Ein Ort der Bade-Hochkultur: das Mineralbad Berg Foto: Steinert

Die Landeshauptstadt hat viele Vorzüge. Oft entdeckt man sie jedoch nur auf Umwegen, weil die Stadt sie nicht ins Schaufenster stellt. Was hindert sie daran?

Stuttgart - Ein liebenswerter Mensch, dessen Name nichts zu Sache tut, war jahrelang der festen Überzeugung, Schrebergärten würden „Strebergärten“ heißen – was eine gewisse Logik hat, weil ihren Besitzern häufig eine besondere Strebsam- oder Emsigkeit zu eigen ist. Tatsächlich jedoch sind die Kleingärten nach dem Leipziger Arzt Gottlob Schreber (1808– 1861) benannt, der sich für „grüne Oasen“ eingesetzt hatte. In und um Stuttgart gibt es viele davon. Eine befindet sich auf Höhe der Nord-Süd-Straße in Vaihingen. Vor dem Gartenhäusle stehen neun weiße Buchstaben, die für Autofahrer nur in der kalten Jahreszeit erkennbar sind. Zusammengesetzt ergeben sie S-t-u-t-t-g-a-r-t.

Ein sympathischer Anblick – und zugleich ein symptomatisches Bild: Stuttgart ist manchmal schwer zu erkennen. Seine Vorzüge blitzen auf, dann treten sie wieder für längere Zeit in den Hintergrund. Ein Beispiel ist das Mineralbad Berg, ein Zentrum der Bade-Hochkultur, das an diesem sonnigen Wochenende schließt. Glücklicherweise nicht für immer, sondern nur für zwei Jahre. Unser Kolumnist und Stadtspaziergänger Joe Bauer schrieb treffend: „Viele Stuttgarter wissen bis heute nichts von der Existenz des Mineralbads Berg.“ Zwei Tage noch besteht die Chance, es zu entdecken. Von Montag an wird es von Grund auf erneuert. Parallel dazu sollte sich die Stadt mit dem mindestens zweitgrößten Mineralwasservorkommen Europas Gedanken darüber machen, wie dieser Schatz über Stuttgart hinaus bekannt gemacht werden kann . Denn auch diese Beobachtung von Joe Bauer ist zutreffend: „Diese Anstalt ist 160 Jahre alt und damit nur wenig älter als die meisten ihrer Besucher“ – mögen die alten Bergianer ihr Bad noch so sehr als Jungbrunnen verstehen.

Kulturhauptstadt Stuttgart

Mehr Aufmerksamkeit und Werbung haben auch die beiden anderen Mineralbäder verdient – das Leuze und das Bad in Cannstatt. Stuttgart als die Mineralwasser-Stadt wird bis jetzt jedenfalls kaum wahrgenommen. Sie ist mehr Geheimtipp als Marke. Auch auf andere Stuttgarter Vorzüge stößt man eher zufällig oder über Umwege. Jüngst wurde Stuttgart zur deutschen Kulturhauptstadt 2016 gewählt. Bewertet wurden das Opern-Angebot, Theater, Museen, Kinos und die Zahl der Besucher. Gibt es eine schönere Vorlage, um Stuttgart bundesweit zu bewerben? Eigentlich müsste die „Kulturhauptstadt“, die seit Donnerstag einen neuen Kulturbürgermeister hat, auf der Stuttgart-Homepage ganz oben prangen – als S-t-u-t-t-g-A-R-T. Tut es aber nicht.

Zuviel Bescheidenheit?

„Bescheidenheit“, sagt der scharfsinnige Tübinger Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger, der vor Kurzem seinen 90. Geburtstag feierte, „ist das einzige Klischee, das ich für die Schwaben akzeptieren kann“. Kein schlechter Zug. Die Bescheidenheit sollte allerdings nicht so weit gehen, dass man Stuttgart nach dem schwäbischen Motto bewirbt: Nix gsagt isch gnug globt. Die bisherigen Anstrengungen reichen jedenfalls nicht aus – auch wenn die Zahl der Tagestouristen steigt und der Cannstatter Wasen wie jedes Jahr die Massen mobiliseren wird.

S-t-u-t-t-g-a-r-t ist mehr als eine Kleingartenanlage. Menschen aus mehr als 170 Nationen leben hier. Trotz Baustellen und Feinstaub ist es eine vorzeigbare Stadt. Sie muss sich nicht verstecken. Sabine Rieker, eine zugereiste junge Künstlerin, nennt Stuttgart das „San Francisco Deutschlands“. Ein Wettbewerb der Liebeserklärungen. Das wär doch was.

jan.sellner@stzn.de