Loslassen lernen: Dirk Darmstaedter, früher bei den Jeremy Days, dann Boss von Tapete Records, konzentriert sich wieder aufs Musikmachen Foto: promo

Wenn es darum geht, die Geschichte des Pop in Deutschland zu erzählen, kommt man an Dirk Darmstaedter nicht vorbei. Der Hamburger, der an diesem Sonntag 50 wird, hat irgendwie immer schon mitgemischt, mal im Scheinwerferlicht, mal hinter den Kulissen. Und immer mit Gespür für guten Stil.

Hamburg/Stuttgart - Es ist einsam und trostlos an der Spitze. Für das Video seiner putzig-poppigen Single „Top Of The World“ hat sich Dirk Darmstaedter ausnahmsweise einen Schlips umgebunden. Er spielt einen Melancholiker, der durch Führungsetagen irrt, hat seinen 100-Dollar-Hundeblick aufgesetzt, glotzt verbissen-wehmütig in die Kamera. Und während um ihn herum Bürocholeriker ihre Arbeitsgeräte zertrümmern, singt er traurig: „Wenn du ganz oben angekommen bist, kannst du nicht einfach aufhören.“

Im wirklichen Leben ist Dirk Darmstaedter ein entspannt, fröhlicher Hanseat. Einer, dem man sein Alter – an diesem Sonntag wird er 50 – nicht anmerkt. Vielleicht auch, weil er ganz genau weiß, wie Aufhören, wie Loslassen geht. Gerade dann, wenn man oben angekommen ist. Zwölf Jahre lang war er Chef von Tapete Records. 2014 hat er beschlossen, dass das reicht. „Tapete fing als so eine Art Boutiquelabel für zwei, drei befreundete Künstler an. Zwölf Jahre später war Tapete über vierzig Bands, drei Festivals und ein Musikverlag“, sagt Darmstaedter.

Und eigentlich hatte er in diesen zwölf Jahren schon alles erreicht: Er hatte dem hoch geschätzten Kollegen Niels Frevert einen Plattenvertrag verschafft, drei tolle Alben mit ihm gemacht. Er hatte seinem Kumpel Bernd Begemann, den er seit der Zeit kennt, als das Herz der Hamburger Musikszene noch im Hafenklang-Studio schlug, bei dem Label untergebracht. Und vor allem hatte er den wunderbaren britischen Songwriter Lloyd Cole dazu überredet, seine Platten in Deutschland bei Tapete zu veröffentlichten.

Darmstaedter musste als Chef aber auch einiges aushalten, zum Beispiel die Launen der jungen, wilden, sehr tollen, aber auch sehr schwierigen Hamburger Band 1000 Robota. „Künstler sind zuweilen fragile Geschöpfe, haben Ansprüche, die manchmal auch realitätsfremd sind“, sagt Darmstaedter, „es ist schon ermüdend, wenn du zum hundertsten Mal dem Bassisten irgendeiner schwedischen Indiepopgruppe erklären musst, warum deren Platten nicht beim Media Markt im vordersten Regal stehen.“

Also hat Darmstaedter Tapete Records seinem Geschäftspartner Gunther Buskies überlassen. „Auch weil ich festgestellt habe, dass ich zwei, drei Stunden am Tag brauche, an denen ich einfach nur Gitarre spiele, Platten höre und mein Leben als Songwriter ausleben kann.“ Eine Entscheidung, die nicht nur gut für ihn, sondern auch für Musikhörer war. Das Album „Before We Leave“, das nach seinem Tapete-Abschied entstanden ist, klingt nicht nur herrlich entspannt, sondern versammelt auch geschmackvollen Pop der schlauen, erwachsenen Sorte.

In Songs wie „(You Hold Me) Captive“, „The Half Life“ oder „Before We Leave“ vermengt er Westcoast, Roots Rock und Pop. Darmstaedters Musik ist dezent arrangiert, drängt sich nie auf und hat es nicht einmal nötig, damit zu protzen, dass Mike Finnigan (Jimi Hendrix, Leonard Cohen) auf Nummern wie „Capetown“ Klavier und Orgel spielt. Und „Top Of The World“ gehört genau zu der Sorte cleverer Smashhits, die man in Deutschland nur noch selten hört, seit sich die Jeremy Days aufgelöst haben.

Ach, die Jeremy Days! Das war die Hamburger Band, in der Darmstaedter, der seine Kindheit und Jugend in einem Kaff in New Jersey verbracht hat, Ende der 1980er sang. Eine Combo, die internationales Format und ein Gespür für hochwertige Popinszenierungen hatte. Und für Melodien, die einen so schnell nicht wieder loslassen – wie in „Brand New Toy“ oder Are You Inventive?“. Nahezu unberührt von dem Musiktrend, den man bald Hamburger Schule nennen würde, machten Dirk Darmstaedter und die Jeremy Days Popmusik, die in der Tradition von Bands wie Aztec Camera stand. „Die Jeremy Days zeichneten sich durch eine völlige Unszenigkeit aus“, sagt Darmstaedter, „wir haben uns immer mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, irgendwo dazu zu gehören. Nachdem sich die Jeremy Days 1996 auflösten, machte Darmstaedter solo weiter, gründete im Jahr 2002 Tapete Records – und wurde Geschäftsmann.

Das sei aber nichts Ungewöhnliches, jeder Musiker sei heutzutage ja auch Geschäftsmann, sagt Darmstaedter: „Als ich Mitte der 1980er Jahre anfing, lautete meine Jobbeschreibung noch: ‚Dirk, sitz mal zu Hause herum, trink viel Kaffee und schreibe an deiner Akustikgitarre Songs.‘ Mehr musste ich nicht tun. Den Rest haben andere erledigt. Heute dagegen bist du als Musiker dein eigenes Business.“ Er genüge nicht mehr, Songs zu schreiben und zu singen. Musiker müssten heute alles selbst machen, sollten sich mit Musiksoftware auskennen, Social-Media-Experte sein, Webseiten bauen und fotografieren können, um ihre Musik nicht nur selbst aufzunehmen und zu vermarkten, sondern auch gleich noch das Album-Artwork mitzuliefern: „Wer nicht gerade Grönemeyer oder Westernhagen heißt, kann es sich nicht mehr leisten, für solche Sachen jemand zu bezahlen“, sagt Darmstaedter, „ein Kumpel von mir ist eigentlich Bassist, musste gerade aber ganz dringend einen Photoshop-Kurs machen.“

So wundert es nicht, dass Darmstaedter inzwischen schon wieder der Boss einer kleinen Firma ist. Diese heißt Teaneck Records, hat bisher aber nur einen einzigen Künstler unter Vertrag. Und der heißt Dirk Darmstaedter.

Dirk Darmstaedter tritt am 16. März in Stuttgart im Theaterhaus auf. Tickets unter: www.musiccircus.de