Ihr Traum von der Schauspielerei platzte, weil die Bundesagentur für Arbeit sich weigerte, sie in ihre Kartei aufzunehmen. Rebecca Molinari zog bis vors Bundessozialgericht – und gewann. Foto: Norbert Ghafouri

Ihr Traum von der Schauspielerei platzte, weil die Bundesagentur für Arbeit sich weigerte, sie in ihre Kartei aufzunehmen. Rebecca Molinari zog bis vors Bundessozialgericht – und gewann.

Berlin - Gewonnen. Rebecca Molinari sagt, es sei nur ein Wort gewesen, doch es habe gereicht, um ihr den Atem zu rauben. „Es war ein Kribbeln im Bauch, wie wenn man frisch verliebt ist.“ Gewonnen. Ihr Anwalt hatte ihr dieses Wort am 12. Oktober im Bundessozialgericht zugeraunt. Ein sieben Jahre langer Rechtsstreit mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit (ZAV) in Berlin lag da hinter ihr. Es ging um eine Frage, die alle Schauspieler betrifft, die ihre Ausbildung an einer privaten Schule abgeschlossen haben. Muss die ZAV sie in ihre Kartei aufnehmen? Oder hat die Behörde das Recht, Kandidaten auszusieben?

So war es bisher gängige Praxis. Während die Absolventen staatlicher Schauspielschulen automatisch in die Kartei aufgenommen wurden, mussten die anderen zum Vorsprechen in die Behörde kommen. Eine Jury hob oder senkte dann den Daumen. Von ihrem Votum konnten Karrieren abhängen. Fielen die Kandidaten durch, mussten sie sich selber eine Stelle suchen. Eine Hürde, an der schon einige Berufsanfänger scheiterten. Es gäbe eben mehr Stellen als Bewerber, heißt es bei der ZAV. Man schaue sich deshalb alle Schauspielschüler für „eine ästhetische Eignungseinschätzung an.“

Rebecca Molinari ist kein Einzelfall

Ein Einzelfall ist Rebecca Molinari aber nicht. Ein Drittel der 200 Schauspieler, die er in den vergangenen zwölf Jahren ausgebildet habe, seien von der ZAV in Berlin abgelehnt worden, schätzt Norbert Ghafouri, Leiter der Filmschauspielschule Berlin. Er hat Molinari selber unterrichtet. Er war auch bei dem Vorsprechen in der Behörde dabei. Er sagt, sie sei ein echtes Talent und an diesem Tag „super“ gewesen, hoch konzentriert und bestens vorbereitet.

Die Jury sah das anders. Molinari wirke mit 33 „ältlich“, hieß es. Ihr Spiel sei „eindimensional“, „ohne jeden Charme“, „ohne Tiefe“, urteilten die Mitarbeiter. Es waren zwei Männer und eine Frau. Wer sie sind und was sie für diesen Job qualifizierte, auf diese Frage, sagt ihr Anwalt, Christian Zimmer, habe er bis heute keine Antwort bekommen.

Eine Schauspielschülerin gegen die Bundesagentur für Arbeit

David gegen Goliath. So sieht dieser Prozess für Außenstehende aus. Eine Schauspielschülerin gegen die Bundesagentur für Arbeit. Das Auswahlverfahren der ZAV ist schon seit Jahren umstritten. Kritiker werfen der Behörde vor, dass sie Existenzen zerstöre, indem sie Berufsanfängern den Zugang zum Arbeitsmarkt versperre. Aber die ZAV zu verklagen, das hat sich bisher keiner getraut.

Rebecca Molinari hat es gewagt. Woher sie den Mut genommen hat, weiß sie heute nicht mehr genau. So tief saß der Schock. Kurz vor dem Vorsprechen war ihr Vater gestorben. Sie sagt: „Emotional war ich nicht die stabilste.“ Sie habe eine Weile gebraucht, bis sie erkannte, was das Votum der Jury für sie bedeutete. Ihr Traum war geplatzt. Man könne sie gerne als Verkäuferin aufnehmen, erfuhr Molinari, als sie zum Jobcenter ging. Sie sagt, das habe ihr den Rest gegeben. „Dieser letzte Arschtritt vom Amt.“

Molinari bezeichnet sich selbst als eine Spätzünderin

Ihr Anwalt sagt, er sei von Anfang an überzeugt davon gewesen, dass sie diesen Prozess gewinnen würde. Schließlich sei seine Mandantin gleich dreifach diskriminiert worden. Die Behörde habe nicht nur ihr im Grundgesetz verankertes Recht auf freie Berufswahl verletzt, wie jetzt auch das Bundessozialgericht einräumte. Sie habe sie auch aufgrund ihres Alters und ihres Geschlechtes diskriminiert. „Einem Mann hätte man wahrscheinlich nicht gesagt, er wirke ältlich.“

Ältlich. Molinari lacht gequält, wenn sie über das Urteil der Jury redet. Sie sagt, ihr sei schon während des Studiums bewusst gewesen, dass es nicht leicht werden würde, eine Stelle an einem Theater zu finden. „In den klassischen Stücken sind die weiblichen Rollen entweder ganz jung oder sehr alt, aber zwischen 30 und 40 klafft eine Lücke.“

Eine Spätzünderin, so nennt sie sich selber. Sie war schon 28 und hatte ein Anglistikstudium abgebrochen, als sie erkannte, dass es sie zur Bühne zog. Für ihren Traum von der Schauspielerei setzte sie alles auf eine Karte. Sie plünderte ihr Sparbuch für die Studiengebühren, 6600 Euro pro Jahr. Sie arbeitete als Kellnerin.

Nach ihrer Absage hat Molinari ein Jahr lang Bewerbungen geschrieben

Heute gibt Rebecca Molinari am Residenztheater in München Workshops, um Schüler für das Theater zu begeistern. Nach ihrer Absage hatte sie ein Jahr lang Bewerbungen geschrieben. Nur einmal kam eine Zusage. Ob sie Lust hätte, als Theaterpädagogin zu arbeiten? Molinari sah es pragmatisch. „Lieber arbeitslose Schauspielerin in der Theaterpädagogik als in der Gastronomie.“

Doch, sagt sie, die Arbeit mache ihr Spaß. Aber noch lieber würde sie wieder selber auf der Bühne stehen. Die ZAV München hat sie jetzt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Ein erster Hoffnungsschimmer, nach sieben Jahren. Molinari sagt: „Ich bin jetzt 40. Eigentlich kann ich jetzt loslegen.“

Absolventen staatlicher Schauspielschulen erhalten Vertrauensbonus

In Deutschland gibt es 13 staatliche Schauspielschulen. Da sie keine Gebühren kosten, sind sie ausgesprochen begehrt. Auf einen Platz kommen hunderte Bewerber.Da die Aufnahmeprüfungen hart sind, genossen die Schüler bisher einen Vertrauensbonus bei der ZAV: Nach der Prüfung wurde jeder in die Kartei übernommen. Jedes Jahr sind das 200 Kandidaten. Dazu kommen aber noch 400 Absolventen privater Schauspielschulen. Ihre Aufnahme in die Kartei der ZAV hing bislang davon ob, ob sie das Vorsprechen in der Behörde bestanden.

Diese Praxis ist seit Jahren umstritten. Kritiker sprechen von einer Zweiklassengesellschaft und Willkür bei der Auswahl der Berufsanfänger. Dieser Auffassung hat sich jetzt auch das Bundessozialgericht angeschlossen. Es entschied, dass jeder Schauspieler Zugang zum Arbeitsmarkt haben müsse. Die Bundesagentur für Arbeit dürfe keine Vorauswahl treffen.