Ein Stuttgarter Vater hat sein Kind monatelang nicht sehen können. Foto: dpa

Um seine in Stuttgart lebende Tochter zu sehen, benötigt ein Türke ein Visum für Deutschland. Doch das Ausländeramt der Landeshauptstadt stellt sich quer.

Ditzingen/Stuttgart - Macit Karaahmetoglu ist empört. „Das ist eine beispiellose Herzlosigkeit“, schimpft der Ditzinger Rechtsanwalt. Der Jurist kann immer noch nicht fassen, wie die Stuttgarter Ausländerbehörde in den vergangenen Monaten mit seinem Mandanten, einem türkischen Vater umgegangen ist. Vor allem aber empört ihn, wie dabei das Wohl der achtjährigen Tochter Arzu außer Acht gelassen worden sei: „Es geht nicht darum festzustellen, wer welchen Fehler gemacht hat, es geht um das Kindeswohl.“

Die Geschichte beginnt im Jahr 2010 in Zuffenhausen. Die Ehe geht auseinander, ein Gericht erteilt beiden Elternteilen das Sorgerecht. Das Kind lebt fortan beim Vater in Stuttgart, ehe beide 2012 in die Türkei umsiedeln. Zwei Jahre später, in diesem Sommer, holt die Mutter das Kind zu sich zurück nach Stuttgart. Der Vater aber kann seine Tochter Arzu monatelang nicht treffen, weil er kein Visum bekommt. Das war nötig geworden, weil die Aufenthaltserlaubnis des Ausländers erloschen war, hatte er doch länger als sechs Monate nicht in Deutschland gelebt.

Für die Erteilung des Visums ist das Generalkonsulat in Ankara zuständig, das die Zustimmung der Stuttgarter Ausländerbehörde einfordern muss. Die Behörde in Stuttgart habe daran jedoch unerfüllbare Bedingungen geknüpft, empört sich der Anwalt. Sie habe vom Stuttgarter Jugendamt verlangt, was nur ein Gericht erbringen könne. Demnach solle das Amt bestätigen, dass dem Vater nicht der Entzug des Sorgerechts drohe. „Die Frage des Sorgerechts ist eine juristische Bewertung. Dafür sind die Gerichte zuständig“, sagt jedoch Karaahmetoglu. „Nach aktueller Rechtssituation ist der Vater sorgerechtsberechtigt und hat einen Rechtsanspruch, zu seinem deutschen Kind nach Deutschland einreisen zu dürfen. Nur das zählt.“ Es gehe nur um die vorübergehende Einreise, sagt der Jurist. Sollte sich „wider Erwarten“ an der Sorgerechtsregelung etwas ändern, könnten die Behörden die Verlängerung des Visums verweigern.

Das Stuttgarter Ausländeramt sieht das anders. Die Amtsleiterin Gerda Kinateder verteidigt das Vorgehen. „Wir müssen abklären, ob wir einer erneuten Kindesentziehung Vorschub leisten, in dem wir den Vater einreisen lassen.“

Tatsächlich hatte sich der Vater im Jahr 2012 der Kindesentziehung strafbar gemacht. Nach mehrmaligen Urlaubsaufenthalten war er damals mit seinem Kind erneut in die Türkei gereist, zunächst für einige Tage. Doch dann entschied er sich, den Wohnort in die Türkei zu verlegen. Beide blieben. Da sich aber der Vater und die Mutter das Sorgerecht teilten, hätte er vor dem Umzug eine Zustimmung des Gerichts einholen müssen. Weil er das nicht getan hatte, hatte er sich des Kindesentzugs schuldig gemacht.

Unabhängig davon wollte die Mutter das Kind mit Verweis auf das Haager Übereinkommen zurückholen. Zudem beantragte sie das alleinige Sorgerecht. Zwei Jahre nachdem sie mit dem Vater in die Türkei gegangen war, kam das Kind deshalb im Juli 2014 ohne seinen Vater zurück nach Stuttgart – obwohl ein Gutachten im Zuge des Sorgerechtsstreits noch 2013 bestätigt hatte, dass das Mädchen den Vater brauche.

Die Kindesentführung stellt auch der Anwalt Macit Karaahmetoglu nicht in Frage. Dennoch übt er Kritik an der Stuttgarter Behörde: „Die Ausländerbehörde darf sich nicht als eine Strafrechtsbehörde gerieren, die faktisch Sanktionen erteilt, die die deutsche Rechtsordnung nicht vorsieht.“ Nichts anderes nämlich sei das Verbot, sein Kind zu sehen und zu versorgen. Die Einreise des Vaters könne nicht mit Hinweis auf das Gesetz (siehe Infokasten) verweigert werden, zumal das Verfahren eingestellt worden sei. „Wegen der Einstellung gilt die Unschuldsvermutung fort.“

Letztlich hat die Stuttgarter Ausländerbehörde Mitte Oktober ihre Zustimmung zum Visum erteilt. Der Vater ist inzwischen in Deutschland, er will nun dauerhaft bleiben. Die von der Behörde geforderte Bescheinigung hat er nicht erbracht. Allerdings hatte der im Rahmen des Sorgerechtsstreits bestellte gerichtliche Verfahrensbeistand des Kindes vor wenigen Wochen das Gutachten aus dem Jahre 2013 bestätigt, wonach das Kind den Vater braucht. Darauf verweist auch die Behördenleiterin Kinateder: „Die Behörde ist von ihrer Forderung nicht abgerückt.“ Vielmehr sei die Bestätigung „für die pflichtgemäße Aufgabenerledigung und Einzelfallprüfung erforderlich“. Das Jugendamt habe bestätigt, dass die Einreise des Vaters dem Kindeswohl diene. „Damit waren unsere anfänglichen Bedenken zerstreut. Der Einreise des Vaters wurde unverzüglich zugestimmt.“

Die Mutter wohnt nach wie vor in Stuttgart, Arzu geht dort zur Schule. Der Sorgerechtsstreit geht weiter, die Entscheidung des Gerichts steht noch aus. Zu ihrem Schutz heißt Arzu deshalb in Wirklichkeit anders.