Benni (links) und Basti: An der Farbe ihrer Haare kann man die Zwillinge unterscheiden. Foto: dpa

Sie waren 14, als sie zu Hause herausflogen. Mit 31 sind Benni und Basti noch immer auf der Straße. Über ihr Leben als Punks haben sie ein Buch geschrieben. Es trägt den Titel „Dieses schöne Scheißleben“. Der Reporterin haben sie erzählt, warum sie es nicht aufgeben wollen.

Berlin - Benni und Basti Podruch sind Punks und tragen genug Metall im Gesicht, um bei Sicherheitskontrollen am Flughafen Alarm auszulösen. Böse Buben sind sie nicht. Die Zwillinge sind jetzt 31 und sie sind es Leid, auf ihre bunten Haare reduziert zu werden. Deshalb haben sie ihre Geschichte aufgeschrieben. Ihr Buch heißt „Dieses schöne Scheißleben“. Es gibt eine Antwort auf die Frage, die sich viele stellen, wenn sie auf der Straße von Bunthaarigen um Kleingeld angeschnorrt werden. Was macht das Leben auf der Straße so faszinierend, dass manche dafür alles aufgegeben haben?

Der Stiefvater setzte die 14-Jährigen vor die Tür

Man trifft die Zwillinge in einer Kneipe in Kreuzberg. Hier sieht Berlin noch so aus, wie sie sich die Stadt vorgestellt hatten, als sie mit 17 Jahren hier ankamen. „Abgewrackt, voller Kids, die in der großen Stadt untergetaucht waren. Genau richtig für uns.“ Es war ein heißer Sommertag, daran erinnern sie sich noch genau.

Auch an die Punks vom Bahnhof Zoo, die sie willkommen hießen. „Flaschen klirrten beim Anstoßen. Wir wussten, wir waren zu Hause angekommen.“ Bis dahin hatten sie im Paradies gehaust, so hieß der Park in Jena, das die Zwillinge als „Pissnest“ schmähen. Er wurde zum Ort ihrer Zuflucht, als ihr Stiefvater sie vor die Tür gesetzt hatte. Sie waren gerade 14, zwei Jungen, die in der Schule aneckten, weil sie an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom (ADHS) litten und sich nichts sagen ließen. Im Paradies mussten sie niemandem etwas beweisen. Hier regierten die Punks. „Mit den Jungs zusammen abzuhängen, das war toll, wie auf ’ner Klassenfahrt.“

Basti hat einen blauen, Benni einen grünen Iro

Heute nieselt es. Basti steht schon vor der Eckkneipe. Den blauen Iro hat er unter einer Basecap versteckt. Er hüpft von einem Bein aufs andere. Er sagt, Interviews zu geben, das sei wie früher in der Schule. „Dieses Lampenfieber, wenn man an der Tafel steht.“

Dann kommt auch Benni. Verwechseln kann man die Brüder nicht. Benni hat einen grünen Iro. Er ist der Charmeur, der mit der großen Klappe. Die braucht man, wenn man sich seinen Lebensunterhalt mit Schnorren verdient, sagt er. „Wenn Du nur da sitzt und ’ne Fresse ziehst, kriegst Du nischt.“ Immer freundlich bleiben, ein lustiger Spruch auf den Lippen. Anders ginge es nicht.

Nach einer Schlägerei kommen die Zwillinge ins Gefängnis

Reden wir also über ihr „schönes Scheißleben“. Darüber, wie man sich fühlt, wenn man erkennt, dass die Party vorbei ist und dass aus einem Provisorium ein Dauerzustand geworden ist. Bewusst wurde Benni und Basti das erst spät: Berlin 2014. Die beiden sitzen in der Justizvollzugsanstalt Moabit, als die Journalistin Christiane Tramitz sie besucht. Sie kennt die Jungs noch aus Jena. Sie will wissen, was aus ihnen geworden ist. Sie erfährt, dass die beiden in Wien betrunken in eine Schlägerei mit „Faschos“ geraten waren. Schwere Körperverletzung, so lautete die Anklage. Zwei Jahre Gefängnis.

Tramitz ermutigt die Jungs, Tagebuch zu führen. Benni sagt, es sei eine gute Gelegenheit gewesen, zu überlegen, „ob alles richtig oder falsch war bisher.“ Er sagt, einige Dinge würde er heute nicht mehr machen. Er schlage nicht mehr gleich zu, wenn ihn andere provozierten.

Die Mutter hat die beiden im Gefängnis besucht

Es ist überhaupt vieles anders geworden, seit sie wieder auf freiem Fuß sind. Lenny ist tot, Bennis Sohn. Er sagt, für ihn hatte er das Buch eigentlich geschrieben. Um ihm zu erklären, „warum der Papa nicht immer ganz glatt war“. Lenny starb mit elf an einem Hirntumor. Benni sah ihn die letzten Jahre kaum. Die Mutter des Jungen hatte sich von ihm getrennt.

Er mag nicht darüber reden. Es war schwer genug, wieder auf die Beine zu kommen. Doch er hat es geschafft, so wie er es davor auch schon geschafft hatte, vom Heroin loszukommen. Warum, das erklärt er sich so: „Vielleicht erfüllten wir uns damit nachträglich den Traum einer glücklichen Kindheit.“

Ein trauriges Kapitel. Eine Mutter, die nicht eingriff, wenn der Stiefvater die Jungen verprügelte. Aber sie tragen es ihr nicht nach. Basti sagt, die Mutter habe sie ja in Wien im Knast besucht. Sie habe sich Vorwürfe gemacht. Er hat sie getröstet: „Mach Dich nicht fertig. Wir haben jahrelang Party gemacht, jetzt sind wir eingesperrt. Das gehört eben dazu.“

Vom Bahnhof Zoo sind sie schon lange weg

Basti lebt jetzt bei Sophie, seiner „Perle“. Benni ist bei seinem Kumpel Enno untergekommen. Vom Bahnhof Zoo sind sie schon lange weg. Man trifft sie heute am Alex oder auf der Warschauer Straße. Sie machen das, was sie schon immer gemacht haben. Mit Kumpels abhängen. Bier trinken. Schnorren. Herumreisen. Wird das nicht irgendwann öde?

Benni schaut entgeistert. Die Punks, das sind seine Familie – und die ist international. Er sagt: „Wenn Du mit bunten Haaren in ein anderes Land kommst, hast Du sofort ’nen Schlafplatz.“ Er macht ein feierliches Gesicht. Er weiß ja, was viele über sie denken. Dass sie nämlich ein bisschen „asi“ seien, weil sie lieber Hartz IV kassierten, statt sich um Arbeit zu bemühen. Aber ist das denn nicht wirklich ein bisschen „asi“? Bennis Züge verhärten sich. Er sagt: „Es ist okay, dass ich Hartz IV bekomme. Aber ich erwarte es nicht.“

Sie haben sich dieses Leben ausgesucht. Hatten sie eine andere Wahl? Benni sagt, was ihnen jetzt noch fehlt, ist ein Gartengrundstück, am besten mit altem Haus. Tischlern, malern und mauern, das haben sie auf der Straße gelernt. Sie können, wenn sie wollen – und endlich anzukommen, das ist ihr Traum.

Berlin – Hauptstadt der Straßenkinder

Zuverlässige Statistiken gibt es zwar keine, aber tausend von den geschätzten 20 000 „Straßenkids“ in Deutschland sollen hier leben. Sie kommen aus zerrütteten Familien aus der ganzen Republik. Fast alle verdienen sich ihren Lebensunterhalt mit Schnorren – notgedrungen. Als junge Obdachlose fallen sie durch die Maschen des sozialen Netzes. Angebote der Jugendhilfe greifen nur bis 18 oder 21 Jahre. Hartz IV gibt es erst ab dem 25. Lebensjahr – und unter bestimmten Auflagen. Die meisten Kids schlüpfen bei Bekannten unter. Ihre einzigen Ansprechpartner sind Sozialarbeiter von Vereinen wie Straßenkinder e.V.