Scharfzüngig urteilt Kabarettist Hildebrandt über die Eskapaden der deutschen Politiker.

Berlin - Scharfzüngig urteilt der Kabarettist Dieter Hildebrandt über die Eskapaden der deutschen Politiker im zu Ende gehenden Jahr. 

Herr Hildebrandt, haben wir 2010 mit Karl-Theodor zu Guttenberg als politischem Aufsteiger des Jahres erlebt, wie sich der neue Kanzler warm läuft?

Der Mann wird zu einem typischen PR-Fall. Kanzlerin Merkel zeigte ihn einst vor und kann nun zusehen, wie er ihr den Rang abläuft. Merkel hat nun wirklich alle ihrer potenziellen Nachfolger erledigt - zuletzt Christian Wulff. Im Fall Guttenberg aber hat sie keinen Job mehr für ihren Nachfolger; und er macht vor ihren Augen die Pace. Das ist Komik.

Wie viel innenpolitische Kriegsführung war also dabei, als sich Verteidigungsminister zu Guttenberg entschloss, seine Frau ins Kriegsgebiet Afghanistan mitzunehmen?

Dass Karl-Theodor zu Guttenberg das einfach machen kann...!? Diese Bewegung kann teuer werden, wenn nun jeder Minister seinen Ehepartner auffordert, dahin mitzukommen, wo er jemanden besuchen könnte. Die Kanzlerin wird diese Reise schon abgesegnet haben, davon gehe ich aus; aber einige Kabinettskollegen dieses Selbstinszenators zu Guttenberg erwecken den Anschein, als hätten sie von dem Umstand nichts gewusst, sonst hätten sie nicht so hysterisch auf den Gegenangriff reagiert - auf den Angriff der Medien und der Opposition, nicht der Taliban, versteht sich. Seit wann aber fliegt ein Minister seine Frau nach Afghanistan, um dort Bilder zu machen? Und seit wann hat er seinen eigenen Fernsehsender dabei - Kerners Guttenberg-TV? Die Schamlosigkeit ist greifbar: Die machen, was sie wollen.

2010: ein Jahr Merkel/Westerwelle/Seehofer. War es ein leichtes Spiel, sich über deren Unbeholfenheit zu amüsieren?

Wir Kabarettisten können besser und knapper formulieren, was dort passiert ist. Den Vorwurf, Satire käme von den Betroffenen und mache die normale Satire unwichtig, habe ich nie unterstrichen. Was in der Politik vor unseren Augen passiert, ist viel unbeholfener, da kenne ich viele Kollegen, die formulieren besser.

Sie hatten also über Schwarz-Gelb selbst nichts zu lachen?

Diese Koalition ist eine Blamage. Angela Merkel hatte ja bereits vor der Wahl 2009 leise Zweifel, als sie merkte, dass sie in unbewachtes Gelände hineinregiert. Dass sie diese Koalition eingeht, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich dachte, sie ist vernünftig und versucht wenigstens, die Große Koalition zu behalten: wenigstens Herrn Steinbrück und Herrn Steinmeier - richtige Profis also, während sie heute offensichtlich mit einem Dilettantenverein zusammenarbeiten muss. Schwarz-Gelb spielt Lotto, tippt irgendwie auf die Lösungen von Problemen. Merkel ist einen Glücksspielstaatsvertrag eingegangen: Sie hat bei der Auswahl ihres Kabinetts Lotto gespielt und nicht einmal drei Richtige im Kabinett.

Zu Guttenberg ist auch für einen Kriegsteilnehmer wie Sie der erste deutsche Kriegsminister seit 1945. Was gibt es in Afghanistan zu gewinnen?

Ich halte die Entsendung deutscher Soldaten dorthin für einen Skandal. Die Entscheidung müsste sofort korrigiert werden, die Bundeswehr hat dort überhaupt nichts zu suchen - auch nicht in Gemeinschaft mit den USA. Auch die Amerikaner sollten aufhören, dort die Welt zu verbessern, die sie verschlechtert haben. Weder im Irak noch in Afghanistan hat das US-Engagement zu einer Verbesserung oder Demokratisierung beigetragen. Wenn sie abzögen, würde es noch schlimmer? Schlimmer als wann, als was? Das sind die persönlichen Kriege von George W. Bush und einer industriellen Clique. Es ist ein Skandal, dass sich deutsche Soldaten daran beteiligen - und dass die Bundesregierung versucht, das moralisch zu begründen. Das ist das Verlogenste, was es gibt.

2010 ist den Bürgern der Bundespräsident entlaufen: Mit Horst Köhler trat zum ersten Mal ein deutsches Staatsoberhaupt zurück. Was sagt das über das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Präsidenten?

Dieses Verhältnis existiert eigentlich nicht mehr. Es gab ein paar Präsidenten, zu denen die Deutschen ein Verhältnis hatten - wie Theodor Heuss, Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker, Johannes Rau. Die Person Horst Köhler hat einen satirischen Hochwert, weil der Mann eine gewisse Naivität entwickelte. Er reist zum Truppenbesuch nach Afghanistan und erklärt den Soldaten, was sie dort tun - er erklärt ihnen die Wahrheit: dass sie dort die Wirtschaftswege verteidigen, vornehmlich jene der Amerikaner. Wie früher die Seidenstraße und die Gewürzstraße gibt es heute die Ölstraße. Um die wird heute Krieg geführt. Und, hat Köhler den Soldaten mit anderen Worten gesagt: das verteidigt ihr. Der Präsident trat wegen der Äußerung von Wahrheiten zurück - und aus Verbitterung über die Reaktionen darauf. Dass sogar die Kanzlerin sich von ihm abwendete, ist nicht unkomisch.

Stichwort Wahrheit: Heiner Geißler hat in seiner Schlichtung zu Stuttgart 21 ein feindseliges Klima aus der Welt schaffen können - ist er der Demokrat des Jahres 2010?

Heiner Geißler hat unglaublich an Weisheit dazugewonnen, seit er politisch nicht mehr verantwortlich ist. Er ist in Stuttgart zur Lösung einer Aufgabe angetreten, die eigentlich unlösbar war. Das ist mutig. Er hat sich Verdienste gemacht, weil er die allzu große Empörung der allzu hektisch erregten Projektgegner dämpfte. Die Befürworter wiederum hat er vorgeführt, weil deren Pläne gar nicht funktionieren. Alle, die diesen Bahnhof bauen wollten, hätten zurücktreten müssen. Nach der Schlichtung hätte Ministerpräsident Mappus einräumen müssen: Herr Geißler hat bewiesen, dass wir alle nicht genug nachgedacht haben. Leider stand schon vor der Schlichtung fest: Was einmal an Unsinn begonnen ist, wird bei uns zu Ende geführt. Das erinnert mich an die Posse um den Rhein-Main-Donau-Kanal: Als sich herausstellte, dass durch diese Wasserlache, die quer durch Deutschland führt, nie ein Schiff fahren würde, wurde ein CSU-Politiker gefragt: Warum bringen Sie diesen Quatsch zu Ende? Er sagte: Weil wir ihn angefangen haben.

Hätten Sie damit gerechnet, dass ausgerechnet der deutsche Papst Joseph Ratzinger dem früheren Bischof Mixa die Sünden austreibt?

Mixa ist für die Menschen kaum noch ein Thema. Mich erschüttern mehr die 150 verdeckten Missbrauchsskandale allein in den bayrischen Diözesen - unglaublich, welche Bräuche dort bekanntwerden. Das trifft sogar noch Kardinal Wetter, der ist ja erst 81! Welche Wucht ihn beim Abgang trifft! Auch Ratzinger, der in Freising tätig war, wird da hineingezogen. Die armen Münchner Kardinäle, die das heute aufklären müssen.

Wenn Sie politischer Geheimnisträger wären: Was hätten Sie am liebsten über Deutschland 2010 via Wikileaks weitergetratscht?

Ich will von Wikileaks etwas erfahren, muss aber zur Kenntnis nehmen: Was ich weiß, wissen die auch. Was die heute aufklären, habe ich schon vor zehn Jahren aufgeklärt. Dass Guido Westerwelle als Außenminister nicht besonders viel taugt, muss mir nicht Wikileaks erklären. Wikileaks soll mir erklären: Wie kommt die Fußball-WM in den Persischen Golf? Wie hoch ist die Summe, die nötig war, um dieses Abstimmungsergebnis zu erreichen? Wie korrupt ist Joseph Blatter? Wie teuer ist eine Fifa-Stimme? Wie teuer eine bei der Auswahl der Olympischen Spiele? Über die Korruptheit der Bush-Regierung und die US-Geheimdienste hilft es viel weiter, mehr zu ahnen, als zu wissen. Dazu brauche ich Wikileaks nicht.