Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, warnt: Eine App könne einen Arzt niemals ersetzen. Foto: dpa

Digitale Helfer bestimmen immer mehr den Alltag. Auch in der Medizin halten Smartphone und Tablet Einzug. Zeit und Geld soll so gespart werden. Die Technik birgt aber auch Gefahren, wie Ärzte und Verbraucherschützer warnen.

Freiburg - Video-Sprechstunde statt Termin in der Arztpraxis, Gesundheits-App statt ärztlicher Beratung: Verbraucher und Mediziner stellen sich auf die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen ein. Online-Diagnosen sollen Patienten helfen und gleichzeitig Kosten senken. Ärzte sehen Chancen, warnen jedoch vor Risiken. Der 120. Deutsche Ärztetag, der in Freiburg tagt, hat diesen digitalen Wandel zu seinem Hauptthema gemacht.

Gesundheits-Apps auf dem Smartphone oder Tablet sind besonders beliebt, vor allem bei jungen Leuten. Die Nachfrage steigt. Und die Auswahl ist riesig. Nur: „Nicht alles, was technisch möglich ist, macht auch Sinn“, sagt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.

„Mehr als 100 000 solcher Anwendungen gibt es inzwischen in den gängigen App-Stores und das Angebot wächst ständig. Doch nur ein Bruchteil der Programme ist als Medizinprodukt zertifiziert“, heißt es in einer Untersuchung der Bundesärztekammer, die beim Ärztetag vorgestellt und debattiert wurde.

Herzrhythmus per Handy-Kamera

Unter den von den Medizinern empfohlenen Produkten ist eine App, die den Herzrhythmus per Handy-Kamera misst. Eine andere therapiert Tinnitus mit individuell abgestimmter Musik. Ansonsten herrsche laut der Studie „Internet-typischer Wildwuchs“.

Darunter seien vergleichsweise gefahrlose Angebote wie etwa Wellness-Apps, die Schlafprofile erstellen oder Ernährungstipps geben. Weniger harmlos seien Anwendungen, die dem Nutzer „einen digitalen Leibarzt vorgaukeln“. Sie sollen helfen, das Hautkrebsrisiko per automatisiertem Fotovergleich zu bestimmen - ganz ohne dass ein Hautarzt Patient oder Foto in Augenschein nimmt.

„In dem Dickicht der Angebote gerät die Suche nach einer seriösen und zuverlässigen Anwendung zum Glücksspiel. Die Chance auf einen Treffer ist gering“, besagt eine andere Studie der Technischen Universität Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover im Auftrag des Gesundheitsministeriums. Unseriöse Apps seien die Regel, nicht die Ausnahme.

Mangelhafter Datenschutz

Auch mit dem Datenschutz nähmen es viele Anbieter nicht so genau, warnt die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Nutzer sollten vorsichtig sein und persönliche Daten nicht unüberlegt weitergeben, meint der Verbraucherzentrale-Bundesverband. Im Krankheitsfall nur auf eine App zu hören, statt zum Arzt zu gehen, sei keine gute Idee, betont die Ärztekammer. „Eine App kann einen Arzt niemals ersetzen, allenfalls ergänzen“, sagt Ärzte-Chef Montgomery.

Die Bundesärztekammer fordert Qualitätssiegel für solche Apps. Auch Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) macht sich bei diesen Angeboten für Qualitäts- und Sicherheitsstandards stark. „Ich könnte mir vorstellen, dass irgendwann eine Bundesagentur solche Angebote prüft und zertifiziert“, sagte Montgomery am Mittwoch.

Telemedizin gewinnt an Bedeutung

Bedeutender werde nach Einschätzung der Mediziner die sogenannte Telemedizin. Fernbehandlungen und Online- oder Telefon-Diagnosen seien in anderen Ländern schon weiter verbreitet. „Wir verzeichnen einen Stimmungswandel in der Ärzteschaft“, sagt Norbert Butz, Telemedizin-Experte der Bundesärztekammer.

Werde digitale Technik bislang meist für die Verwaltung genutzt, halte sie nun verstärkt Einzug in medizinische Bereiche, erklärt Butz. Die meisten Telemedizin-Angebote seien mit dem ärztlichen Berufsrecht vereinbar. Wichtig sei, den Datenschutz zu wahren.

Von Telemedizin könnten Menschen in ländlichen Regionen profitieren, in denen medizinische Infrastruktur fehle, sagt Ulrich Clever, Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Zudem gebe es immer mehr Menschen, die Zeit sparen möchten. „Lange im Wartezimmer der Arztpraxis zu sitzen, statt kurz am Telefon oder vor dem Rechner - das kann man manchen Patienten nur noch schwer vermitteln.“