Symbol oder Wirklichkeit? Dunkle Wolken über Bosch. Foto: dpa

Die Karawane der Anwälte zieht weiter, nachdem die Verfahren gegen VW in den USA weit gediehen sind. Dabei rückt zunehmend der Stuttgarter Zulieferer Bosch ins Visier der Kläger.

Stuttgart - In den USA haben die Anwälte, die VW wegen der Diesel-Affäre verklagt haben, einen 13-Milliarden-Euro-Vergleich ausgehandelt. Auch wenn die US-Klagen für VW noch nicht ganz ausgestanden sind, suchen die Anwälte nun neue Felder, auf denen sie wegen der manipulierten Abgaswerte tätig werden können. Gegen den Stuttgarter Bosch-Konzern, der bereits zu den Beschuldigten im Schadenersatzverfahren zählt, haben sie in den vergangenen Tagen ihre Vorwürfe verschärft – und teilweise auch präzisiert. Rechtsexperten sehen hinter der Klage zwar einerseits Theaterdonner – andererseits aber auch eine Verschärfung der Lage für den Stuttgarter Zulieferer, der den Abgasmanipulateur Volkswagen mit Software ausgestattet hatte. Kaum etwas haben sie bisher allerdings gegen Konzernchef Volkmar Denner persönlich in der Hand, den sie beschuldigen, eine Schlüsselrolle bei den Manipulationen gespielt zu haben.

Klageschriften von US-Anwälten haben in ihrer Theatralik gewisse Ähnlichkeiten zu amerikanischen Gerichtsshows. Bosch sei ein „aktiver Teilnehmer einer massiven, jahrzehntelangen Verschwörung mit VW gewesen“, heißt es in einer neuen, erweiterten Klageschrift von Klägeranwälten, die VW bereits einen milliardenschweren Vergleich abgetrotzt hatten. Doch die neue Klage gegen den Bosch-Konzern in San Francisco (Kalifornien) enthält auch neue Fakten, zu denen die Stuttgarter sich werden äußern müssen. Denn im Verlauf des bisherigen Prozesses, der sich vor allem mit VW beschäftigte, kam es zu einem sogenannten Discovery-Verfahren, das dem deutschen Recht fremd ist, Klägern in den USA aber eine scharfe Waffe in die Hand gibt. In einem solchen Verfahren kann der Kläger die Gegenseite auffordern, alle Unterlagen auf den Tisch zu legen, die für die Klärung von Vorwürfen relevant sind – anders als in Deutschland, wo ein Kläger seine Beweise ohne gerichtliche Unterstützung herbeischaffen muss. In diesem Verfahren musste VW Millionen Seiten auf den Tisch legen, darunter offenbar auch umfangreiche Schriftwechsel mit Bosch. Diese Schriftwechsel nehmen die Anwälte nun zum Anlass, ihre Vorwürfe gegen die Stuttgarter zu konkretisieren.

Nach Ansicht eines renommierten Experten für internationales Wirtschaftsrecht, der wegen seiner internen Kenntnisse der Diesel-Thematik nicht genannt werden will, könnte vor allem ein Vorwurf für Bosch gefährlich werden: die Forderung der Stuttgarter nach einer Haftungsfreistellung, weil der Einsatz der Software außerhalb des Testbetriebs unzulässig sei.

Eine geforderte Haftungsfreistellung kann auch das Gegenteil bewirken

Sollte sich bewahrheiten, dass Bosch von VW verlangt hat, von einer Haftung für eine missbräuchliche Verwendung seiner Software freigestellt zu werden, wäre dies brisant: „Die Forderung nach einer Freistellung hätte dann das genaue Gegenteil dessen bewirkt, was sie bezwecken sollte – mit ihr hätte Bosch selbst den Beleg für eine Mitwisserschaft mit Blick auf einen möglichen Missbrauch geliefert“, so der Wirtschaftsjurist. „Wenn man Bosch nachweisen kann, den Missbrauch sehenden Auges zugelassen zu haben, kann dies zu Schadenersatzforderungen führen.“ Auch werde sich Bosch in diesem Fall die Frage gefallen lassen müssen, warum man ein Produkt auf den Markt bringe, vor dessen Einsatz man die Anwender warnen müsse.

Weniger stichhaltig ist dagegen zunächst ein anderer Vorwurf aus der erweiterten, 742 Seiten umfassenden Klageschrift: der Umstand, dass Bosch den Herstellern offenbar verboten hat, die Software ohne Zustimmung zu verändern. Aus dieser Klausel ziehen die Kläger den Schluss, dass Bosch von den Manipulationen gewusst habe, die dazu führten, dass die Software bei Abgastests die Abgasreinigung ein- und danach wieder ausschaltete. Jedenfalls sei es „unvorstellbar“, dass der Konzern, der die Software definiert, entwickelt, getestet, gepflegt und geliefert habe, nicht gewusst habe, dass sie eine illegale Abschalteinrichtung habe. Dieses Argument ist aber möglicherweise wenig zugkräftig: „VW könnte die Software ja trotz des Verbots von Bosch verändert haben“, sagt der Rechtsexperte. „Dass Bosch das hätte erfahren müssen, heißt nicht, dass Bosch es tatsächlich auch erfahren hat.“

Allerdings ist die Beweiswürdigung vor amerikanischen Gerichten oft schwer vorhersagbar. Anders als in Deutschland, wo solche Verfahren durch Berufsrichter behandelt werden, entscheidet in den USA oft eine Jury, die aus Laien besteht.

In den USA urteilen oft Jurys – das kann einen Unterschied machen

Die rechtlichen Grundsätze, nach denen Beweise gewürdigt werden müssen, unterscheiden sich in Deutschland und in den USA zwar nur in Nuancen – dennoch sind Jurys für emotional vorgetragene Argumente eher empfänglich als Berufsrichter. Daher die Thesen von der Verschwörung, mit denen Bosch und VW als Schurken dargestellt werden sollen, von denen keiner besser ist als der andere, der bereits Milliarden zahlen muss.

Einigermaßen entspannt sieht die Lage derzeit für Bosch-Chef Volkmar Denner aus, gegen den die Anwälte persönlich mit Vorwürfen nachlegen. Denner, so die Anwälte, habe eine „Schlüsselrolle“ bei den Manipulationen gespielt, heißt es in dem Papier, ohne dass dies aber konkretisiert wird. Die Strategie dahinter besteht darin, dem Unternehmen ein sogenanntes Organisationsversagen nachzuweisen und die Behauptung aufzustellen, dass die Manipulationen System hatten. Doch Belege dafür bleiben die Anwälte schuldig. Es ist allerdings gut denkbar, dass sie auch bei Bosch das berüchtigte Discovery-Verfahren einsetzen werden und die Stuttgarter dazu zwingen, alles herauszurücken, was für die Frage einer Mitwisserschaft des Konzernchefs von Bedeutung sein könnte. Gegen ein solches Begehren der Anwälte hätte Bosch nur wenige Einspruchsmöglichkeiten.