricht. Sie, ihre acht Geschwister und ihre schwangere Mutter waren zwei Tage zu Fuß auf der Flucht vor den Kämpfern des Islamischen Staats (IS), wurdenunterwegs sogar beschossen – jetzt ist das Mädchen seelisch am Ende.

Acht der zehn freiwilligen Helfer kommen aus Baden-Württemberg. Sie alle haben ein Ziel: Sie wollen es den traumatisierten Kindern und Jugendlichen etwas leichter machen, mit dem Erlebten umzugehen. Auch den Eltern, die oftmals nicht in der Lage waren, ihre Kinder zu beschützen. Eine schwierige Aufgabe: „Dohuk hat mehr als 700 000 Einwohner, hinzu kommen jetzt noch etwa 750 000 Flüchtlinge“, sagt Ruf. „Viele von ihnen sind krank.“

Die Notfallpädagogik beruht auf der Waldorfpädagogik und soll seelische Schäden von Kindern in Kriegs- und Katastrophengebieten abmildern oder im besten Fall ganz bewältigen helfen. Zunächst sollen die Kinder und Jugendlichen ihre Erlebnisse in Bildern festhalten. Häufig entstehen dann Bilder, auf denen Panzer, Ruinen und tote Menschen zu sehen sind. Ruf, der Begründer der Notfallpädagogik und Vorstand des Karlsruher Vereins, begegnete 2006 im Libanon traumatisierten Flüchtlingskindern. Daraufhin entwickelte er diese nach eigenen Angaben weltweit einzigartige Form der Traumabewältigung.

„Unser Zugang zu den Kindern ist pädagogischer Art“, sagt Clara Krug, Sprecherin der „Freunde der Erziehungskunst“. Der Verein habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder schreckliche Erfahrungen anfangs gar nicht in Worte fassen könnten. Eine sogenannte Konfrontationstherapie sei zu diesem Moment kaum möglich.

Deswegen geht es den Notfallpädagogen darum, die Kinder innerhalb der ersten acht Wochen zu stärken, um einem schweren Trauma vorzubeugen. „Selbstverständlich brauchen die Kinder auch danach noch Betreuung“, sagt Krug. Dennoch seien viele Kinder danach in der Lage, ihr Trauma selbstständig zu verarbeiten.

Das ehrenamtliche Team, das sich im Nordirak um Flüchtlingskinder kümmert, besteht aus Kleinkindpädagoginnen, Erlebnispädagogen, einer Kunsttherapeutin und einem Heilpädagogen. Auch eine Ärztin und eine Rettungsassistentin sind dabei. Der Verein hat reichlich Erfahrungen mit Krisensituationen. Helfer waren schon in Kenia, China und Haiti unterwegs. Als nächstes ist ein Einsatz in Gaza geplant. „Wir warten nur noch auf eine längere Waffenruhe, dann schicken wir ein Team hinein“, sagt Krug am Telefon. Lokale Partner hätten bereits ein Kinderschutzzentrum errichtet und mit der Betreuung von Kindern begonnen.

Manche Krisen seien für Kinder leichter zu verarbeiten als andere, berichtet Krug. Eine Naturkatastrophe gehe den Kindern nicht so nahe wie menschliche Gewalt – ausgeübt vielleicht sogar von Personen, die sie kennen.

Um traumatisierten Kindern auch langfristig helfen zu können, sucht der Karlsruher Verein vor Ort nach Pädagogen, die sie und ihre Eltern weiterbetreuen. „Die Situation im Nordirak ist allerdings so unsicher, dass wir uns auf die akute Versorgung der Kinder konzentrieren müssen“, sagt Krug. Derzeit sei die Lage in Dohuk jedoch stabil. „Im Notfall würde das Team evakuiert.“ Entsprechende Vorkehrungen seien getroffen. Doch erst einmal geht es um die Flüchtlinge vor Ort. „Die Menschen hier wollen, dass wir ihnen helfen“, sagt Ruf mit entschlossener Stimme, „sie flehen danach.“