Frieder Bernius Foto: Jens Meisert/Musikpodium

In Stuttgart war er der in den 80er Jahren der Vorkämpfer für die historisch informierte Aufführungspraxis bei barocker und klassischer Musik. Seither hat Frieder Bernius mit seinen Ensembles – dem Kammerchor, der Hofkapelle und dem Barockorchester Stuttgart – international Furore gemacht.

Stuttgart - An diesem Donnerstag feiert der Stuttgarter Dirigent Frieder Bernius seinen 70. Geburtstag.

Herr Bernius, Sie kommen gerade aus dem Studio. Was haben Sie aufgenommen?
Die Reformationskantate „Ein’ feste Burg“ von Bach und seine g-moll-Messe, eine der sogenannten „Lutheranischen Messen“. Die Aufnahme wird im Herbst zum Reformationsjubiläum erscheinen.
Welche Rolle spielen Aufnahmen für Sie?
Für mich sind sie genauso wichtig wie Konzerte. Eine Aufnahme ist wie eine Filmproduktion, man kann sich jede einzelne Sequenz genau überlegen, noch einmal nachhören und sich danach entscheiden. Das möchte ich nicht allein den Tonmeistern überlassen, und deshalb bin ich bei der Auswahl der einzelnen Abschnitte dabei.
Sie gelten als kompromisslos, wenn es um künstlerische Belange geht. Was bedeutet Perfektion für Sie?
Die Balance zwischen technischer Vollkommenheit und dem vom Komponisten gewünschten Ausdruck.
Eine große Rolle spielt für Sie der Klang. Nur steht darüber nichts in der Partitur, wenn man mal von der Besetzung absieht. Können Sie ihr Klangideal beschreiben?
Ein Klang entsteht durch die gemeinsame Vorstellung von Dynamik, Intonation und Klangfarbe, bei Sängern geht es zusätzlich um die unterschiedlichen Vokalqualitäten der Hochsprache, an denen man zusammen arbeitet.
Wie kamen Sie zur historischen Aufführungspraxis? Mitte der 80er Jahre waren Sie ja damit in Stuttgart ein Pionier.
Mein Interesse daran wurde geweckt durch Begegnungen mit Barockspezialisten wie Emma Kirkby oder Michel Piguet. Die waren uns weit voraus, was das Verständnis barocker Musik anbelangt, während meines Studiums an der Stuttgarter Hochschule war ein romantisches Stilempfinden vorherrschend. Auch John Eliot Gardiners Aufführung von Händels „Israel in Egypt“ 1985 in Stuttgart hat mich sehr beeindruckt. Danach waren neue Standards gesetzt, hinter die man nicht mehr zurück konnte, und ich habe 1987 die Festtage Alter Musik gegründet, die heute Stuttgart Barock heißen.
Was hat sich seitdem in der Alte Musik-Szene verändert?
Verbessert hat sich vor allem das Niveau der Spieler von Spezialinstrumenten wie Zink, die damals neu gelernt werden mussten. Durch das Spielen ohne Vibrato ist das Intonationsbewusstsein der Musiker heute insgesamt besser als früher. Das gilt übrigens auch für moderne Orchester, sofern sie Musik aus dem 18. Jahrhundert spielen - wie wir nicht zuletzt durch Roger Norringtons Arbeit in Stuttgart wissen.
Sie haben sich immer auch für Komponisten eingesetzt, die nicht so im Rampenlicht stehen, wie Zelenka, Knecht oder Burgmüller. Warum?
Ich musste mir als junger Dirigent in Stuttgart in den 70er Jahren etwas suchen, was noch keiner gemacht hat, ein Profil entwickeln. Begonnen habe ich mit Monteverdi, dessen Werke waren damals zum Teil gar nicht verlegt, ich musste mir die Stimmen aus der Gesamtausgabe herausschneiden und zusammenkleben. Das hat meine Neugier geweckt, und ich habe danach in den Archiven geforscht, gerade in unseren Landesbibliotheken auch nach Musik aus unserem Raum, von Jommelli, Knecht oder Kalliwoda. Ich finde es wichtig, dass man diese Musik nicht nur lesen, sondern jetzt auch aufführen und hören kann.
Sie sind ein freiberuflicher Dirigent, suchen sich die Musiker und Sänger aus, mit denen Sie arbeiten. Hat es Sie nie gereizt, auch vor dem Hintergrund finanzieller Sicherheit, eine gut besoldete Chefdirigentenstelle anzutreten, wie es Ihre Kollegen Norrington oder Hengelbrock gemacht haben?
Weniger. Als Leiter meiner Ensembles kann ich mir selbst das Repertoire aussuchen, bin von keinem Intendanten oder Veranstalter abhängig. Und mit meiner Wahl der Sänger und Musiker haben auch diese die Möglichkeit, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. Es liegt mir nicht so sehr, mich gegenüber Musikern und Sängern durchsetzen zu müssen, die erkennen lassen, dass sie Werk oder Auffassung des Dirigenten ablehnen.
Sie werden 70, sind also eigentlich im besten Dirigentenalter. Was können Sie heute besser als früher?
Ich kann die Summe meiner bisherigen Erfahrungen ziehen! Bei Werken, die ich oft aufgeführt habe, gelingt es mir daher heute immer besser, deren Struktur und Form zu überblicken. Ein Dirigent sollte schon beim ersten Takt wissen, was er im letzten Takt erreichen will. Am Anfang kann er quasi nur „auf Sicht fahren“, später weitet sich der Blick. Und ich kann heute auch besser auf die Musiker und Sänger eingehen, weiß genauer, wo ich ansetzen muss.
Was wollen Sie noch lernen?
Mit meinem Körper noch besser umgehen zu können. Die musikalische Intention eines Dirigenten muss an einem bestimmten Punkt seiner Zeichengebung erkennbar sein. Dieser Punkt muss eine Spannung, eine Energie haben. Doch damit das funktioniert, muss der Rest des Körpers entspannt sein. Daran zu arbeiten bleibt eine Lebensaufgabe.
Was halten Sie von der Stuttgarter Kulturpolitik?
Stuttgart hat ein reges Musikleben, die Förderung insgesamt ist außergewöhnlich. Von einer der reichsten Großstädte der Republik kann man das auch erwarten. Aber selbst diese Stadt wollte und konnte nicht verhindern, dass durch eine jahrzehntelange Deckelung der Förderung freier Institutionen eine „strukturelle Unterfinanzierung“ dieser Institutionen entstanden ist – so hat es jedenfalls unsere ehemalige Kulturbürgermeisterin und jetzige Kultusministerin, Susanne Eisenmann, bezeichnet. Leider habe ich außerdem den Eindruck, dass mehr verwaltet als gestaltet wird. Es dürfte schon etwas genauer hingeschaut werden, denn Qualität kann weit über Stuttgart hinaus strahlen. Und wenn es um Qualität geht, muss ich mich nicht verstecken.