Journalisten diskutieren über die Rolle der Medien beim Streit um das Bahnprojekt.

Stuttgart - Selten hat ein Thema die Menschen in Stuttgart, Baden-Württemberg und sogar über die Landesgrenzen hinaus so bewegt wie Stuttgart 21. Besonders für die Medien entwickelte sich der Streit um das Bahnhprojekt zu einem heißen Eisen. Sie gerieten in einem bisher nicht gekannten Maße zwischen die Fronten.

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Ungeachtet dessen, ob sich ein Medium offen als Gegner oder Befürworter zu erkennen gab oder ob es ausschließlich um eine neutrale Berichterstattung bemüht war - die Reaktionen von Lesern, Hörern, Zuschauern oder Internetnutzern waren und sind immens. Journalisten beschäftigen sich beinahe täglich damit, welche Erwartungen Nutzer an die Medien haben und welche Konsequenzen sich daraus für ihre Arbeit ergeben.

Über diese Fragen haben am Mittwochabend Medienvertreter unterschiedlichster Sparten gesprochen. Auf Einladung des SWR trafen sie sich in Stuttgart - in kuscheliger Lounge-Atmosphäre zu einer ganz und gar nicht kuscheligen Podiumsdiskussion. Die Veranstaltung wurde live im Internet übertragen, via E-Mail, über Facebook und Twitter beteiligten sich Zuschauer mit Beiträgen und Fragen. Gerade den lokalen Medien in Stuttgart galt die Kritik der Kommentare aus dem Netz und aus dem Publikum. Zu unkritisch, zu einseitig sei die Berichterstattung über das Bahnprojekt. "Mission erfüllt, jetzt das Vertrauen der Leser zurückgewinnen", fordert ein Zuschauer auf seinem Transparent.

Auch Arno Luik, Autor beim "Stern", gängelte die lokalen Medien. Luik begleitete das Bahnprojekt mit einer mehrteiligen Serie und steht ihm kritisch gegenüber. In Zeitungsartikeln zu Stuttgart 21 sei kaum Kritik am Projekt geübt worden. Dass Informanten mit Hintergrundinformationen zuerst zu ihm nach Hamburg in die Redaktion gekommen seien und nicht zu den hiesigen Zeitungen, sei ein massiver Misstrauensantrag. Dagegen wehrten sich die Vertreter der lokalen Presse, unter ihnen auch der Chefredakteur der "Stuttgarter Zeitung", Joachim Dorfs. "Nicht erst mit den Artikeln im Stern hat die kritische Berichterstattung begonnen", sagte er. Den Informanten gehe es häufig um den bestmöglichen Schutz, der im lokalen Umfeld weniger gewährt sei.

"Wir haben am Anfang die Wucht dieser Bewegung unterschätzt" so Clemens Bratzler, Moderator im SWR-Fernsehen und im Ersten. In seiner Sendung "Zur Sache Baden-Württemberg" hat er alle Akteure des Streits um Stuttgart 21 interviewt.

Die Kritik an den Medien habe Journalisten unerwartet getroffen und sei teilweise stark persönlich geworden, so Bratzler. "Die Gegner betitelten uns als Staatssender, Befürworter behaupteten, unser Bahnexperte verbrüdere sich mit Verkehrsminister Hermann."

Als "Missverständnisbereitschaft" bezeichnete Wolfgang Molitor, stellvertretender Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten, die Reaktionen einiger Leser. Ein großes Problem dabei sei das Internet: "Die Leser suchen sich dort die Nachrichten aus, die zu ihrer Meinung passen." Die ungefilterten Informationen im Netz stellen auch für den Baden-Württemberg-Korrespondenten der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", Rüdiger Soldt, ein zentrales Problem dar. "Wir brauchen den Journalisten, der den Bürger bei der Verarbeitung von Informationen an die Hand nimmt", sagte er.

Guter Journalismus dürfe sich nicht in eine Ecke drängen und dem Diktat einer Meinung unterwerfen lassen - auch nicht, wenn es um Abo-Kündigungen oder geringere Einschaltquoten gehe, sagte Bratzler. Robert Schrem, Gründer des Internet-Senders Flügel-TV, pflichtete bei: "Die Frage darf nicht lauten, sollen wir wohlwollend oder kritisch berichten. Journalismus muss immer kritisch sein."

Rainer Nübel, verantwortlich für die Berichterstattung der "Kontext: Wochenzeitung" zu S 21, sieht das Problem bei den Medien selbst. "Wir streiten uns darüber, wer die besseren Artikel schreibt, dabei muss das Publikum erst einmal wissen, wie Zeitung funktioniert, um sie zu verstehen", sagte er. Häufig sei den Lesern der Unterschied zwischen einem Meinungsbeitrag wie dem Kommentar und einer normalen Nachricht nicht klar. "Wir müssen unsere Arbeit transparenter machen und mehr Selbstkritik üben", so Nübel.