In der Krebsmedizin gibt es so viele Spezialbereiche, dass kein Arzt sich auf allen Gebieten gleich gut auskennen kann. Daneben gewinnen Forscher und Ärzte immer genauere Erkenntnisse darüber, wie verschieden Tumore sind. Foto: dpa

Krebs bedeutet Kontrollverlust: Eine fremde Macht scheint vom Körper Besitz zu ergreifen. Um sich die Kontrolle zurückzuerobern, helfen Nähe, Zuwendung und Wissen – über Therapien, Heilungschancen und Vorsorge. Ein Überblick über die häufigsten Fragen.

Stuttgart - Krebs ist eine Art Familienkrankheit: Angehörige und Freunde leiden immer mit. Krebs bedeutet aber auch Kontrollverlust: Eine fremde Macht scheint vom Körper Besitz zu ergreifen. Um sich die Kontrolle zurückzuerobern, helfen Nähe, Zuwendung und Wissen – über Therapien, Heilungschancen und Vorsorge. Letzteres haben vier Experten auf dem Gebiet der Krebsbehandlung versucht, bei unserer Telefonaktion mit dem Landeskrebsverband unseren Lesern zu vermitteln: Michael Geißler (Ärztlicher Direktor im Lungenkrebszentrum Esslingen-Stuttgart), Diethelm Wallwiener (Ärztlicher Direktor in der Uni-Frauenklinik Tübingen), Hartwig Schwaibold (Chefarzt im Prostatakarzinomzentrum am Klinikum am Steinenberg) und Matthias Vöhringer (Oberarzt im Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart). Ein Überblick über die häufigsten Fragen:

Ich habe Brustkrebs. Auch bei meiner Tochter, meiner Nichte und bei meinem Großvater wurde diese Diagnose gestellt. Kann es sein, dass eine familiär bedingte Brustkrebsform vorliegt?
Aufgrund der Tatsache, dass Sie und die Tochter erkrankt sind, ist die Wahrscheinlichkeit für eine familiäre Brustkrebserkrankung sehr hoch. Eventuell liegt in Ihrer Familie eine der beiden Genmutationen vor, die bei Betroffenen Brustkrebs verursachen können. Das ist nicht nur für Ihre weitere Behandlung und Betreuung wichtig, sondern auch für Ihre gesunden weiblichen Familienangehörigen. Diese sollten möglichst bald eine Vorsorgeuntersuchung und eine Beratung vornehmen lassen.
Aufgrund meiner Eierstockkrebserkrankung wurde ich erst operiert und habe dann eine Chemotherapie bekommen. Nun rät mir mein Arzt zusätzlich noch zu einer Antikörpertherapie. Ist das sinnvoll?
Bei Patientinnen mit Eierstockkrebs wird zusätzlich zur Chemotherapie auch eine Antikörpertherapie, auch Immuntherapie genannt, durchgeführt. Dabei wird der Antikörper namens Bevacizumab verabreicht, der das Ansprechen auf die Chemotherapie verbessern und die Neubildung von Tumorgefäßen blockieren soll, damit der Tumor ausgehungert wird. Die Therapie dauert etwa 15 Monate und ist sinnvoll.
Ich bin 46 Jahre alt. Mein Vater ist mit 68 Jahren an Prostatakrebs verstorben. Soll ich meinen PSA-Wert bestimmen lassen?
Die wichtigsten Risikofaktoren für Prostatakrebs sind das Alter und das Vorkommen einer solchen Erkrankung bei Verwandten ersten Grades. Ein Prostatakarzinom kann mit Hilfe des PSA-Werts zusammen mit der Tastuntersuchung entdeckt werden. Aber die Methode hat auch Nachteile: Der PSA-Wert kann schwanken. So kann es vorkommen, dass bei vier Männern mit erhöhtem PSA-Wert nur bei einem letztlich ein Prostatakrebs gefunden wird. Hinzu kommt: Nicht jeder Prostatakrebs muss sofort therapiert werden. Sie sollten sich daher das Für und Wider der Früherkennungsuntersuchung von Ihrem Arzt erklären lassen und in Ruhe entscheiden.
Bei mir wurde vor zwei Tagen Prostatakrebs mittels Biopsie festgestellt. Metastasen habe ich keine. Ich bin 66 Jahre alt, ansonsten kerngesund und völlig verunsichert: Soll ich mich operieren oder bestrahlen lassen?
Prostatakrebs wächst normalerweise langsam. Grundsätzlich kommen als Therapie sowohl die Beobachtung, die Bestrahlung als auch die Operation infrage. Lassen Sie sich von Ihrem Arzt alle Vor- und Nachteile der jeweiligen Therapiemethoden schildern und entscheiden Sie sich in Ruhe. Sie können auch Ihren Arzt bitten, Ihren Fall in einem sogenannten Prostatakrebszentrum vorzustellen. Dort wird er dann von Experten unterschiedlicher Fachrichtungen diskutiert, und Sie bekommen einen individuellen Therapievorschlag.
Welche Vitamine und Zusatzstoffe sollten zur Chemotherapie eingenommen werden?
Wie man sich ernähren sollte, wenn man tatsächlich erkrankt ist, dazu gibt es wirklich nur individuelle Antworten. So gibt es einige Tumorarten, von denen man weiß, dass die Ernährung überhaupt keinen Einfluss hat. Eine einseitige Ernährung ist nicht empfehlenswert – vor allem dann nicht, wenn die Krankheit den Allgemeinzustand stark beeinträchtigt und die Patienten stark an Gewicht verlieren. Grundsätzlich sollten Krebspatienten auf eine ausgewogene Ernährung achten, dann sind auch zusätzliche Einnahmen von Nährstoffen unnötig. Wer sich unsicher ist, kann sich an einen Ernährungsberater wenden, der sich auf das Fachgebiet Onkologie spezialisiert hat. Eine Übersicht im Internet bietet etwa der Berufsverband der Ökotrophologen: ww.vdoe.de/expertenpool.html
Ich soll mein bösartiges Hautkarzinom an der Nase bestrahlen lassen. Ich bin aber verunsichert, ob ich mich nicht lieber einer Operation unterziehen soll. Was soll ich tun?
Wichtig wäre ein sogenannter interdisziplinären Tumorboard-Beschluss. Damit ist gemeint, dass in spezialisierten Krebszentren Mediziner aus verschiedensten Fachrichtungen in sogenannten Tumorboards gemeinsam an der besten Behandlung für jeden einzelnen Erkrankten arbeiten. Mit Hilfe solcher Tumorboard-Beschlüsse will die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) verhindern, das einzelne Krebsspezialisten Therapien festlegen. Meist sieht das so aus: Ihr Arzt stellt während der Tumorboard-Sitzung Ihren Fall vor. Der Mediziner erläutert seinen Kollegen die Krankengeschichte, lässt Röntgen- oder CT-Aufnahmen präsentieren und informiert das Board darüber, was er bereits zu dieser Erkrankung recherchiert hat. Anschließend erörtern die Mediziner gemeinsam den Fall und beschließen das weitere Vorgehen. Ihren Beschluss dokumentieren sie schriftlich. Denn in der Krebsmedizin gibt es so viele Spezialbereiche, dass kein Arzt sich auf allen Gebieten gleich gut auskennen kann. Daneben gewinnen Forscher und Ärzte immer genauere Erkenntnisse darüber, wie verschieden Tumore sind. Neue Verfahren helfen, eine genau auf den jeweiligen Patienten abgestimmte Therapie aufzusetzen.