Volles Haus im Steckfeld: Viele haben sich für das Thema Flüchtlinge interessiert. Foto: Jansen

Das Flüchtlingsthema zieht die Massen an: Auf die Frage „Bereicherung oder Bedrohung?“ fanden die Teilnehmer der Diskussionsrunde im Steckfeld eine eindeutige Antwort: Es gehört zur Verantwortung aller, Menschen in Not zu helfen.

Steckfeld - Was wurde in den vergangenen Monaten über die Asylunterkunft in Plieningen diskutiert. Und durchaus auch kritisch. So hatte es zum Beispiel Beschwerden über Lärm und vollgestopfte Mülltonnen gegeben, und im Vorfeld Proteste gegen den Bau. Dass viele Birkacher und Plieninger den Flüchtlingen wohlgesonnen gegenüberstehen, zeigt indes der große Freundeskreis, der sich gegründet hat. Und auch die Gesprächsrunde „Flüchtlinge unter uns – Bereicherung oder Bedrohung?“ im Gemeindezentrum Steckfeld zeichnete vergangene Woche ein freundliches Bild. Das Interesse der Bürger war so groß, dass trotz zusätzlich aufgestellter Stühle die an der Wand gestapelten Tische zu Sitzgelegenheiten umfunktioniert werden mussten.

Der Andrang ist für den Pfarrer Beweis

Der Plieninger Pfarrer Hans-Peter Ziehmann sieht den Andrang als Beweis: „Wir möchten Flüchtlinge als Bereicherung empfinden, nicht als Bedrohung.“ Er hatte zwei Gäste eingeladen: den Ex-Vorstandsvorsitzenden der Daimler AG, Edzard Reuter, der nach der Flucht seiner Familie vor den Nationalsozialisten seine Kindheit in der Türkei verbrachte, und Rolf Lehmann, der in den 90er-Jahren als Stuttgarter Wirtschaftsbürgermeister für die Unterbringung der Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien zuständig war.

Weltweit sind laut Lehmann etwa 50 Millionen Menschen auf der Flucht, davon nur etwa 15 Prozent mit dem Ziel Europa oder Nordamerika; der Großteil bleibe in den Nachbarländern ihrer Heimatstaaten. In Stuttgart leben derzeit rund 3400 Flüchtlinge in 72 Unterkünften, die Plieninger bietet Platz für 159 Leute. Bis Ende 2015 erwarte man in Stuttgart einen deutlichen Anstieg auf 4500 Personen. Angesichts dieser Zahlen kann Lehmann die Ängste mancher Hierlebender verstehen.

Auch ihn hätten bereits Beschwerden erreicht, teils ganz absurde. Aber: „Jeden der Bedenken hat, als Bösen abzustempeln, hilft auch nicht.“ Besser sei es, sinnvoll zu argumentieren. So lobte er das Engagement der circa 100 Ehrenamtlichen des Freundeskreises, deren Arbeit zu einer positiven Grundstimmung beitrage. Für ihn bedeute Einwanderung und Veränderung eine Bereicherung: „Ohne die Zuwanderung der letzten Jahrzehnte müssten wir Krankenhäuser schließen, hätten keine Müllabfuhr und könnten nicht beerdigt werden.“

Die Flüchtlinge kommen aus Not

Auch Edzard Reuter plädierte für Verständnis. „Diese Menschheitskatastrophe, die wir da gerade erleben“, sagte er, sei um ein Vielfaches dramatischer als die Situation, die er im Exil erlebt habe. Ob Flüchtlinge eine Bereicherung oder Bedrohung darstellten, lässt sich für ihn nur so beantworten: „Wir haben die menschliche Pflicht, Hilfe zu leisten für die, die in tiefer, existenzieller Not sind.“ Alles andere sei sekundär.

Natürlich sehe er die Herausforderungen für die Gesellschaft, und eine Patentlösung habe er nicht parat, aber es bedürfe einer Veränderung der europäischen Einwanderungs- und Asylpolitik und zugleich eines sinnvollen Ansatzes, um armen Ländern „auf die Beine zu helfen“, wie Reuter sagte. Denn: „Diese Leute riskieren auf der Flucht nicht ihr Leben, um in Europa den Wohlstand zu genießen. Die tun das aus Not.“ Die Einwanderung werde Deutschland und Europa nachhaltig verändern, er sehe das als Chance. Das war auch der allgemeine Konsens der Wortmeldungen aus dem Publikum.