Martina Lutz und Johannes Egerer sind Disability Manager an den Stuttgarter Staatstheatern Foto: Leif Piechowski

Martina Lutz und Johannes Egerer sind Disability-Manager. Hinter diesem sperrigen Begriff  versteckt sich, dass sie an ihrem Arbeitsplatz, den Stuttgarter Staatstheatern, ihren Kollegen nach längerer Krankheit bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz helfen – oder ihnen einen anderen im Haus  vermitteln.

Martina Lutz und Johannes Egerer sind Disability-Manager. Hinter diesem sperrigen Begriff versteckt sich, dass sie an ihrem Arbeitsplatz, den Stuttgarter Staatstheatern, ihren Kollegen nach  längerer Krankheit bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz helfen – oder ihnen einen anderen im Haus  vermitteln.

Stuttgart - Eigentlich ist Johannes Egerer Tenor im Opernchor der Stuttgarter Staatstheater. Doch er ist es auch, der zusammen mit Martina Lutz, Leiterin der Kostümfärberei und -malerei, dafür verantwortlich ist, dass eine Reinigungsfrau im Haus, die Probleme mit den Bandscheiben und an der Halswirbelsäule hat, zur Bürohilfe umgeschult wurde, inklusive Sprachkurs, um ihr Deutsch zu verbessern. Eine Umschulung, die ein Karrieresprung ist – das ist die Alternative dazu, ausgemustert zu werden.

Denn das war früher die unschöne Realität, auch an den Stuttgarter Staatstheatern: Einem Mitarbeiter, der nicht mehr voll leistungsfähig war, wurde einfach irgendwo ein neuer Arbeitsplatz zugewiesen – egal, ob dieser seinen Fähigkeiten und Interessen entsprach oder nicht.

Doch nachdem im Jahr 2004 die Präventionsvorschrift im Sozialgesetzbuch verankert worden war, die besagt, dass alle Arbeitgeber verpflichtet sind, all ihren Beschäftigten ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten, hat sich bei den Staatstheatern Stuttgart viel getan. Vor allem, weil diese Pflichtaufgabe nicht als solche begriffen wurde. „Wir haben vielmehr geschaut: Wie können wir das sinnvoll umsetzen und nicht nur abhaken“, sagt Marc-Oliver Hendriks, geschäftsführender Intendant der Staatstheater Stuttgart.

So wurden 2005 Arbeitsgruppen gebildet, in denen darum gerungen wurde, ein brauchbares Ergebnis zu finden. Man kam zu dem Schluss: Man muss viel verändern, wenn man präventiv tätig sein will. Denn zu den zahlreichen Betätigungsfeldern gehört ein ergonomisch eingerichteter Arbeitsplatz ebenso wie eine Strategie zur Konflikthandhabung und zur Arbeitsplatzerhaltung sowie genau definierte Führungsgrundsätze.

Ein weites Feld. Deshalb wurde im Jahr 2009 das Sozialreferat eingerichtet, in dem alle Aktivitäten zusammengefasst wurden. Johannes Egerer, der Tenor, und Martina Lutz, die die Kostümfärberei und -malerei leitet, gestalten das Sozialreferat. Sie haben beide eine Zusatzqualifikation zum Disability Manager erworben. Durch sie konnten bisher 30 bis 40 Mitarbeiter an einen neuen Arbeitsplatz innerhalb des Hauses weitervermittelt werden, zudem beschäftigten sie sich mit rund 200 kleineren Fällen.

Da ist beispielsweise der Bühnenarbeiter, der kaputte Knie, aber auch zwei kleine Kinder hat – und der jetzt beim Abendpersonal arbeitet. Er nimmt Mäntel an und reißt Karten ab. „Wir versuchen, die Leute dort hinzusetzen, wo es für sie passt. Wir sehen uns als Lotse im System. Das geht nur, wenn alle damit zufrieden sind, das hier ist schließlich kein Verschiebebahnhof“, sagt Egerer. Und er sagt auch: „Wir haben ganz viele Menschen vor dem Aus bewahrt.“

Hendriks hat diese Pflichtaufgabe ganz hoch angesiedelt, begreift sie als Hoheitsaufgabe der Leitung. „Es ist ihm sogar ein Ressort wert. Wir machen das nicht nur nebenher“, sagt Egerer. Die Aufgabe sei eben nicht – wie bei anderen Betrieben oft der Fall – in der Personalabteilung angesiedelt worden.

Doch warum macht Hendriks das alles? „1350 Menschen aus 56 Nationen arbeiten an 363 Tagen im Jahr am Staatstheater“, sagt er. Der Mensch sei das höchste Gut – und zwar nicht nur die Menschen auf der Bühne, sondern auch die hinter der Bühne, von der Reinigungskraft bis zum Akademiker. Theater sei ein Gesamtkunstwerk. „Doch dafür müssen die Menschen motiviert und gesund sein“, sagt Hendriks.

Doch rechnet sich dieser Aufwand? „Ob es sich lohnt, ist eine Frage des Menschenbildes“, sagt Hendriks. Es gebe freilich keinen Kausalbeweis dafür – dennoch rechne es sich, weil sich die Mitarbeiter dann wieder voll einsetzten. „Viele sind dem Theater verbunden, und wenn sie sich gut fühlen, bringen sie auch viel“, sagt Hendriks.

Gerne gibt er auch zu, dass auch der demografische Aspekt eine Rolle spielt: „Auch wir suchen Fachkräfte, etwa Finanzbuchhalter oder Bühnenmeister – da brauchen wir ein attraktives Haus“, sagt er. Deshalb gebe es auch eine Kita: „Wir hätten viele Schauspieler nicht da, wenn wir keine Kinderbetreuung hätten“, sagt Hendriks. Zudem können die Mitarbeiter auf Wunsch in Teilzeit arbeiten, etwa um Kinder zu betreuen oder Angehörige zu pflegen. „Wir versuchen, die Work-Life-Balance zu bewahren“, sagt Hendriks.

Das Besondere ist, dass die beiden Disability Manager sich auch privaten Problemen der Mitarbeiter widmen. Diese können auch mit Suchtproblemen zu ihnen kommen oder wenn ein zu pflegender Angehöriger zuhause sie so sehr belastet, dass sie immer müde sind. „Wir helfen den Kollegen dann etwa, indem wir ihnen auch bei der Suche nach einer Haushaltshilfe behilflich sind“, sagt Lutz. Bei Suchtproblemen vermitteln sie schnell zu einem externen Berater: „Vernetzung ist wichtig, wir müssen nicht alle Strukturen duplizieren“, sagt Hendriks.

Dennoch gab es anfangs Bedenken und Ressentiments in der Belegschaft. „Das war ein richtiger Aufschrei“, sagt Egerer. „Veränderung macht immer erst einmal Angst.“ Er und Lutz leisteten Überzeugungsarbeit durch Miteinbeziehung: Sie boten einen Workshop an. Mittlerweile hat sich die Skepsis gelegt. Auch, weil die Erfolge sichtbar werden – und für alle bemerkbar: Es werden viele Seminare angeboten, Mitarbeitergespräche geführt und Schulungen für Führungskräfte sind Pflicht.

Zu schön, um wahr zu sein? Nein. Denn freilich gibt es auch bei den Staatstheatern Abmahnungen, Versetzungen und Trennungen. „Sie müssen aber berechenbar sein – auch für den Arbeitnehmer“, sagt Hendriks.