Otto Dix: Liegende auf Leopardenfell Foto: Kunstsammlung NRW, VG Bildkunst Bonn 2016

Als er kam, war Otto Dix jung und unbekannt. Als er Düsseldorf verließ, gehörte er zu den gefragtesten Porträtisten seiner Zeit. Die Kunstsammlung NRW richtet den Blick auf die vier Jahre des Malers am Rhein.

Düsseldorf - Allerhand Delikatessen und Liköre hatte sie aufgefahren. Gespannt saß die mütterliche Galeristin mit dem großen Herzen für junge Künstler in ihrem Düsseldorfer Laden. Johanna Ey kannte Otto Dix bis dahin nur vom Foto. An diesem Herbsttag 1921 erlebte sie den malenden Bürgerschreck aus Dresden erstmals live: Mit „fliegenden Capes“ und „großem Hut“ kam er an, Lackschuhe, Haarhaube, und diverse Parfüms im Gepäck. Die bodenständige Selfmade-Galeristin wusste er noch dazu durch einen Handkuss zu frappieren. Daheim hatte der junge Maler mit dem Existenzminimum zu kämpfen – keiner wollte seine provokante Kunst ausstellen, geschweige denn kaufen. Mit dem Debüt auf rheinischem Parkett verband Dix nun einige Hoffnungen und setzte wohl nicht zuletzt auf die extravagante Selbstinszenierung.

Die Rechnung ging auf – Düsseldorf flog auf Dix. Vier Jahre lang sollte er bleiben und sich als zentrale Gestalt in der überaus lebendigen Szene etablieren. Für ihn wurde das Intermezzo am Rhein extrem wichtig, prägend, erfolgreich. Und auch Düsseldorf müsste sich eigentlich gern erinnern an Dix und sein Wirken in jener künstlerisch so spannenden Zeit. Doch die Landeshauptstadt hat bisher wenig auf den neusachlichen Malerstar und sein Gastspiel gegeben. Erst während Marion AckermannsDirektorat gelangte mit dem 1924 gemalten „Bildnis der Kunsthändlerin Johanna Ey“ ein wichtiges Gemälde aus seiner Düsseldorfer Ära in die Kunstsammlung NRW und wird dort nun zum Anlass, endlich einmal den Blick auf Dix in Düsseldorf zu richten.

Fantastischer Tänzer und Frauenschwarm

Er muss gearbeitet haben wie ein Verrückter – die Jahre am Rhein waren extrem produktiv. Und nicht nur das. Nebenbei betörte der Maler die Damenwelt als fantastischer Tänzer. So auch im Hause des Urologen und Kunstsammlers Hans Koch, eines frühen Förderers des Malers. Dix ging ein und aus bei den Kochs, porträtierte den Arzt auf unverschämte Weise und schob dessen Gattin Martha zu den Klängen aus dem eigens angeschafften Grammophon im top-aktuellen Schimmy-Schritt durch die gute Stube. Es dauerte nicht lange, da war die zerrüttete Ehe der Kochs geschieden und der Weg frei für das junge Glück. Nelly, des Malers erstes Kind, kam 1923 in Düsseldorf zur Welt.

Was auf künstlerischem Gebiet passierte, belegt die Ausstellung mit rund zweihundert Werken aus der Zeit im Rheinland und aus ein paar wenigen Jahren danach. Vom Dada-Dix mausert sich der Maler zum Großstadt-Dandy. Berühmt für jenen „Bösen Blick“, mit dem er seine Modelle mustert und ihnen immer öfter in langwieriger Feinmalerei auf die Pelle rückt. Schmeichelnd wirken die Ergebnisse selten. Und auch in seinem Auftreten vermied der Maler jede Verbindlichkeit. Bei Porträtsitzungen etwa spuckte Dix hemmungslos auf den Boden, „auch nachdem die Dame des Hauses mehrere Spucknäpfe aufgestellt hatte“. Außerdem soll er so heftig mit dem Pinsel im Zimmer umhergewirbelt haben, dass dieses im Anschluss renoviert werden musste.

Er malte sie alle – den Geschäftsmann, den Dichter, den Philosophen, den Fotografen Max Erfurth, die eigene Ehefrau Martha. Und natürlich besagte Johanna Ey, Tochter eines Tagelöhners, verlassene Frau eines Alkoholikers und Mutter von zwölf Kindern. Dem Neuankömmling aus Dresden hatte sie einst den durchgewetzten Hosenboden geflickt. Zwei Jahre später porträtiert Dix diese „mütterliche Freundin bohèmer Jugend“ mit mächtigem Doppelkinn und von Kopf bis Fuß in repräsentatives Lila gehüllt. Wie ein schiefes Krönchen sitzt der verrutsche spanische Kamm in ihrer Frisur. Die Pose mimt Herrscherstolz, doch schaut Ey alles andere als selbstsicher aus dem Bild. Auch die Haltung wirkt eher verkrampft als souverän. Rolle und Herkunft scheinen einander zu widersprechen in diesem Bildnis.

Leben ohne Verdünnung

Das ist es wohl, was Dix’ in Düsseldorf wurzelnde neusachliche Porträtkunst ausmacht: Der Realist will nicht etwa ein realistisches Abbild schaffen. Seine Wahrheit ist eine ganz eigene. Dix registriert nicht, er konstruiert die Charaktere. Klischees mischen sich mit kunstgeschichtlichen Reminiszenzen, scharfe psychologische Analyse mit leidenschaftlicher Übertreibung, die mitunter in karikierender Verzerrung auf die Spitze getrieben wird. Stuttgart etwa hat das Porträt der seinerzeit berühmten Tänzerin Anita Berber im hautengen Kleid geschickt. Kurz vor seinem Abschied nach Berlin hatte Dix diese Femme fatale der Weimarer Zeit ins Bild gefasst. Flammend rot mit schlangenartigem Körperschwung wirkt sie verführerisch, gleichzeitig hart und unnahbar. Wie verschanzt hinter der glänzend versiegelten Bildoberfläche. Dix sah die Berber sicher bei einem ihrer Auftritte – er tat sich gern um in den Tanzlokalen der Stadt.

Der Künstler war fasziniert vom Großstadtleben und noch mehr vom Treiben am Rande der Gesellschaft. Das sieht man seinen Düsseldorfer Bildern an. Weniger den akribischen Porträts als vielmehr den spontanen Aquarellen. In den vier Jahren malte Dix vierhundert davon, mehr als in jeder anderen Phase. Hier zeigt sich, was er das „Leben ohne Verdünnung“ nannte. Da tummeln sich allerhand Typen: Artisten, Matrosen mit Mädchen, Sadisten, Selbstmörder und „Besoffene“. Die aufgetakelte „Mieze, abends im Café“. Fette Weiber und fiese Freier. Nur gelegentlich fasst der Maler sie kritisch ins Visier, öfter zitieren die bunten Blätter – humoristisch bis grotesk – das Halbwelt-Klischee. Dix’ besonderer Sinn fürs Abseitige offenbart auch eine bluttriefende Lustmord-Szene, die der Maler seiner liebsten „Mutzli zum Geburtstag“ widmete.

Dix’ Düsseldorfer Schaffensrausch dürfte nicht allein künstlerisch motiviert gewesen sein. Auch wirtschaftliche Hintergründe liegen nahe, schürte die galoppierende Geldentwertung Anfang der zwanziger Jahre doch den Hunger nach beständigen Werten wie Kunst. Viel effektiver als mit der zeitraubenden Lasurmalerei konnte er mit den schnellen Aquarellen auf die günstige Marktlage reagieren und die eigene Marke verbreiten. Auch Druckgrafik bot sich an. An der Kunstakademie hatte Dix sich intensiv mit der Radierung beschäftigt und setzte das eben erworbene Wissen unverzüglich um. So im schockierenden Mappenwerk „Der Krieg“ – auch ein Werk aus Dix’ Düsseldorfer Zeit. Zerschossene Köpfe, verstümmelte Körper, verwesende Leichen, verödete Landschaften – in den fünfzig Blättern des Zyklus schöpft der Künstler aus eigenen Erfahrungen an der Front und rückt die Gräuel des Ersten Weltkriegs 1924 noch einmal ganz nah vor Augen.

„Alles, was man malt, ist Selbstdarstellung“, hat Dix einmal gesagt. Aber was ist das nur für ein Mensch und Maler, der sich da in Düsseldorf so schillernd präsentiert? Mal erschütternd, mal komisch. Bunt, beißend und böse. Abgründig und amüsant. Küsst auf die Hand und spuckt auf den Fußboden. Ungeschönt und unverschämt . . . schwer zu fassen.

Bis 14. Mai in der Kunstsammlung, Di–Fr 10–18, Sa, So und feiertags 11–18 Uhr. Katalog (Prestel) 34 Euro.